Wenn in Deutschland über Steuerhinterziehung und Steuergerechtigkeit debattiert wird, dauert es meist nicht lange, bis irgendein Experte die skandinavischen Länder als Vorbild anpreist. Denn im Norden, das zeigen Ländervergleichsstudien immer wieder, ist die Steuermoral besonders hoch.
Die Menschen dort geben dem Fiskus offenbar gerne etwas von ihrem Geld ab. Und das, obwohl die Steuersätze dort bekanntermaßen unverschämt hoch sind. Aber stimmt das wirklich? Wenn ja, woher kommt dieses ungewöhnliche freundschaftliche Verhältnis zum Fiskus? Und: Was genau machen die eigentlich anders als wir? Zeit für eine Innenansicht.
Man stelle sich einen deutschen Handwerker vor, der auf der Suche nach einem Job in Schweden fündig geworden ist. Er könnte Hans Müller heißen, aus Sachsen stammen und nun nach Södertälje, eine Stadt südlich von Stockholm, auswandern. Hans Müller verdient dort umgerechnet 3300 Euro brutto im Monat, das entspricht ziemlich genau dem schwedischen Durchschnittseinkommen. Und bei der ersten Gehaltszahlung bekommt er einen Schreck: Er muss feststellen, dass etwa die Hälfte dieser Summe nie bei ihm ankommt, sondern gleich ans Skatteverket, das Finanzamt, weitergereicht wird. Auf den ersten Blick sieht das nach einer erdrückenden Steuerlast aus. Aber der Schein trügt.
Tatsächlich hatte Schweden einst in den 1970er-Jahren Steuersätze, die geradezu wahnwitzig hoch waren. Berühmt ist die Geschichte von Astrid Lindgren, die 1976 ausgerechnet hatte, dass Steuern und Abgaben im vorangegangenen Jahr mehr als 100 Prozent ihrer Einnahmen ausmachten. Sie schrieb daraufhin ein böses Märchen mit dem Titel "Prinzessin Pomperipossa in Monismanien" . Und viele Schweden glauben, dass dieser Text entscheidend beigetragen hat, dass die Sozialdemokraten damals die Wahl verloren. In den folgenden Jahrzehnten sind die Steuersätze jedenfalls immer wieder gesenkt worden.
Der Unterschied ist gar nicht mehr so groß
Wenn Herr Müller seinen ersten schwedischen Steuerbescheid genauer ansieht, wird er feststellen, dass mit der Hälfte seines Gehalts, die ans Skatteverket fließt, bereits eine Reihe von Leistungen bezahlt sind, die er in seiner alten Heimat Sachsen extra hätte bezahlen müssen. Insbesondere werden über die Steuerbehörde auch gleich die Abgaben für die staatliche Kranken- und Rentenversicherung abgerechnet. So betrachtet ist der Unterschied zu Deutschland dann nicht mehr so groß.
Zieht man die Sozialabgaben ab, bleibt Müllers Einkommensteuer übrig: Sie beläuft sich auf lediglich 32,23 Prozent. Dieser Satz ist für alle Arbeitnehmer in Södertälje gleich. