Lebensmittelwirtschaft:Mit Fertigpizza in die Katastrophe

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Fast Food vom Band - Pizza-Produktion bei Dr. Oetker. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Die Deutschen kaufen so viel Tiefkühlware wie nie zuvor - daran lässt sich einiges ablesen über den Zustand der Nation.

Von Lea Hampel

Es gibt diverse Zahlen zu Lebensmitteln und ihren Zahlen, anhand derer Wissenschaftler den Zustand einer Kultur, einer Volkswirtschaft, ja des Menschen ganz allgemein deuten. Berühmt ist der Big-Mac-Index, der die Kaufkraft in unterschiedlichen Ländern illustriert. Die gefühlt wichtigste Zahl dieser Art im Wahlkampf - zum Stand des Landes oder eines Politikers - ist der Butterpreis. Kaufen die Menschen viele Nudeln, haben sie Angst. Zahlen sie im September in München fast 15 Euro für einen Liter Bier, wollen sie die Krise vergessen. All diese Interpretationen sind logisch. Doch dann gibt es Zahlen aus dem Ernährungsbereich, die geben doch Rätsel auf, zumindest auf den zweiten Blick. Zum Beispiel vermeldet das, ja das gibt es wirklich, "Deutsche Tiefkühlinstitut", Rekordumsätze. 1,974 Millionen Tonnen Tiefkühlware haben die Deutschen im Jahr 2022 im Einzelhandel gekauft, jede Bürgerin hat im Schnitt 1,6 Kilogramm mehr davon verzehrt als noch im Vorjahr. Das liegt alles über dem Niveau von vor der Pandemie, und Eiscreme ist da nicht mal mitgerechnet.

Nun ergeben sich aus diesen eindrücklichen Zahlen mehrere Theorien: In der Krise hatten keine Restaurants offen, in den sozialen Netzwerken hat plötzlich noch der küchenfremdeste Mensch präsentiert, wie gut sein erstes Brot gelungen ist. Mittlerweile dominieren auf Instagram wieder Strandbilder und Restaurantselfies. Statt auf den Wochenmarkt gehen die Menschen wieder in die Kneipe, wo es aufgetautes Knoblauchbaguette gibt. Mit dem Stress ist der Fraß zurück, daheim wie außer Haus.

Der Trend: "Zeitsparende Mahlzeitenlösungen"

Zweite Theorie: In der Krise gab es durchaus Menschen, die nicht gekocht haben, sondern Dinge erledigt haben, die auf der Beliebtheitsskala so weit hinten stehen, dass eine Pandemie stattfinden muss, bis man sich ihnen zuwendet. Die Lockdowns, praktisch im Winter gelegen, dürften manchen bewogen haben, die privaten Eisberge in ihren Tiefkühltruhen abzutragen. Wenn wieder mehr Platz ist, kann wieder mehr gekauft werden - Blätterteig und Erbsen sind das Lebensmittelpendant zu all den Bilderrahmen und Lampen, die Menschen in den Monaten des Dauerdaheimseins bestellt haben, weil sie ihre vier Wände nicht mehr sehen konnten.

Was zur nächsten Theorie führt: Die von Experten als "TK" bezeichnete Ware ist vor allem "KP", nämlich Krisenprävention. Die Liste des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz für den Ernstfall ist nicht gerade appetitanregend, vier Kilo Hülsenfrüchte und "Kartoffeltrockenprodukte", nun ja. Der Hype um Tiefkühlkost liegt laut dem Verband vor allem in "zeitsparenden Mahlzeitenlösungen", wie es im Lebensmittelindustrie-Deutsch heißt, gemeint sind Tiefkühlpizzen und ihre ebenfalls kalorienreichen Verwandten. Das legt den Verdacht nahe, dass so mancher sich nach und vor der Krise einfach nicht mit Dosenobst versorgen will, sondern mit Dingen, die Spaß machen. Wenn schon Katastrophe, dann mit Tiefkühlpizza. Das setzt voraus, dass man auch ein Notstromaggregat zur Krisenvorbereitung gekauft hat. Auch die boomen, und, so lässt sich in Fachforen nachlesen, reichen für den Tiefkühler, den Backofen schließt man am besten abwechselnd dazu an.

Stellt sich die Frage, ob der Trend bleibt - oder ob mancher Bürger angesichts hoher Energiekosten die Zweittruhe im Keller abschafft. Sollten im kommenden Jahr ein paar Tonnen "TK" weniger für 2023 verkündet werden, wird die Zahl auf jeden Fall etwas über den Zustand der Nation aussagen.

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