Was, wenn der Chef eine Maschine ist? Für mehrere Millionen Menschen sei das schon der Fall, sagt Alex Rosenblat. Sie arbeiten für Algorithmen - jene der Fahrdienst-Apps Uber und Lyft. Für die Fahrer bedeute das: Dauerüberwachung, automatisierte Manipulation - und die ständige Drohung, nicht mehr arbeiten zu dürfen, ohne zu wissen, warum. Die kanadische Ethnografin ist viel "geubert". Sehr viel. 5000 Meilen in drei Jahren, in 25 Städten der USA und Kanada. Sie hat dabei 125 Fahrer interviewt. Ihre Erkenntnisse über die Hauptpersonen der "Gig Economy" stehen in ihrem Buch "Uberland", über das sie in dieser Woche auf der Digitalkonferenz Republica in Berlin sprach.
Das Uber-Modell ist für sie Vorgeschmack auf eine Zukunft, in der Algorithmen Menschen sagen, wo sie sich wann aufhalten sollen, ihr Einkommen immer wieder herauf- oder heruntersetzen, und sie immer wieder durch ein Dauerfeuer von Anreizen dazu bringen, zu arbeiten. "Uber ist fähig, die Arbeitsbedingungen der Fahrer und die Preise zu manipulieren." Das Unternehmen tue so, als sei seine App nur ein technisches Hilfsmittel, "wie eine Kreditkarte - aber die Technologie ist nicht neutral". Der "algorithmische Boss" sei im Uberland längst Realität.
Ubers Versprechen laut Rosenblat: Wir skalieren das Unternehmertum, mit uns kann jeder in die Mittelschicht aufsteigen. Die Geschichten, die Rosenblat gesammelt hat, sind aber keine Heldengeschichten. Sie erzählt von Fernando, der 42 000 Dollar für ein neues Auto ausgab, weil Uber den Jahrgang seines Autos nicht erlaubte - nur um diese Regel nach Fernandos Start fallen zu lassen. Nun schämt er sich vor seiner Familie, der er dank gekürztem Fahrer-Anteil am Fahrpreis weniger Geld nach Hause bringt.
Besonders schlimm ist die "Kotz-Schicht"
Von Raul aus New York, der acht bis neun Stunden am Tag fuhr - bis Uber seinen Anteil kürzte. Seitdem müsse er 12 bis 14 Stunden am Tag arbeiten. Von Nathan, einem Lyft-Fahrer. Er therapierte Traumatisierte - für ihn war der Smalltalk mit den Fahrgästen ein Ausgleich zu den Belastungen in seinem Haupt-Job. Von dem Sozialarbeiter, den an seinem vierten Arbeitstag ein Jugendlicher ins Gesicht schlug, und der dann anfing zu fahren - er fühlte sich im Auto einfach sicherer. Sexuelle Belästigung von Fahrern sei dennoch ein Thema, sagt Rosenblat. Manche Frauen vermieden die nächtliche "Kotz-Schicht", in der betrunkene Männer das Auto versauen oder sie belästigen. Wer klug ist, installiert eine Kamera, um zu filmen, was im Auto passiert. Viele schätzen dennoch die Freiheit, die Uber bringt. Immer wieder hörte Rosenblat von Geringverdienern, so könnten sie ihre Kinder öfter sehen als in Jobs mit Schichtbetrieb.
Dafür setzen sich die Fahrer einem undurchsichtigen Anreiz- und Sanktionssystem aus. Die App überwacht, wie oft sie bestellte Fahrten nicht antreten, wie sie beschleunigen und bremsen. Das Uber-System verursacht Stress. "Die Fahrer gehen oft heim voller Nervosität, ob ein Kunde sie schlecht bewertet hat, selbst wenn es nur das Wetter war, das die Fahrt erschwert hat." Die schlimmste Strafe heißt "Deaktivierung". Ist die Durchschnittsbewertung durch Fahrgäste zu schlecht, darf der Fahrer seine Dienste nicht mehr anbieten.
Absurdeste Argumentation von Uber: Die Fahrer seien ja wie die Passagiere nur "Kunden" des Unternehmens, schließlich lizensierten sie gegen Gebühr Ubers Software. Viele Fahrer mit einem Problem müssen sich beim "Kundendienst" melden. Dann beginnt ein E-Mail-Ping-Pong mit Mitarbeitern auf den Philippinen, die oft Textbausteine schicken. In Deutschland ist Uber mit seiner Vermittlung von Fahrern mit Privatwagen immer wieder an Behörden und Gerichten gescheitert. An diesem Freitag ist Uber an die Börse gegangen und hat acht Milliarden Dollar eingenommen. Rosenblat erzählt, Uber habe ihr oft widersprochen - ihr dann aber einen Job angeboten, um für das Unternehmen selbst zu forschen. Sie entschied sich, das Buch zu schreiben. Dabei könne ihr Uber nicht reinreden.