Raumfahrt :Mit dem Tesla zur Startrampe

Lesezeit: 3 min

Die Dragon-V2-Kapsel des Raumfahrtunternehmens Space-X. (Foto: dpa)

Bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa bricht eine neue Ära an: Erstmals darf die private Raketenfirma Space-X Astronauten zur Raumstation ISS fliegen.

Von Dieter Sürig, München

Es gibt einen Ort im Kennedy Space Center der Nasa in Florida, der den Wandel der amerikanischen Raumfahrt besonders gut symbolisiert: dort, wo sich neben dem Atlantik Startrampe an Startrampe reiht. Vom Launch Pad 39A brachen 1969 die ersten Menschen mit einer Saturn-V-Rakete auf, um auf dem Mond zu landen, ebenso starteten hier andere Apollo-Missionen und das Space Shuttle. Rampe 39A ist ein historischer Ort, den die Nasa 2014 trotzdem an den kalifornischen Raketenhersteller Space Exploration Technologies von Elon Musk vermietet hat. Dies zeigt, dass es keine Tabus gibt, wenn es darum geht, Raumfahrt zu privatisieren. Die Nasa möchte Raumschiffe nicht mehr besitzen, sondern als Kunde buchen, um die Flüge billiger zu machen, wie Nasa-Chef Jim Bridenstine betont. Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass deshalb der nächste historische Astronauten-Flug zum Mond, geplant für 2024, ausweichen muss - zur Nachbarrampe 39B, die gerade für die gemeinsam mit Boeing entwickelte Mondrakete SLS umgebaut wird.

"Ein bisschen Gänsehaut habe ich immer, wenn ich durch das Gate und den Hügel hinauffahre", sagt Space-X-Vizepräsident Hans Koenigsmann über die Rampe 39A. "Der Platz hat Geschichte, und das spürt man deutlich." Der deutsche Raumfahrtingenieur hat dabei den ersten bemannten Flug von Space-X zur Raumstation ISS im Blick, der dort am Mittwoch abheben soll. "Das ist der nächste historische Meilenstein für das Launch Pad", sagt er. Zum ersten Mal überhaupt würde mit der Demo-2-Mission ein Privatunternehmen Menschen in den Orbit befördern. Und es wäre seit 2011 auch der erste Flug von Nasa-Astronauten, der von den USA aus startet. Der Beginn einer neuen Ära.

Es ist ein neues Geschäftsmodell, dessen wirtschaftliches Potenzial noch gar nicht absehbar ist - initiiert von der Nasa als Commercial Crew Program. Schon 2006 hatte die Behörde auf ähnlichem Wege private Anbieter gesucht, die ein unbemanntes Raumschiff zur Versorgung der ISS bauen sollten. Auch hier war Space-X erfolgreich. Die Kalifornier haben bisher 20 Frachtflüge absolviert, ein weiterer scheiterte allerdings. Und nun also der erste Astronautenflug, dem nicht nur Ausflüge mit Weltraumtouristen folgen könnten. So will Space-X einen japanischen Milliardär um den Mond fliegen, der Schauspieler Tom Cruise einen Film auf der ISS drehen.

Unter dem Slogan "Launch America" fiebert die Nasa seit Wochen dem Mittwoch entgegen. Und in normalen Zeiten wäre es wohl wieder so gewesen wie beim Mondflug 1969 oder beim ersten Start des Space Shuttle 1981. Doch normale Zeiten sind es wegen Corona nicht. Nasa-Mitarbeiter und Crew müssen geschützt werden und auch die Raumfahrtbegeisterten, die sonst zu Zehntausenden zu den Nasa-Tribünen am Banana-Creek und an die Strände von Cocoa Beach kommen, um das Spektakel mit zu erleben. "Wir bitten Sie, den Start von zu Hause aus zu verfolgen", sagt Nasa-Chef Bridenstine. Oberste Priorität habe die Sicherheit der Menschen. Fans können stattdessen im Internet virtuelle 360-Grad-Touren am Startplatz oder in der Space-X-Fabrik in Hawthorne unternehmen und sogar ein Andockmanöver an die ISS probieren.

