Geldpolitik:Die riskante Wette mit der Inflation

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Shopping im New Yorker Stadtteil SoHo - bei vielen Menschen in den USA sitzt das Geld derzeit sehr locker in den Taschen. (Foto: Juharat Pinyodoonyachet/Bloomberg)

Die vielen Preiserhöhungen erschrecken die Amerikaner. Noch hofft die Notenbank Fed, dass die bedrohliche Teuerungswelle von alleine wieder abebben wird. Doch was, wenn nicht?

Von Claus Hulverscheidt

Unter den vielen eher unangenehmen Zeitgenossen, die einem im Laufe des Lebens so begegnen, ist der Partycrasher eine besonders unerfreuliche Erscheinung. Er steht zunächst scheinbar teilnahmslos am Rande der Tanzfläche und zieht genau dann den Stecker aus der Musikanlage, wenn die Stimmung um ihn herum ihrem Höhepunkt entgegenstrebt.

Exakt so hat William McChesney Martin, damals Chef der US-Notenbank Fed, 1955 seine Rolle beschrieben: Aufgabe des gemeinen Zentralbankers sei es, "die Bowle-Schale genau dann wegzunehmen, wenn die Party so richtig in Gang kommt". Anders gesagt: Um zu verhindern, dass die Wirtschaft überhitzt, eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale in Gang setzt und am Ende einen veritablen konjunkturellen Kater auslöst, muss die Fed rechtzeitig einschreiten - etwa mit Leitzinserhöhungen.

66 Jahre nach Martins berühmter Rede stehen die USA womöglich an genau dieser Schwelle: Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Inflationsrate steigt - beides befeuert durch staatliche Hilfspakete im Volumen von bisher fast fünf Billionen Dollar (4,3 Billionen Euro), die der Kongress nach Ausbruch der Corona-Pandemie aufgelegt hat. Und Fed-Chef Jerome Powell? Statt langsam in Richtung Getränketisch zu schlendern, hofft er bisher, dass die Teuerungswelle mit einem Anstieg der Verbraucherpreise von zuletzt 5,4 Prozent von allein wieder abebben wird.

Sogar eher linke Ökonomen wie Ex-Finanzminister Lawrence Summers, denen das Geld sonst recht locker in der Tasche sitzt, haben ihre Zweifel: "Das Konzept der Fed ist diesmal offenbar, dass sie sich die Bowle-Schale erst schnappen will, wenn die ersten Leute betrunken durch die Gegend torkeln", so Summers schon vor Wochen.

Die Informationslage ist verwirrend

Nun muss man den Notenbankern zugutehalten, dass die Informationslage verwirrend ist: Sehr gute Konjunkturdaten wechseln sich mit schlechten ab, viele Firmen suchen händeringend nach Personal, während zugleich die Zahl der Erwerbstätigen immer noch um mehrere Millionen unter dem Wert von vor Ausbruch der Pandemie liegt. Die Fed argumentiert daher, dass sie ihr Ziel, außer für stabile Preise auch für ein Höchstmaß an Beschäftigung zu sorgen, noch nicht erreicht hat. Deshalb könnten die Konjunkturhilfen allenfalls langsam auslaufen. Kritiker fordern dagegen einen raschen Kurswechsel. Dieser soll verhindern, dass die Inflation außer Kontrolle gerät und die Notenbank am Ende um so radikaler bremsen muss.

Die Fed geht also mit ihrer Strategie des Abwartens eine riskante Wette ein. Erweist sich ihre Analyse als richtig, könnten die US- und damit auch die Weltwirtschaft sogar gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen. Nutznießer wären auch Staaten wie die Bundesrepublik, deren Wirtschaft stark vom Export abhängt. Im umgekehrten Fall hingegen könnten die Folgen dramatisch sein: Muss die Notenbank angesichts weiter steigender Preise die Notbremse ziehen und die Zinsen rascher und stärker erhöhen als geplant, könnte dies eine Weltwirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit und Wohlstandsverlusten auslösen, gegen die die Corona-Rezession ein laues Lüftchen war - auch in Deutschland.

Erste Hinweise auf das weitere Vorgehen der Fed lieferte Powell am Freitag bei der jährlichen Klausurtagung von Notenbankern aus aller Welt, die pandemiebedingt erneut nicht im malerischen Jackson Hole am Fuße des mächtigen Grand-Teton-Gebirges, sondern virtuell stattfand. Der Fed-Chef betonte, man habe die Teuerung im Blick und werde bei einer Verfestigung des Negativtrends "mit Sicherheit antworten". Umgekehrt lehre aber die Erfahrung, dass Notenbanken gut daran täten, zeitlich begrenzte Preisausschläge zu ignorieren. "Hier immer gleich zu reagieren, kann mehr Schaden anrichten als nutzen", sagte Powell. Er deutete an, dass die Fed womöglich noch in diesem Jahr damit beginnen könnte, ihre massiven Käufe von Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren schrittweise zurückzufahren, mit denen sie die langfristigen Kreditzinsen niedrig halten will und die sie 120 Milliarden Dollar im Monat kosten. Voraussetzung sei allerdings, dass sich der Rückgang der Arbeitslosenzahlen in den kommenden Monaten fortsetze und die Fed sich ihrem Ziel der Vollbeschäftigung weiter annähere, so der Notenbankchef.

