Das Geheimnis hat wenig Zukunft. Datenhungrige soziale Medien, Informations-Lecks und ständige Hackerangriffe machen es immer schwieriger, Kommunikation vertraulich zu halten. In einer Welt, in der mittlerweile Kühlschränke vernetzt und damit Angriffsflächen sind, bieten verschlüsselte Chat-Apps auf Smartphones einen Rest Privatsphäre. Ihre Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gilt als nicht zu knacken. Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer und die Unionsparteien versuchen gerade, den Anschlag von Halle zu nutzen, um diese Verschlüsselung zu schwächen - und den Menschen auch jene Sicherheit zu nehmen.
Seehofer fordert, dass Anbieter wie Whatsapp, Threema oder Signal Chats ihrer Nutzer im Klartext an Ermittler weiterleiten - also ihre eigene Verschlüsselung brechen müssen. Ein Richter soll das aber genehmigen müssen. Mathias Middelberg, Innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, forderte "direkten Zugriff" auf Whatsapp-Nachrichten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf lässt Seehofer schon mit anderen Ministerien abstimmen. Zeitgleich machen die USA, Großbritannien und Australien Druck auf Facebook, den Einsatz seiner Verschlüsselungstechnik zu beschränken. Seehofers Ministerium hat sich diesem Appell angeschlossen.
Wir befinden uns mitten in einer Neuauflage der "Krypto-Kriege", wie sie in den Neunzigern getauft wurden: Staaten versuchen, durch die Pflicht zu so genannten Hintertüren die Fortschritte in der Verschlüsselungstechnik zunichte zu machen. Ihr Argument: Nur so könnten schwere Verbrechen verhindert werden. Es ist ein Feldzug gegen eine Technik, die der Demokratie mehr nützt als schadet.
Die Demokratisierung der Verschlüsselung
Einst war Verschlüsselung ein Privileg der Herrschenden. Vor allem Könige, Militäroffiziere und Diplomaten setzten sie ein, sie leisteten sich hochspezialisierte Kryptografen. Das digitale Zeitalter hat die Techniken demokratisiert. Algorithmen in Gratis-Apps können auch lange Texte, Bilder und Videos in Sekundenbruchteilen unlesbar für diejenigen machen, die die Kommunikation abfangen.
Bei Ende-zu-Ende-Verschlüsselung können nur Sender und Empfänger die Nachrichten lesen. Wenn Ermittler den Datenverkehr abgreifen, sehen sie nur Zeichensalat. Auch die Anbieter der Apps können Chats ihrer eigenen Nutzer nicht mitlesen, sie haben ihre Systeme sogar absichtlich so gebaut.
Das Problem an der Argumentation der Unionspolitiker ist nicht nur der Trick, sie mit den Morden in Halle in Verbindung zu bringen. Da der Attentäter gar nicht auf dem Radar der Behörden war, hätte auch eine Hintertür in einem Chat-Programm nichts geholfen.
Was Seehofer und Middelberg vor allem nicht verstehen oder bewusst ignorieren: Die Maßnahme würde nicht nur Terroristen betreffen. Verfügt ein Unternehmen über die digitalen Schlüssel, können Mitarbeiter jeden Chat und jeden Anruf über die App lesbar machen. Die Verschlüsselung ist eben deshalb so sicher, weil nur die App auf dem Gerät der Gesprächspartner den Schlüssel kennt. Kennt ihn sonst keiner, bleibt das Gespräch sicher.
Hintertüren stehen auch Kriminellen offen
Zudem würde ein neues Gesetz für Kriminelle und Geheimdienste weltweit attraktive neue Angriffsziele schaffen: Baut ein Anbieter einer App eine Schwachstelle ein, können auch Unbefugte diese ausnutzen. Und die digitalen Schlüssel müssen irgendwo aufbewahrt werden. Diesen Schlüsselkasten zu knacken, würde es Angreifern ermöglichen, die Kommunikation aller Nutzer zu entschlüsseln.
Die Praxis hat auch ein ums andere Mal gezeigt: Verdächtige gezielt zu überwachen führt zum Erfolg, ohne gleich die Privatsphäre eines großen Teils der Bürger zu gefährden. Mit Trojanersoftware oder klassischen akustischen Wanzen können Ermittler Chats lesen oder Sprachnachrichten hören, noch bevor sie verschlüsselt werden, (mit Erlaubnis eines Richters, versteht sich). So haben Polizisten schon mehrere Terrorzellen hochgenommen.
Hinzu kommt, dass das Innenministerium die - vom Wirtschaftsministerium unterstützten - Ambitionen deutscher Unternehmen konterkariert, als Standort für Verschlüsselungstechnik Weltspitze zu werden. Das kann nicht gelingen, wenn starke Verschlüsselung immer mit der Einschränkung daherkommt, dass der Staat eben doch mitlesen darf.
Die Vereinten Nationen halten Verschlüsselung für ein wichtiges Werkzeug, um Menschenrechte zu schützen. Dissidenten können mit Krypto-Apps kommunizieren, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Man muss aber nicht in Diktaturen blicken, um den Wert von Verschlüsselung zu erkennen. Dass vertrauliche Gespräch ohne Angst ist auch für die Demokratie essenziell - ob zwischen Anwälten und ihren Mandanten oder zwischen Liebespaaren.