Leitzinsen:Die Fed hat keine Zeit zu feiern

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Ein Trio: US-Präsident Joe Biden nominierte Jerome Powell (links) für eine zweite Amtszeit als Fed-Chef, und Lael Brainard als seine Vertreterin. (Foto: Susan Walsh/AP)

US-Präsident Joe Biden hat mit dem Umbau der Notenbankspitze alles richtig gemacht. Dennoch müssen er und die Fed-Führung sich auf eine holprige Fahrt einstellen.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Dass es am Ende eines langen politischen Personalgerangels nur Gewinner gibt, kommt in etwa so oft vor wie die gemeinsame Teilnahme von Markus Söder und Wolfgang Kubicki an einem vierwöchigen Demutsseminar. Joe Biden jedoch ist mit seinen Umbauten bei der US-Notenbank Fed genau das jetzt gelungen. Jerome Powell, der in bisher vier Jahren an der Fed-Spitze erst Donald Trump und dann dem Virus trotzen musste, darf weitermachen. Lael Brainard, die Favoritin vieler Parteifreunde Bidens, rückt zwar nicht zur Chefin, wohl aber zur Vizechefin der wichtigsten wirtschaftspolitischen Behörde der Welt auf. Und glaubt man den Signalen aus dem Weißen Haus, dann wird der gesamte Fed-Vorstand die US-Gesellschaft bald sehr viel besser abbilden als der Klub überwiegend älterer weißer Herren dies bisher vermocht hat. Alles richtig gemacht also.

Das gilt umso mehr, als Biden ja intern gehörig unter Druck stand: Vor allem linke Parteifreunde hatten bis zuletzt darauf verwiesen, dass der Präsident gleich fünf Stellen und Positionen im siebenköpfigen Fed-Vorstand neu besetzen und der Notenbank so für lange Zeit einen kräftigen Anstrich in Blau verpassen könne - der Parteifarbe der Demokraten. Dass Biden der Versuchung widerstand, den eingetragenen Republikaner Powell trotz guter Arbeit zu feuern, zeigt, wie ernst er die Unabhängigkeit der Notenbank nimmt und wie bedeutsam es ist, ob im Weißen Haus ein Präsident mit Prinzipien oder ein selbstverliebter Populist regiert.

Zeit, sich erst einmal zu sammeln und in Ruhe die Bestätigung ihrer Nominierung durch den Senat abzuwarten, haben Powell und Brainard allerdings nicht. Im Gegenteil: Nach mehr als einem Jahrzehnt ultraniedriger Zinsen und wiederholter Deflationsgefahr steht die Fed heute vor dem genau umgekehrten Risikoszenario und der größten Bewährungsprobe seit der Weltfinanzkrise: Mit 6,2 Prozent liegt die US-Inflationsrate auf einem Stand wie zuletzt 1990, nicht wenige Ökonomen halten einen weiteren Anstieg auf über sieben Prozent für wahrscheinlich.

Viele Experten haben die Gefahr lange Zeit nicht erkannt

Lange Zeit hatten viele Experten die Augen vor dem Problem verschlossen und darauf gesetzt, dass sich die dramatische Teuerung als kurzlebige Pandemiefolge erweisen wird und man deshalb die Hände in den Schoß legen kann. Mittlerweile weiß man: kann man nicht. Zwar werden einige der coronabedingten Produktions- und Lieferschwierigkeiten tatsächlich von allein wieder verschwinden. Die Preise steigen aber mittlerweile mit einem Tempo und auf derart breiter Front, dass sich in den Köpfen vieler Menschen der Gedanke festzusetzen beginnt, es könne sich womöglich doch um ein dauerhaftes Problem handeln. Für eine Notenbank ist das sehr gefährlich: Denn ändern sich die sogenannten Inflationserwartungen, ist das Risiko immens, dass sich aus einem eigentlich harmlosen Teuerungsschub jene allseits gefürchtete Lohn-Preis-Spirale entwickelt, auf die meist Rezession und Arbeitslosigkeit folgen.

Entsprechend rasch und entschlossen muss der alte und wohl neue Fed-Chef Powell jetzt vom Konjunkturstützungs- in den Inflationsbekämpfungsmodus umschalten. Das heißt nicht, dass er die Leitzinsen hektisch anheben sollte - auch das wäre ein Rezept für einen wirtschaftlichen Einbruch. Es bedeutet aber sehr wohl, dass die Notenbank unmissverständlich und glaubwürdig klarmachen muss, dass sie die Preisentwicklung und die damit verbundenen Sorgen der Menschen bitter ernst nimmt und bei Bedarf tatsächlich energisch gegensteuern wird. Wirtschaft und Verbraucher kämen im Übrigen mit einer klar kommunizierten, bis Ende 2023 gestreckten schrittweisen Anhebung des Leitzinses auf annähernd zwei Prozent problemlos klar. Gleichzeitig könnte die Fed so ihren Instrumentenkasten wieder auffüllen und sich stärker auf die vielen strukturellen Preistreiber konzentrieren, die auch nach Überwindung der Pandemie bleiben werden.

Ganz allein allerdings wird es die Notenbank nicht richten können - das hat auch Biden erkannt: Um die Benzinpreise zu drücken, gab er nur einen Tag nach seinem Fed-Personalbeschluss einen Teil der strategischen Ölreserven seines Landes für den allgemeinen Verkauf frei.

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