Jetzt ist die Frage, ob Kevin Mayer nicht damit hätte rechnen können, ein Spielstein der Weltpolitik zu werden. Der Manager ist selbst ein Machtmensch, ein "Dealmaker", und "laser-fokussiert", wie es Bob Iger, sein ehemaliger Chef bei Disney, formulierte. Aber Tiktok, das Unternehmen, das Mayer erst seit Mai führt, wurde so brutal von Donald Trump unter Druck gesetzt wie kein anderes. Deshalb tritt Mayer nun nach nur drei Monaten im Amt zurück. Der große Tiktok-Deal, den Trump forciert, wird ohne ihn stattfinden.
Erst zum 1. Juni hatte Mayer die Führung von Tiktok übernommen, jener extrem beliebten Video-App, auf der Hunderte Millionen Teenager kurze Filme von Tänzen oder Sketchen hochladen, ansehen und verbreiten. Eigentlich einer der vielversprechendsten Posten in der Digitalwirtschaft. Doch nun werfe er hin, weil sich das "politische Umfeld" erheblich verändert habe, schrieb der 58-Jährige in einem Brief an die Mitarbeiter. Tiktok erklärte: "Wir sind uns bewusst, dass die politische Dynamik der vergangenen Monate den Umfang von Kevins Rolle für die Zukunft erheblich verändert hat. Wir respektieren seine Entscheidung voll und ganz."
Es sind zurückhaltende Formulierungen dafür, dass Trump dem Unternehmen ein Ultimatum bis November gesetzt und Mayers Job damit hochpolitisch gemacht hat: Tiktoks Eigentümer-Konzern Bytedance muss bis dahin einen Käufer finden - oder die App wird verboten. Als Käufer im Rennen sind Microsoft und angeblich Oracle. Auch der japanische Konzern Softbank soll interessiert sein, der Handelskonzern Walmart will Microsoft unterstützen.
Weil Bytedance ein chinesischer Konzern ist, wirft die US-Regierung Tiktok vor, Daten seiner amerikanischen Nutzer nicht vor dem Zugriff des chinesischen Staates zu schützen. Tiktok beteuert, man gebe keine Daten an China weiter. Die Einstellung des bekannten US-Amerikaners Mayer sollte auch Tiktoks Image als Weltfirma ohne Verbindungen nach China belegen.
In dem Streit erwarte Tiktok bald eine Lösung, schrieb Mayer nun, nachdem das Unternehmen diese Woche Klage gegen Trumps Order eingereicht hatte. Doch wie die Lösung aussieht, will der Manager offenbar nicht abwarten. Der Sender CNBC hat eine andere Erklärung: Der selbstbewusste Mayer sei verärgert gewesen, dass er an Gesprächen mit Kaufinteressenten nicht beteiligt wurde. Schon vor Mayers Amtsantritt hatte sich angekündigt, dass Trumps Handelskrieg mit China irgendwann auch Digitalfirmen erfassen würde. Besonders Facebook-Chef Mark Zuckerberg stellte die chinesische Konkurrenz seines sozialen Netzwerks als Gefahr dar.
Es ist also das Ende einer äußerst kurzen Amtszeit. Das gilt insbesondere in Anbetracht der 27 Jahre, die Mayer zuvor seinem vorherigen Arbeitgeber die Treue hielt. Bei Disney hatte er 1993 angefangen und das Marken-Portfolio mit den Zukäufen von Pixar, Marvel und Lucasfilm vergrößert. Zum Reich von Micky Maus gehören nun auch Spiderman und Luke Skywalker. Als Abschiedsgeschenk für seinen alten Arbeitgeber hatte er noch Disney+ gestartet, jenen Streamingdienst, der Fans jederzeit mit den wertvollen Disney-Franchises versorgt und Netflix ernsthaft Konkurrenz macht. Das schon immer reiche, aber irgendwie auch beschauliche Entenhausen ist auch dank Mayer ein Multichannel-Unterhaltungs-Multiversum geworden.
Bei Disney galt er deshalb auch lange als Kronprinz, wurde dann aber bei der Nachfolge von CEO Iger Anfang des Jahres übergangen - und ging daraufhin zu Tiktok. Dort folgt auf Mayer nun vorerst Vanessa Pappas, die bislang das US-Geschäft leitete. Nun führt sie das Unternehmen, das es in dieser Form im November wohl nicht mehr geben wird.