Kommentar:Der Westen sollte den Wettbewerb annehmen

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Kaum ein Politiker hat sich über Jahrzehnte so engagiert für eine Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft eingesetzt wie der neue US-Präsident: Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping 2013 beim Händeschütteln. (Foto: Lintao Zhang/dpa)

Nicht einmal die mächtigen USA werden den weiteren wirtschaftlichen Aufstieg Chinas stoppen können. Im Bündnis mit Europa muss dem neuen Präsidenten Biden dennoch nicht bange sein.

Von Claus Hulverscheidt

Wer im Internet nach Fotos sucht, die Joe Biden mit Xi Jinping zeigen, wird rasch fündig werden: Dutzende Bilder poppen auf, zu sehen sind zwei Staatenlenker, die sich zuprosten, die Hände schütteln oder in dem, was Politiker für Freizeitkleidung halten, auf einen Trupp Jugendlicher einreden. Hier sind zwei, die sich verstehen, so scheint die Botschaft zu lauten - und tatsächlich: Kaum ein Politiker hat sich über Jahrzehnte so engagiert für eine Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft eingesetzt wie der neue US-Präsident.

Angesichts der Vorgeschichte läge es nahe, dass Biden die Zölle, die sein Vorgänger Donald Trump auf Importe aus der Volksrepublik verhängt hat, rasch zurücknimmt. Das wäre auch deshalb logisch, weil die Strafabgaben auf einem grundfalschen Verständnis von Volkswirtschaft beruhen und ihr Ziel, das US-Handelsdefizit gegenüber China zu beseitigen, weit verfehlt haben.

Und doch darf Biden genau das nicht tun. Denn auch wenn Trumps Methoden falsch waren - sein Bauchgefühl war es nicht: Seit Jahren verstößt die Regierung in Peking gegen die Welthandelsregeln. Sie lässt im Ausland Know-how stehlen und Konkurrenzfirmen aufkaufen, sie päppelt heimische Konzerne mit Subventionen und erschwert Konkurrenten den Zugang zum chinesischen Markt. Ziel all dessen ist die Weltmarktführerschaft in allen Zukunftstechnologien - von der künstlichen Intelligenz über das autonome Fahren bis zur Raumfahrt. Gelingt der Volksrepublik das Unterfangen, wird sie die Welt mittelfristig nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch, militärisch und ideologisch dominieren.

Wie könnte eine Antwort der USA und Europas aussehen? Wichtig wären zunächst einmal gleich drei Eingeständnisse. Erstens: Der vor drei Jahrzehnten entwickelte Plan, mit dem westlichen Wirtschaftssystem zugleich Freiheit und Demokratie nach China zu exportieren, ist gescheitert. Zweitens: Nicht einmal die mächtigen Vereinigten Staaten werden den weiteren wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik auf Dauer verhindern können. Und drittens: Konfrontation allein bringt nichts, ja, ist sogar kontraproduktiv, denn manchen Kampf, etwa den gegen den Klimawandel, wird die Welt nur gemeinsam gewinnen können.

Verletzt China eine Regel, muss es eine rasche gemeinsame Antwort geben

Kurzum: Anstelle von Naivität und aggressiven Alleingängen à la Trump benötigen Nordamerika, die EU und ihre Verbündeten in Asien eine neue, gemeinsame Strategie, die einerseits die Zusammenarbeit mit Peking ermöglicht, zugleich aber den Systemwettbewerb annimmt und klare Regeln für den Fall weiterer wirtschaftspolitischer Fouls Chinas aufstellt. Statt über die Pekinger Investitionsoffensiven zu lamentieren, müssen insbesondere die USA und die EU-Staaten selbst viel mehr Geld in die Entwicklung der wichtigsten Zukunftstechnologien stecken. Statt sich gegenseitig die Butter vom Brot zu nehmen, sollten sie Auf- und Ausgaben teilen, Normen und Standards vereinheitlichen, Informationen und Know-how austauschen. Und statt über die Besteuerung von Digitalkonzernen oder den Schutz der Privatsphäre zu streiten, sollten sie Kompromisse suchen und gegenseitige Antipathien aus der Ära Trump überwinden.

Vor allem aber: Verletzt China eine Regel, muss es eine rasche gemeinsame Antwort geben. Denkbar sind Finanzsanktionen, Im- und Exportstopps für Spitzentechnologien, gezielte Zölle, Investitions- und Übernahmeverbote oder der Ausschluss chinesischer Firmen von westlichen Staatsaufträgen - ein Arsenal, das Peking sehr wohl schrecken dürfte. Denn wahr ist ja auch: So sehr die Volksrepublik die Welt von ihren Werkbänken und Konsumenten abhängig gemacht hat, so sehr braucht sie umgekehrt das Know-how und die Konsumenten der Welt.

Gelingt es Biden und den neuen, alten Partnern Amerikas, ihre Idee von Freiheit, Demokratie, Weltoffenheit und Regeltreue mit neuem Leben zu füllen, dann braucht der Westen die Auseinandersetzung mit China nicht zu fürchten. Im Gegenteil: Dann hat er beste Chancen, den Systemwettbewerb gegen ein autoritäres, nationalistisches, merkantilistisches Unterdrückerregime zu gewinnen.

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