Szenarien:Nach dem Drama ist vor dem Drama

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Auf die Wand eines Museums in Athen wurden am Sonntagabend die Zwischenstände der Auszählung projiziert. (Foto: AP)

Der EU bleibt wenig Zeit für neue Gespräche mit Athen. Diesen Montag trifft die EZB eine folgenschwere Entscheidung.

Von Cerstin Gammelin

Um kurz nach 18 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit beginnt sich die Stimmung bei etlichen Politikern in Berlin, Brüssel und Paris zu verdüstern. "Sieht schlecht aus", sagt einer am Telefon, "schon 52 Prozent haben mit Nein gestimmt". Neunzig Minuten später verfinstern sich die Gemüter weiter. Da hat, nach Auszählung von zehn Prozent der abgegebenen Stimmen, das griechische Innenministerium soeben mitgeteilt, etwa 60 Prozent der Wähler hätten gegen die von Europa verordnete Spar- und Reformpolitik votiert.

Eine klare Mehrheit also hat getan, was Ministerpräsident Alexis Tsipras empfohlen hatte - das nach monatelangen Verhandlungen zum finalen Angebot erklärte Paket der Gläubiger abzulehnen. Logisch also, dass die Regierung Tsipras das Nein als neues, starkes Mandat versteht, um mit den Euro-Partnern ein besseres Hilfspaket auszuhandeln - und ihre Forderung nach Umschuldung durchzusetzen.

Die Euro-Strategen hatten vor dem Referendum angekündigt, dass es bei einem Nein noch schwerer werden würde, überhaupt noch einen Deal auszuhandeln; und dass die Konditionen härter ausfallen könnten als bisher angeboten.

Am Sonntagabend war nicht absehbar, ob die Euro-Partner diese harte Linie weiter fortsetzen würden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande teilten mit, sie wollten sich am Montagabend in Paris zu einem Arbeitsessen treffen, um über eine "langfristige Lösung" für Griechenland zu beraten. Nur einen Tag später, am Dienstag, soll es ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel geben. Offenbar muss jetzt alles schnell gehen.

Aus Athen liegt eine Anfrage vor, die Notkredite zu erhöhen

Denn das klare Nein ist auch so zu lesen, dass der bisherige Kurs der Europäer bei der Griechenland-Rettung gescheitert ist. Die Europäische Union und noch mehr die Währungsunion stehen damit vor einer neuen Entscheidung. Europas Politiker müssen sich darüber klar werden, wie sie auf das Referendum reagieren wollen: sie könnten der gestärkten Regierung eine neue Offerte vorlegen - oder keine Hilfe mehr anbieten und damit eine neue Realität schaffen, weil dann die Banken in Griechenland geschlossen bleiben müssten und das Land im Chaos versinken könnte. Ob die Banken öffnen, hängt davon ab, ob es die Europäische Zentralbank der griechischen Notenbank erlaubt, die heimischen Geldinstitute mit Notkrediten zu versorgen.

Die Europäische Zentralbank ist erneut der entscheidende Spieler. Sie wird eine technische Entscheidung mit weitreichenden politischen Auswirkungen fällen. Am Montagmorgen will sich das Direktorium der Notenbank treffen. Es liegt bereits eine Anfrage aus Athen vor, die Notkredite zu erhöhen. Heben die Notenbanker den Daumen, können die Banken wieder öffnen - weiteres Chaos bliebe aus. Senken sie den Daumen, ist ungewiss, ob ein humanitäres Desaster noch zu verhindern ist.

Die Europäische Union steht nicht das erste Mal vor der Tatsache, dass ein nationales Referendum anders ausgeht als erhofft. Jedes Mal reagierten die Staats- und Regierungschefs bisher besonnen - und berücksichtigten die nationalen Interessen. Irland (Vertrag von Lissabon) und Dänemark (Vertrag von Maastricht) bekamen eine zweite Abstimmung. Frankreich und die Niederlande erzwangen per Referendum Änderungen am EU-Verfassungsentwurf.

Vor dem griechischen Referendum hatten die Euro-Politiker klar gemacht, dass sie sich ein Ja wünschten. Wenn die griechischen Bürger für die Spar- und Reformauflagen stimmten, stellten sie ein schnelles neues Hilfsprogramm in Aussicht. Einige von ihnen, darunter EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Euro-Gruppen-Vorsitzender Jeroen Dijsselbloem hatten vor dem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone, einem Grexit, gewarnt, falls mit Nein gestimmt würde.

Griechenland kann nicht aus der Währungsunion geworfen werden

Die griechische Regierung reichte jedoch vorsorglich bereits in der vergangenen Woche den Antrag auf neue Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsfonds ein und signalisierte, diverse Auflagen dafür zu erfüllen. Die bisherigen Gespräche waren auch daran gescheitert, dass die Euro-Retter nicht bereit gewesen waren, die Forderung nach einem Schuldenschnitt zu akzeptieren. Die Regierung Tsipras hatte seit Amtsantritt am 26. Januar 2015 gefordert, über eine Umschuldung zu verhandeln. Die Gläubiger hatten dies stets abgelehnt mit dem Hinweis, dass Athen vor allem sparen und reformieren solle. Am vergangenen Donnerstag war der Internationale Währungsfonds (IWF) der griechischen Regierung zur Seite gesprungen. Der Washingtoner Fonds forderte in einer Schuldentragfähigkeitsanalyse, dass Athen dreißig Prozent der Schulden erlassen werden müssten, um dem Land überhaupt die Chance zu geben, wieder auf die Beine zu kommen.

Nach dem Referendum verlautete aus Athen, man werde Auflagen aus Brüssel akzeptieren, wenn zugleich der vom IWF vorgeschlagene Schuldenschnitt von den Gläubigern akzeptiert werde. Zu den wenigen, die ihre Stimme vorab mäßigend erhoben hatten, gehörte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Es gehe "ganz eindeutig nicht um die Euro-Zone", hatte er klargestellt - aber dennoch ein Ja empfohlen, um ein neues Kapitel bei den Verhandlungen aufzuschlagen.

Ein Nein verringere den Verhandlungsspielraum. Eine Gewissheit gibt es jedenfalls: Die EU-Mitgliedstaaten haben völkerrechtliche Verträge geschlossen, um als Gemeinschaft handeln zu können. Der 1992 unterschriebene Vertrag von Maastricht regelt unter anderem die Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Er wurde 2007 durch den Vertrag von Lissabon reformiert, der erstmals jedem Mitgliedstaat das Recht auf Austritt aus der Gemeinschaft einräumt. Dazu muss der souveräne Staat einen Antrag stellen - der bis zu zwei Jahre lang verhandelt wird.

Für Griechenland heißt das, dass das Land nicht aus der Währungsgemeinschaft geworfen werden kann. Als souveräner Staat kann das Land nur selbst austreten. Griechenland müsste dazu einen Antrag stellen, dieser Antrag müsste mit allen EU-Staaten verhandelt werden. Was bedeutet: Die Gespräche gehen weiter, in jedem Fall.

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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