USA:Millionen Amerikaner kündigen ihren Job

New York gets back to normal Worker buses a table in a restaurant in Chelsea in New York on Saturday, September 4, 2021.

Immer unbeliebter: Viele Menschen wollen nach Überwindung der Corona-Rezession nicht mehr in Restaurants und Hotels arbeiten

(Foto: Richard B. Levine/imago)

Im August haben so viele US-Bürger ihren Arbeitgeber verlassen wie noch nie. Die Menschen haben gemerkt, dass andere Unternehmen händeringend Personal suchen - und ergreifen ihre Chance.

Von Claus Hulverscheidt

Als im Frühjahr vergangenen Jahres die Pandemie über die Vereinigten Staaten hereinbrach, da gab es Tage, an denen verloren landesweit eine Million Menschen ihren Arbeitsplatz. Allein im März und April 2020 zählte die Regierung in Washington rund 20 Millionen Entlassungen, und noch heute liegt die Zahl der Beschäftigten um fünf Millionen unter jenen Werten, die in Vor-Corona-Zeiten einst üblich waren. Es wäre insofern nicht verwunderlich, wenn sich die Arbeitnehmer, die von der Welle verschont blieben, bis heute umso heftiger an ihre Jobs klammerten. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Laut Arbeitsministerium kündigten allein im August dieses Jahres 4,3 Millionen Amerikaner ihre Festanstellung. Das entspricht fast drei Prozent aller Beschäftigten im Land und ist die höchste Quote, die seit Einführung der Statistik 2001 gemessen wurde. Binnen fünf Monaten gaben damit fast 20 Millionen Menschen ihren bisherigen Job auf. In früheren Jahren waren monatliche Kündigungsquoten zwischen ein und zwei Prozent üblich, die sich mit dem Konjunkturverlauf auf und ab bewegten. Doch seit Herbst 2020 liegen die Werte deutlich über der einst üblichen Spanne.

Besonders hart traf die Kündigungswelle im August das Hotel- und Gaststättengewerbe, das in gut vier Wochen 892 000 Abschiede hinnehmen musste. Im Einzelhandel waren es 721 000, im Bereich professioneller Geschäftsdienstleistungen - also etwa bei Finanz-, Rechts- und Marketingberatern - 706 000 und im Gesundheitswesen 534 000. Banken, Versicherungen, Immobilienfirmen und der Staat hingegen blieben weitgehend verschont. Auffallend ist auch, dass es an der Ost- und der Westküste mit ihren großen Metropolen spürbar weniger Kündigungen gab als im Süden und der großen Mitte des Landes.

Viele Firmen müssen Bewerbern höhere Gehälter bieten als bisher

Die Statistiker des Arbeitsministeriums geben in ihrem Bericht keine Gründe für die vielen Abschiede an. Experten sind sich aber einig, dass hinter der Entwicklung ein ganzes Bündel aus Motiven und Verhaltensänderungen steckt. So hat etwa der Internationale Währungsfonds jüngst konstatiert, dass die Erholung des US-Arbeitsmarkts nach Überwindung der Corona-Rezession anders verläuft als nach früheren Wirtschaftseinbrüchen. Einerseits dauert es länger, die Erwerbslosenquote wieder auf das Vor-Corona-Niveau zu drücken, andererseits haben zahllose Unternehmen größte Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter zu finden. Der Grund: Viel mehr Menschen als früher sind während der Pandemie weggezogen und suchen heute Jobs in anderen Regionen des Landes. Andere orientieren sich beruflich um, wieder andere wollen wegen der anhaltenden Gesundheitsgefahren nicht mehr in Berufen mit viel direktem Kundenkontakt arbeiten.

In der Summe führt das dazu, dass in zahlreichen Branchen akuter Arbeitskräftemangel herrscht - mit allen Folgen, die das in einer Marktwirtschaft hat: Die Firmen sind gezwungen, Bewerbern höhere Gehälter oder andere Annehmlichkeiten zu bieten, von mehr Urlaub über eine günstigere Krankenversicherung bis zu einer besseren Kinderbetreuung. Hinzu kommt eine Neuerung: Die Pandemie hat bewiesen, dass die Beschäftigten in vielen Branchen statt in der Firma auch von zu Hause aus arbeiten können, ohne dass der Arbeitgeber fürchten muss, sie würden faulenzen.

Die Republikaner streichen Hilfen für Arbeitslose - ohne Erfolg

Für die Arbeitnehmer eröffnet sich damit eine schöne neue Welt, wie es sie selten gegeben hat: Sie können schlecht bezahlten Jobs, Berufen mit Schichtdienst oder unfreundlichen Chefs den Rücken kehren und sich genehmere Stellen mit höheren Gehältern suchen. Zugleich haben die Menschen durch die Home-Office-Möglichkeiten eine größere Auswahl, weil sie sich auch Firmen anbieten können, die weit entfernt von ihrem Wohnort residieren. Das gilt beispielsweise für die großen Tech-Unternehmen, die etwa für Arbeitnehmer im mittleren Westen bisher oft keine Option waren. "Die Arbeitnehmer haben eine bessere Verhandlungsposition, als sie es in der Vergangenheit hatten", sagte Nick Bunker, Volkswirt bei der Arbeitsvermittlungsbörse Indeed, der Washington Post. "Es gibt eine große Nachfrage, die Leute ergreifen die Chance und kündigen ihren Job."

Es ist in der Tat ein seltsamer Wiederaufschwung am US-Arbeitsmarkt: Einerseits liegt die Zahl der Beschäftigten um fünf Millionen niedriger als zu Beginn der Pandemie, andererseits gibt es seit Monaten unverändert um die zehn Millionen offene Stellen. Viele republikanisch regierte Bundesstaaten machen Präsident Joe Biden für die Entwicklung verantwortlich und haben die zusätzlichen Hilfen für Arbeitslose, die zu Beginn der Pandemie eingeführt worden waren, wieder gestrichen. Motto: Viele Menschen wollen gar nicht arbeiten, weil es ihnen dank Staatshilfe auch so gut geht. Ob das stimmt, weiß allerdings niemand so recht. Gebracht jedenfalls haben die Sozialkürzungen bisher nichts.

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