Handel:Kühle Atmosphäre

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Ein chinesischer Frachter im Hafen von Los Angeles: Die Exporte der Volksrepublik in die USA sind wegen der Strafzölle von Ex-Präsident Trump deutlich gesunken. (Foto: Patrick T. Fallon/Bloomberg)

Erstmals seit Joe Bidens Amtsantritt treffen Spitzenvertreter der US-Regierung und der chinesischen Führung zusammen. Beide Seiten brauchen einen Neuanfang - und belauern sich.

Von Christoph Giesen und Claus Hulverscheidt, Peking, Berlin

Wahrscheinlich waren es am Ende doch eher geografische als meteorologische Gründe, die Antony Blinken dazu bewogen haben, das erste amerikanisch-chinesische Regierungstreffen seit Amtsantritt von Präsident Joe Biden in Anchorage abzuhalten. Die Stadt liegt, großzügig gerechnet, etwa auf der Hälfte zwischen Washington und Peking, aber noch auf dem Gebiet der USA, was Biden angeblich wichtig war. Und doch hat es Symbolkraft, dass die Außenminister Blinken und Wang Yi am Donnerstag ausgerechnet im tiefgekühlten Alaska zusammenkommen, denn die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern sind auch nach dem Abgang des Polterpräsidenten Donald Trump weiterhin recht eisig.

Das erscheint auf den ersten Blick ein wenig kurios, denn Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatten jahrelang ein betont freundliches Verhältnis zueinander gepflegt. Doch dem neuen US-Präsidenten ist wohl schon seit Längerem klar, dass auch gute persönliche Beziehungen Xi nicht vom Ziel abbringen werden, China - an den USA vorbei - zur technologischen, wirtschaftlichen und politischen Weltmacht Nummer eins zu formen. Die Frage des Umgangs mit Peking sei für Washington "der größte geopolitische Test des 21. Jahrhunderts", so Blinken.

Sollte Xi also darauf gehofft haben, dass Biden etwa Trumps Importzölle auf chinesische Warenlieferungen im Wert von 350 Milliarden Dollar einfach streichen wird, dann dürfte er sich getäuscht haben. Zwar hält die neue US-Regierung derlei Strafabgaben weiter für ein eher zweifelhaftes Mittel, man bestreitet aber nicht, dass Trump die Bedrohung durch China grundsätzlich richtig eingeschätzt hat. Biden warnte Xi jüngst im ersten gemeinsamen Telefonat seit dem Machtwechsel im Weißen Haus, dass er die "unfairen wirtschaftlichen Praktiken" der Volksrepublik und ihrer staatlich kontrollierten Betriebe nicht tolerieren werde. Gemeint waren unter anderem der Diebstahl geistigen Eigentums, die massive Subventionierung chinesischer Hochtechnologiefirmen, die Gängelung ausländischer Konzerne durch die Pekinger Behörden sowie die Nutzung heimischer Tech-Firmen zu Spionagezwecken.

Biden will Trumps Fehler nicht wiederholen

Worauf Xi sich einstellen muss, hatte bereits die Reihenfolge der Telefonate gezeigt, die Biden in den ersten Amtswochen führte. Statt als Erstes den alten "Freund" und künftigen Großmacht-Rivalen in Peking anzurufen, sprach er zunächst demonstrativ mit Dutzenden Regierungschefs in Europa und Asien. Um viele von ihnen hatte sich Trump kaum geschert, was wiederum Xi die Möglichkeit eröffnete, die USA und einige ihrer traditionellen Verbündeten gegeneinander auszuspielen.

Diesen Fehler will Biden nicht wiederholen. Sein Ziel ist es vielmehr, eine Allianz zu schmieden, die politisch und wirtschaftlich so viel Druck ausüben kann, dass Peking schon aus eigenem Interesse Zugeständnisse macht. Erst wenn dieses Bündnis steht, könnten die Strafzölle, die ja den USA mindestens so schaden wie China, womöglich überflüssig werden und schrittweise fallen. Blinken, der zuvor noch Japan und Südkorea besucht, hat schon erklärt, dass er im Gespräch mit Wang eine ganze Liste von Punkten ansprechen will, "darunter auch die, bei denen wir tief greifende Meinungsverschiedenheiten haben". Dazu zählen neben vielen Wirtschaftsthemen vor allem Menschenrechtsfragen.

Die Pekinger Führung wiederum hofft auf eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA, Ziel sei ein "gesunder Wettbewerb auf fairer und gerechter Basis", so Wang. Zugleich sei klar, dass "China und die Vereinigten Staaten als zwei Länder mit unterschiedlichen Sozialsystemen natürlich Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten haben". Bidens Versuche einer Bündnisbildung betrachten Xi und seine Getreuen allerdings mit erheblichem Misstrauen, denn schon der Handelskrieg, den Trump vor ziemlich genau drei Jahren anzettelte, hat in China Spuren hinterlassen: Die Exportwirtschaft erlitt empfindliche Umsatzeinbußen, vor allem aber führte das rabiate Vorgehen der Amerikaner der Pekinger Führung die eigene Verwundbarkeit vor Augen: Ein paar präsidiale Dekrete in Washington genügten, um die chinesische Industrie vom Halbleiternachschub abzuschneiden oder einen Konzern wie den Netzwerkausrüster Huawei außerhalb Chinas in Existenznot zu stürzen.

China setzt auf mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit

Offiziell einräumen mag das die chinesische Regierung natürlich nicht. Ihr Verhalten in den vergangenen Monaten jedoch spricht Bände: Um nicht in eine Art handelspolitischen Zweifrontenkrieg verstrickt zu werden, stimmte Xi bereits kurz vor Ablauf von Trumps Präsidentschaft einem asiatischen Freihandelsvertrag zu, über den zuvor jahrelang ergebnislos verhandelt worden war. Ähnlich rasch einigte man sich mit der EU auf ein Investitionsabkommen.

Und noch einen Ansatz gibt es in Peking: mehr Autarkie. Mit viel Staatsgeld sollen Forschung und Entwicklung der heimischen Industrie vorangetrieben werden, sieben Branchen, darunter künstliche Intelligenz und Bioinformatik, will man darüber hinaus noch einmal speziell fördern. Ziel ist es, wirtschaftlich unabhängig zu werden: keine Energieimporte mehr und auch keine ausländische Technologie, auf die man angewiesen ist. Stattdessen auf der einen Seite ein innerchinesischer Wirtschaftskreislauf, der an Bedeutung zunimmt, sowie auf der anderen der Warenaustausch mit dem Ausland, der künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen soll. Eine schicke Bezeichnung für die neue Strategie hat die staatliche Propaganda bereits ersonnen: "duale Zirkulation".

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