EU und USA:Konflikte überschatten Neustart

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Neue Bosch-Chipfabrik in Dresden: Europa und die USA wollen mehr Halbleiter selber herstellen und sich unabhängiger von Lieferungen aus Asien machen. (Foto: Sven Döring)

Europa und die USA wollen nach dem Ende der Ära Trump ihre Handelsbeziehungen wieder aufnehmen. Doch die Vergangenheit droht die beiden Partner einzuholen.

Von Björn Finke, Brüssel, und Claus Hulverscheidt, Berlin, Brüssel/Berlin

Eigentlich könnte doch alles ganz einfach sein: Donald Trump ist weg, die Zeit der Kraftausdrücke vorbei, der Handelskrieg beendet. Und doch tun sich USA und Europäische Union auch acht Monate nach dem Auszug des lärmenden Immobilienunternehmers aus dem Weißen Haus schwer, einen Neustart ihrer Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zustande zu bringen. Trumps Amtszeit hat Narben und Misstrauen hinterlassen, die von ihm verhängten Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus Europa sind weiter in Kraft, hinzu kommen der jüngste Streit um U-Boot-Lieferungen an Australien und der verunglückte Truppenabzug aus Afghanistan, die das Gesprächsklima belasten. Kurzum, von einer Rückkehr zur Normalität kann noch keine Rede sein.

Immerhin: Seit Joe Biden das Präsidentenamt übernommen hat, sprechen beide Seiten wieder mit- statt vor allem übereinander. Sichtbarstes Zeichen dafür ist der neue Handels- und Technologierat, den Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juni in Brüssel aus der Taufe gehoben hatten und der sich an diesem Mittwoch in Pittsburgh zur ersten Sitzung traf. Mit Hilfe des Gremiums wollen die Partner die Regulierungsvorschriften und Industriestandards für Unternehmen dies- und jenseits des Atlantiks besser aufeinander abstimmen und gemeinsame Strategien für den Umgang mit Konkurrenten erarbeiten, vor allem mit China.

Um die Bedeutung des Rats zu betonen, entsandten Biden und von der Leyen hochkarätige Delegationen nach Pittsburgh: Außenminister Anthony Blinken, Wirtschaftsministerin Gina Raimondo und die Handelsbeauftragte Katherine Tai auf der einen, die Kommissionsvizepräsidenten Valdis Dombrovskis und Margrethe Vestager auf der anderen Seite. Dabei wäre die erste Zusammenkunft beinahe schon zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte: Aus Ärger über das geplatzte U-Boot-Geschäft mit Australien und die Rolle, die die USA dabei gespielt hatten, drang Frankreich lange darauf, das Treffen zu verschieben. Doch am Ende lenkte Paris ein.

EU und USA wollen verhindern, dass China die neuen globalen Standards festlegt

Konkrete Resultate gab es bei der Sitzung erwartungsgemäß nicht. Stattdessen vereinbarten beide Seiten gemeinsame Ziele, um deren Verwirklichung sich ingesamt zehn Arbeitsgruppen kümmern sollen. Einer dieser Arbeitskreise wird etwa globale Standards für neue Technologien wie künstliche Intelligenz ausarbeiten - auch um der Führung in Peking zuvorzukommen, die die Definition globaler Standards gerne in ihrem Sinne beeinflussen würde. Eine weitere Gruppe soll sich mit der Frage befassen, wie wichtige Zulieferketten stabiler gemacht werden können. So leidet die Industrie sowohl in den USA als auch in Europa derzeit unter einem gravierenden Mangel an Computerchips. Beide Seiten geloben nun, ihre Abhängigkeit von Halbleiterlieferungen aus Asien durch eine neue, koordinierte Strategie zu verringern.

Besser abstimmen wollen sich Brüssel und Washington auch bei den heiklen Themen der Exportkontrolle und der Prüfung von Firmenübernahmen durch ausländische Konzerne. Auch hier wird die Volksrepublik nicht explizit genannt, es ist aber klar, dass es um die Strategie Pekings geht, wichtige Tech-Firmen in Europa und Amerika aufzukaufen oder deren Technologien zu importieren. Die EU und die USA wollen darüber hinaus gegen Subventionen vorgehen, mit denen Peking heimische Konzerne stützt - zu Lasten westlicher Rivalen.

Dabei ist es der EU-Seite allerdings wichtig zu betonen, dass der Technologierat keine Anti-China-Allianz sei. Für so etwas gäbe es keinen Konsens unter den Mitgliedstaaten mit ihren unterschiedlichen außenpolitischen Positionen gegenüber China. Vestager sagte dazu, der Ehrgeiz der EU beim Technologierat "erschöpft sich nicht in der Ablehnung einer dritten Partei".

Der Streit über US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium ist immer noch nicht beigelegt

Damit jedoch wäre man wieder bei den Differenzen mit den USA, denn diese betrachten das neu geschaffene Gremium sehr wohl als eine Art Bollwerk gegen die Volksrepublik. Aus Sicht Bidens, vor allem aber einer großen Mehrheit des Kongresses, gehen die Europäer aus kurzfristigem wirtschaftlichen Interesse zu nachsichtig mit Peking um. Das zielt unter anderem auf die Bundesrepublik, die unter dem neuen Präsidenten - wie schon unter Trump - besonders im Visier der USA ist: So verhält sich Deutschland nach dem Dafürhalten der Amerikaner nicht nur allzu handzahm gegenüber Peking, vielmehr gebe Berlin auch zu wenig für die Verteidigung, die Stimulierung der Binnennachfrage und damit die Stützung der Weltkonjunktur aus.

Ein weiterer Streitpunkt dürfte die Frage werden, wie die Daten europäischer Bürger bei Transfers zwischen EU und USA künftig geschützt werden sollen. Nachdem europäische Gerichte die bisherige Absprache gekippt haben, dringt Washington auf ein rasches Ersatzabkommen, das es US-Firmen ermöglicht, Daten von EU-Nutzern problemlos zu verarbeiten und zu speichern. Die Kommission dagegen glaubt nicht an eine schnelle Neuregelung. Digitale Infrastruktur müsse sicher sein, damit die Menschen neuen Technologien vertrauten, sagte Dombrovskis bei einer Rede am Montag in Washington. "Deshalb nehmen wir den Schutz persönlicher Daten sehr wichtig, auch bei grenzüberschreitenden Transfers."

Und noch ein Überbleibsel aus der unseligen Trump-Ära könnte den neuen Technologierat bald einholen: die Sonderzölle auf Stahl und Aluminium, die der frühere Präsident 2018 verhängt hatte - angeblich zum Schutz der nationalen Sicherheit. Die EU reagierte seinerzeit mit Vergeltungszöllen auf diverse amerikanische Produkte, die sich Anfang Juni dieses Jahres eigentlich hätten verdoppeln sollen. Die Kommission verschob diese Verdopplung jedoch um ein halbes Jahr, um mit der Regierung Biden über eine Abschaffung aller Strafabgaben zu verhandeln. Passiert ist seitdem nicht viel, dabei muss eine Vereinbarung bis Anfang November stehen. Die Zeit, so mahnte Dombrovskis diese Woche in Washington, werde langsam knapp.

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