Die Falcon 9 steht seit Donnerstag auf der Rampe, in etwa 70 Metern Höhe die Kapsel Crew Dragon. Die US-Astronauten Bob Behnken, 49, und Doug Hurley, 53, werden am Mittwoch in weißen Space-X-Raumanzügen per Aufzug zur Zugangsbrücke gelangen, hier noch mal mit ihren Familien telefonieren und 135 Minuten vor dem Start an Bord gehen. Im Gegensatz zur engen Sojus-Kapsel erwartet sie hier ein geradezu geräumiger Innenraum mit Liegesitzen und Touchscreens. Letztere sollten zu einem Raumschiff des 21. Jahrhunderts gehören, findet Space-X-Manager Benji Reed. Wegen der mitunter großen Vibrationen hatte es Diskussionen gegeben. Er habe sich da schon reinfuchsen müssen, gibt Astronaut Hurley zu. Sicherheitsbedenken habe er aber nicht. 45 Minuten vor dem Start wird die Rakete mit Kerosin und flüssigem Sauerstoff betankt. Sollte dabei etwas schiefgehen, würde die Kapsel von der Rakete abgesprengt, um die Besatzung zu retten. Eine Art "Schleudersitz", wie es Bob Behnken bei einer der vielen Pressekonferenzen scherzhaft ausdrückte.

Der Start ist für 16.33 Uhr Ostküstenzeit geplant, die Astronauten sind dann mit bis zu 27 360 Stundenkilometern unterwegs. Nach etwa 19 Stunden Flug soll die Kapsel an die Raumstation andocken, wo die dreiköpfige ISS-Crew wartet.

Behnken und Hurley sollen mindestens einen Monat auf der ISS verbringen und dort mit wissenschaftlichen Versuchen und Wartungsarbeiten beschäftigt sein, womöglich auch außerhalb der ISS: "Ich wäre kein richtiger Astronaut, wenn ich nicht auch nach Möglichkeiten schauen würde, Weltraumspaziergänge zu machen", witzelte Behnken. Beide waren bereits mit dem Space Shuttle auf der ISS, Hurley war Pilot der letzten Shuttle-Mission 2011. Er findet es "spannend, ein kommerzielles Raumschiff zu fliegen". Die zwei Astronauten haben die Erfahrung gemacht, dass Verbesserungsvorschläge schneller vom Space-X-Team umgesetzt werden als früher beim Shuttle.

Wenn beim Premierenflug alles klappt, soll Space-X schon im August weitere vier Astronauten zur ISS fliegen. Firmenmanager Reed sagt, dass die Kapseln dann ebenso wiederverwendet werden sollen wie die Raketenstufen, die so genannten Booster. Das senke die Kosten.

"Es ist wahrscheinlich der Traum von jedem Schüler einer Testpilotenschule, mit einem brandneuen Raumschiff zu fliegen", sagte Behnken. Vor dem Abflug darf er noch werbewirksam mit einem E-Auto zum Startplatz fahren. Auch dies zeigt den Wandel in Cape Canaveral: Während die Apollo-Astronauten gerne mit Corvettes über das Gelände kurvten, hat Nasa-Chef Bridenstine den beiden Astronauten gerade ein zeitgemäßeres Dienstfahrzeug vorgestellt: einen Tesla X aus Elon Musks Autofabrik samt Nasa-Logo auf den Türen.

© SZ vom 23.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCorona-Folgen
:Bye-bye, Büroarbeit

Überall auf der Welt stehen Bürotürme leer und Geschäftsführer fragen sich, ob sie ihre teuren Immobilien überhaupt noch brauchen, wenn Home-Office so gut klappt. Wie sich das Arbeitsleben radikal wandeln könnte.

Von Claus Hulverscheidt, Thomas Öchsner, Jan Willmroth und Alexander Mühlauer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: