Sozialer Wohnungsbau:"Der Staat betreibt Missmanagement"

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Ein Hochhaus in der Gropiusstadt in Berlin ist in Nebel gehüllt. (Foto: Arne Immanuel Bänsch/picture alliance/dpa)

Ein Bündnis aus Verbänden und Gewerkschaften wirft der Bundesregierung vor, viel zu wenig für den Bau von Sozialwohnungen zu tun - und damit etwas anderes zu provozieren.

Von Benedikt Peters

Wie hilft man Menschen, die sich am Markt keine Wohnung leisten können? Der deutsche Staat gibt darauf im Wesentlichen zwei Antworten. Er fördert, erstens, den Bau von Sozialwohnungen. Und er übernimmt oder bezuschusst, zweitens, die Mieten für alle diejenigen, die sie sonst nicht bezahlen könnten. So setzt der Staat, in letzter Konsequenz, das Menschenrecht auf angemessene Unterbringung um, zu dessen Erfüllung er sich verpflichtet hat.

Eine Studie wirft nun allerdings die Frage auf, ob die Bundesregierung dabei wirtschaftlich vernünftig vorgeht. Die Autoren und die dahinterstehenden Verbände - der Mieterbund, das Pestel-Institut, die Gewerkschaft IG BAU und andere - werfen dem Bund vor, den sozialen Wohnungsbau zu vernachlässigen und dabei zuzusehen, wie die Kosten für Mietzuschüsse immer weiter steigen. "Der Staat betreibt ein Missmanagement bei der Unterstützung fürs Wohnen", so formulieren es die Verbände in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Sie begründen dies mit dem Niedergang bei den Sozialwohnungen, in denen Bedürftige zu Mieten wohnen können, die deutlich unter den Marktpreisen liegen. 2007 lag die Zahl solcher Wohnungen noch bei knapp über zwei Millionen, bis 2022 schrumpfte sie auf 1,1 Millionen. Und das, obwohl es nach Daten des Pestel-Instituts mehr armutsgefährdete Menschen gibt, etwa 2,3 Millionen. Mindestens 910 000 solcher Wohnungen würden fehlen, kritisiert der Studienautor Matthias Günther.

Die Berechtigung, in einer Sozialwohnung zu leben, hätten darüber hinaus noch weit mehr Menschen: Grob geschätzt könne davon ausgegangen werden, dass etwa die Hälfte der Mieterhaushalte in Deutschland die relevanten Einkommensgrenzen unterschreite, schreibt Günther, das seien etwa 11,5 Millionen. Heißt: Weniger als ein Zehntel der berechtigten Haushalte könne eine Sozialwohnung beziehen.

Viele derjenigen, die leer ausgehen, haben Anspruch auf Hilfen. Wenn sie Bürgergeld, Grundsicherung oder Asylbewerberleistungen beziehen, übernimmt der Staat über die Jobcenter in der Regel die komplette Miete - Niedrigverdiener können als Zuschuss Wohngeld beantragen. Die Kosten dafür seien in letzter Zeit jedoch drastisch gestiegen, sagt Studienautor Günther. "Um bedürftigen Haushalten das Wohnen überhaupt noch zu ermöglichen, ist der Staat mittlerweile gezwungen, stetig steigende Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt zu akzeptieren. Dabei zahlt er sogar Mieten, die oft deutlich über der Durchschnittsmiete liegen." Davon profitierten vor allem die Vermieter.

"Das ist ein deutliches Missverhältnis."

Am besten zeigen lässt sich das der Studie zufolge dort, wo der Mietmarkt besonders heißgelaufen ist, nämlich in München. Dort liege die von den Jobcentern gezahlte Miete bei 19,20 Euro pro Quadratmeter - das seien 6,40 Euro mehr als die Durchschnittsmiete in der Stadt. Ähnlich sei es in vielen Großstädten, in denen besonders viele Menschen mieten wollten. Aber auch in ländlichen Regionen etwa in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, weil es dort zu wenige Wohnungen gebe. Im Vergleich zur ortsüblichen Miete entstünden dem Bund so Mehrkosten von etwa 700 Millionen Euro pro Jahr.

Insgesamt lägen die Ausgaben des Staates für Wohngeld und die Mietübernahmen von Bedürftigen bei mehr als 20 Milliarden Euro jährlich, während Bund und Länder zuletzt nur etwa 2,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau investiert hätten. "Die Sozialausgaben fürs Wohnen sind damit achtmal so hoch wie die Förderung für den Neubau von Sozialwohnungen", sagt der Wissenschaftler Günther. "Das ist ein deutliches Missverhältnis." Der Bund habe so selbst für die Knappheit der Sozialwohnungen gesorgt und die drastisch steigenden Ausgaben für Miethilfen provoziert.

In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampelregierung versprochen, jährlich 100 000 neue Sozialwohnungen bauen zu lassen. 2022 - dem letzten Jahr, für das die Daten bisher vorliegen - wurden allerdings nur etwa 22 000 solcher Wohnungen gebaut - was auch an gestiegenen Kreditzinsen und Materialpreisen liegt, sie machen Bauprojekte für viele Träger unerschwinglich. Auch deshalb hat die Bundesregierung kürzlich die Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt: von 2,5 auf 3,14 Milliarden Euro im Jahr 2024. Danach stehen bis zu vier Milliarden Euro jährlich im Raum.

Aus Sicht der Verbände, die hinter der Studie stehen, reicht das aber nicht. Bund und Länder müssten ein Förderungspaket von 50 Milliarden Euro für die nächsten Jahre auflegen, um dem Ziel der 100 000 Sozialwohnungen pro Jahr "wenigstens ein Stück näher zu kommen", schreiben sie. Der Sozialwohnungsbau müsse "als gesamtgesellschaftliche Aufgabe grundgesetzlich abgesichert und von der Schuldenbremse ausgenommen werden". Darüber hinaus solle beim Neubau solcher Wohnungen nicht mehr ein Mehrwertsteuersatz von 19, sondern von sieben Prozent fällig werden, fordern sie.

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