Volkswagen:Herbert Diess glaubt weiter an "Wandel durch Handel"

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Hier wird gerade nichts mehr lackiert: Das Volkswagen-Werk im russischen Kaluga steht still. (Foto: ANDREY RADCHENKO; Volkswagen AG)

Der Krieg in der Ukraine überschattet die guten Geschäftszahlen von Volkswagen. Doch der Vorstandschef beschwört weiter die Globalisierung.

Von Max Hägler, Wolfsburg

Eigentlich hätte dieser Rückblick und Ausblick bei Europas größtem Industriekonzern sehr erfreulich werden können. Die 2021er-Zahlen bei Volkswagen sind herausragend, trotz Corona-Seuche, trotz Halbleiter-Mangel. Der Wandel vom Blechbieger zum Produzenten von fahrenden Smartphones - so nennt VW die Autos von übermorgen - läuft zumindest halbwegs, gerade haben sie einen Standort für ihre Roboterautofabrik gefunden. Der amerikanische Markt ist nicht mehr nur Verlustbringer für die Marke VW. Der US-Konkurrent Ford kauft ihnen etliche hunderttausend Bausätze für Elektroautos ab. Und schließlich ist der stete und große Konflikt zwischen den Arbeitnehmervertretern und der Unternehmensführung um Herbert Diess derzeit mal kein Thema: Ja, der Betriebsrat hat an diesem Dienstag sogar seine Besprechungsräume mit Blick auf den Mittellandkanal hergegeben für die VW-Jahrespressekonferenz. In Krisenzeiten lassen Arbeiterführerin Daniela Cavallo und ihre Leute eher keine Manager in das fein abgezirkelte Territorium.

Doch nun ist eben richtig Krise: Krieg.

Vielleicht auch deshalb rücken die üblichen Machtkämpfe in der Konzernzentrale in Wolfsburg in den Hintergrund.

Am Vorabend des Jahresgesprächs schon hatten jene Vorstände, die einst bei der Bundeswehr dienten, von ihren Erfahrungen im Bunker und bei Probe-Alarmierungen erzählt. Und natürlich von den Auswirkungen des Krieges in Osteuropa auf das VW-Geschäft.

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Die VW-Fabrik in Kaluga, 170 Kilometer südwestlich von Moskau, ist mittlerweile geschlossen, so wie die Europäische Union inzwischen den Händlern auch den Export von Autos nach Russland untersagt, die mehr als 50 000 Euro kosten. Noch hoffen sie bei Volkswagen auf den Wiederanlauf von Produktion und Handel in Russland, in einigen Wochen oder Monaten, zahlen die Löhne weiter. Aber, sagt Diess, es könne vielleicht auch einmal "geboten" sein, "komplett raus" aus Russland zu gehen. Es wäre verkraftbar: In der Bilanz macht Russland nur ein halbes Prozent aus.

Beinahe relevanter ist das Geschäft mit der Ukraine, nicht wegen der Autos, sondern wegen der Teile. Das Land ist beliebt, weil die Leute gut ausgebildet sind, aber die Stundenlöhne nur ein Zehntel jener in Deutschland betragen: Allerlei personalaufwändige Arbeiten werden deshalb in der Ukraine produziert, etwa Kabelbäume, an denen jeweils schon einmal zehn Stunden gewerkelt werden muss, bis sie genau zum jeweiligen Automodell passen. Immerhin 30 bis 40 Prozent der üblichen Liefermengen schaffen die etwa zehn für VW relevanten Zulieferfabriken noch - trotz des Krieges. Um die anderen 60 bis 70 Prozent abzufangen, haben sie in Wolfsburg eine "Taskforce" gebildet: Ein paar hundert Meter weiter, im Fußball-Stadion der Werks-Elf, das nachts - wie passend - in den ukrainischen Nationalfarben beleuchtet ist, sitzen hundert Leute von VW zusammen mit 50 Leuten der wichtigsten Zulieferer, alle mit großer Entscheidungsfreiheit: Hier muss für Behörden rasch ein Bestellzettel ausgefüllt werden, dort braucht es zwanzig Lastwagen für einen Transport, um solche Sachen geht es da. Und letztlich geht es um die komplette Verlagerung der Teilefertigung an andere Standorte, etwa nach Nordafrika. "Wir stellen uns auf einen Totalausfall ein", sagt Herbert Diess.

Was für ein Kontrast zu dem glänzenden Jahr 2021. Da hatte sich bei einem Umsatz von 250 Milliarden Euro der Gewinn unterm Strich mehr als verdoppelt auf 15,4 Milliarden Euro - weil sie bei VW sparten und weil sie ihre 8,9 Millionen gebauten Autos und Lastwagen teurer verkauften als früher, gerade auch bei den Tochterfirmen.

Die profitabelste unter ihnen, Porsche, soll zum Jahresende bekanntlich an die Börse; der Teilverkauf soll Geld bringen für die aufwändigen neuen Technologien, die zu bewältigen sind, all die Batteriefabriken und Roboterfunktionen. Der Plan mit der Börse steht weiterhin, beteuert VW-Finanzchef Arno Antlitz am Dienstag. Aber natürlich gibt es Umstände, so ist zu hören, unter denen der Börsengang eher nicht durchgeführt wird - der zwei Tage vor der russischen Invasion bekannt wurde. Es gilt, was Diess sagt: Normalerweise würde man optimistisch in die Zukunft schauen. "Aber der Krieg in der Ukraine hat unseren Ausblick in Frage gestellt."

Der VW-Chef sagt, viele Unwägbarkeiten habe man noch gar nicht völlig verstanden

Wobei sie noch keine fassbaren Zahlen finden für den Krieg und seine Folgen. Ob Rohstoffpreise oder Währungsschwankungen, es gebe so viele Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten, die man noch gar "nicht völlig verstanden" habe, sagt Diess.

Wobei der VW-Chef die Abhängigkeiten auch als eine Lösung für Konflikte und Kriege sieht, also dieses Geflecht aus Liefer- und Handelsbeziehungen, das Ausdruck der Globalisierung ist: Womöglich hätte ein handelsfreundlicheres Russland mit einer eigenen wettbewerbsfähigen Industrie ja einen Krieg eher vermeiden wollen? Er glaube jedenfalls, dass das Paradigma "Wandel durch Handel" weiter Gültigkeit habe, sagt der VW-Chef, der mit einer ähnlichen Logik auf Asien blickt: Eine Invasion Taiwans durch China halte er für unwahrscheinlich, gerade weil auch China mit Taiwan intensiv zusammenarbeite, etwa bei Halbleitern, und weil China so sehr an wirtschaftlichem Erfolg interessiert sei. "Das lässt uns glauben, dass ein solcher Schritt nichts ist, was China ernsthaft erwägen würde."

Wobei sie bei Volkswagen schon auch klar machen, wo man sich gerade befindet: Die Jahrespressekonferenz des Volkswagen-Konzerns in Wolfsburg ist kein Politzirkel. Da geht es in erster Linie um Handel - und nicht um den Wandel hin zu Demokratie und Bürgerrechten nach westlicher Manier, so wie ihn Menschenrechtler immer wieder einfordern etwa in China und in Russland. Würde man ausschließlich in Demokratien Geschäfte machen, betont Diess, dann würde man je nach Rechnung nur sieben bis neun Prozent der Weltbevölkerung erreichen. Das sei keine Geschäftsgrundlage für einen weltweiten Autohersteller.

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