Kredite könnten wieder teurer werden

Seine Ankündigung könnte dazu führen, dass sich Wirtschaft und Verbraucher in den USA mittelfristig wieder auf etwas höhere Kreditkosten einstellen müssen. Powell betonte allerdings, dass mit einer direkten Erhöhung des Leitzinses erst einmal nicht zu rechnen sei. Zu den Unsicherheitsfaktoren, die die Konjunktur bremsen und den Kurs der Fed erneut verändern könnten, zählte er unter anderem die Delta-Variante des Coronavirus, die auch in den USA die Zahl der Infizierten wieder deutlich hat ansteigen lassen.

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Wie auch immer es weiter geht: Der Notenbankchef steht vor zwei Problemen. Zum einen muss sich die Fed eingestehen, dass sie die wirtschaftliche und politische Lage teilweise falsch eingeschätzt hat. So überraschten sie die staatlichen Hilfspakete in ihrer Massivität ebenso wie der deutliche Anstieg der Mieten und der Löhne. Viele Firmen müssen nach der Entlassungswelle des vergangenen Jahres selbst in einfachen Berufen Boni und hohe Einstiegsgehälter bieten, um dringend benötigte Mitarbeiter zu finden. Weitere Preistreiber sind Lieferengpässe und ein zu geringes Angebot, etwa bei Halbleitern und Autos, gegen die die Fed nichts tun kann.

Tauben und Falken

Zum zweiten muss Powell den 18-köpfigen geldpolitische Ausschuss der Fed einen, der in drei etwa gleich große Lager gespalten ist. Da sind zum einen die sogenannten "Tauben", die argumentieren, die Erwerbslosigkeit insbesondere unter Älteren, Frauen, Geringverdienern und gesellschaftlichen Minderheiten sei für eine Beendigung der Stützungspolitik immer noch viel zu hoch. Die Fed dürfe daher weder die Wertpapierkäufe, geschweige denn ihre Nullzinspolitik beenden.

Ihnen gegenüber stehen die "Falken", die warnen, die hohen Preissteigerungen könnten die Inflationserwartungen von Arbeitnehmern und Unternehmen dauerhaft verändern und so jene gefährliche Spirale aus immer höheren Preisen und Löhnen erst in Gang setzen. Vor allem müsse die Fed die Ankäufe hypothekenbesicherter Wertpapiere drastisch reduzieren, weil diese die ohnehin explodierenden Immobilienpreise noch weiter in die Höhe trieben.

Powell und eine Handvoll weiterer "Zentristen" müssen zwischen den beiden Flügeln einen Ausgleich herbeiführen, denn am Ende kann die Fed nicht beides tun: Wertpapiere kaufen und sie nicht kaufen, die Zinsen erhöhen und sie nicht erhöhen. Zugleich darf ein Kompromiss aber auch nicht hilflos oder halbherzig wirken, da sonst Finanzmarktturbulenzen drohen.

Adam Posen, Chef des Peterson-Instituts für Internationale Wirtschaft in Washington, rät der Notenbank zu einem Mittelweg: "Das Inflationsproblem ist größer und wird uns länger beschäftigen als die Fed angenommen hat - und dennoch sollte sie nicht in Aktionismus verfallen," sagt der Ökonom. Er erwartet, dass Ende 2022 wieder weitgehend Vollbeschäftigung herrschen und die jetzigen Preisböen abgeflaut sein werden. Sollte es dann noch notwendig sein, könne die Fed die Leitzinsen erhöhen, notfalls auch deutlich.

Wie die kleinen Kinder

Mit dem Ausstieg aus den Wertpapierkäufen hingegen sollte die Notenbank aus Sicht Posens schon bald beginnen - wenn sie den Schritt kommunikativ sorgfältig begleitet. Ökonomisch gesehen nämlich werde ein solches "Tapering" kaum zu spüren sein, politisch aber sei es natürlich ein starkes Signal, dass die Zeit des billigen Geldes sich langsam dem Ende zuneige.

Ziel der Fed ist dabei, ein sogenanntes "Taper Tantrum" wie 2013 zu vermeiden. Damals, nach Überwindung der Weltfinanzkrise, hatte Powells Vorvorgänger Ben Bernanke schon einmal den Ausstieg aus einem Wertpapierkaufprogramm angekündigt - und damit Panik auf den Finanzmärkten ausgelöst: Die Anleihezinsen schossen in die Höhe, die Aktienkurse in den Keller. Taper Tantrum, wie die Kurzschlussreaktion der Börsianer seither in der Welt der Geldpolitiker heißt, lässt sich nicht wörtlich übersetzen. Es ist eher eine Anspielung auf die Wut- und Trotzanfälle anderer Erdenbürger, an die Börsianer mit ihrer gelegentlich zu beobachtenden Einfalt mitunter erinnern: kleine Kinder.

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