Europa:Sektflaschen brauchen keinen Aluhut mehr

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Drübergestülpt, maschinell fixiert und bislang absolute Pflicht: Folienkapseln auf Sektflaschen, die "den Verschluss und den Flaschenhals ganz oder teilweise" bedecken. (Foto: Robert Kalb/imago images)

Bislang musste Schaumwein in der EU mit einer Folienkapsel versehen sein. Hartnäckige deutsche Winzer haben diesen Zwang zu Fall gebracht. Sehr zum Ärger der Industrie.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Barbara Roth erhebt ihr Glas und hält es in die Kamera. Der Sekt schmeckt besonders gut gerade, nach diesem politischen Erfolg. Bald werden ihre Flaschen wieder so aussehen wie früher, bevor die amtliche Weinkontrolle ihr Weingut rügte, den Wilhelmshof in Siebeldingen in der Pfalz. Bevor die Roths etwa 20 000 Euro investieren mussten für eine Maschine, die ihre Sekt-Bouteillen mit einer Kapsel überzieht, weil ihnen sonst ein Verkaufsverbot gedroht hätte. "Wir hatten uns dem widersetzt", sagt Roth, die aus der Hälfte ihrer Trauben Sekt macht. Riesling, Weißburgunder, Pinot Noir, alles in traditioneller Flaschengärung. 20 Jahre lang habe der Betrieb gegen EU-Recht verstoßen, von 1992 bis 2012. Bis das Amt zu Besuch kam und auf einem rosafarbenen Formular handschriftlich die illegale Praxis feststellte.

Es gibt sie noch, die absurd anmutenden EU-Vorschriften, irgendwie aus der Zeit gefallen oder ohne nachvollziehbare Begründung. Die Sektkapselpflicht, festgehalten in Artikel 57 der Verordnung 2019/33 und erfunden zu EG-Zeiten Anfang der Neunzigerjahre, fällt in diese Kategorie. Schaumweine müssen demnach in "schaumweinartigen Flaschen" vertrieben oder exportiert werden. Verpflichtend ist dazu ein "pilzförmiger Verschluss" aus Kork oder einem anderen lebensmittelsicheren Material, "der durch einen Verschluss gehalten wird", die Agraffe also. Schließlich muss der Stopfen bislang "mit einer Folie umhüllt" sein, "die den Verschluss und den Flaschenhals ganz oder teilweise bedeckt".

Dass diese Sektkapselpflicht jetzt wegfällt, freut unabhängige Winzer wie Roth. Und es hat viel mit der CDU-Politikerin Christine Schneider zu tun: aufgewachsen in der Pfalz, politische Heimat in der rheinland-pfälzischen Landes-CDU, seit 2019 im Europäischen Parlament. Als Landtagsabgeordnete konnte sie noch wenig tun, nachdem Roth sie 2015 auf die Verordnung angesprochen hatte. Mit dem Einzug ins EU-Parlament holte sie sich das Thema wieder hervor und sprach mit den zuständigen Kommissionsbeamten. "Jemand, der das Thema Nachhaltigkeit in seinem Betrieb leben möchte, dem läuft das doch einfach zuwider, so eine Folie aus Alu über seine Flaschen zu ziehen", sagt Schneider.

Ein "überkommenes Regelungsfossil" sei das, sagt ein verblüffter Winzer

Zu dieser Art von Winzern gehört auch Florian Lauer vom Weingut Peter Lauer in Ayl an der Saar, das bekannt ist für ortstypisch zarte und präzise Rieslinge aus Steillagen. Und für die unkonventionellen Sekte, die Lauer wie seine Stillweine konsequent ohne Kapsel vermarktet. Während Schneider die Kommission beharkte und sich Italien gegen die Regelung wandte, führte Lauer seit 2020 eine Klagegemeinschaft von gut 70 Betrieben an, darunter auch der Wilhelmshof. Die zuständige Behörde hatte Lauer zuvor den Vertrieb von 1300 Flaschen Jahrgangssekt untersagt. Dass "tatsächlich noch ein solch überkommenes Regelungsfossil scharfgeschaltet war, hat uns verblüfft", sagt Lauer. Also zog er gegen den Bescheid vor Gericht.

Das Verwaltungsgericht Trier wies die Klage 2021 ab, die Behörde habe korrekt gehandelt, und die Regelung sei nicht unverhältnismäßig. Denn das hatte Lauer unter anderem beanstandet: den Widerspruch zwischen dem Ansinnen, Verpackungsmüll zu vermeiden, und der Pflicht, Wegwerf-Alukapseln zu benutzen. Das Gericht befand, dass "die einheitliche Aufmachung von Schaumweinflaschen geeignet sei, den Verbraucher vor Verwechslungen/Täuschungen zu schützen". Sie trage auch dazu bei, Sekthersteller vor unfairem Wettbewerb zu bewahren. Lauer legte Revision zum Oberverwaltungsgericht in Koblenz ein, das jetzt aber nichts mehr zu urteilen hat.

Derweil schaltet die Verpackungsindustrie Anzeigen in Fachmagazinen, wonach die Kapsel Hygiene garantiere und eine "Sichtbarkeit im Regal". Auch die Sektindustrie argumentiert am liebsten mit der Unverwechselbarkeit. Roth und Lauer wollen lieber Ressourcen schonen. Und während die meisten Flaschen Sekt, Champagner und Crémant wohl weiterhin eine Kapsel tragen werden, hat künftig jeder die Wahl.

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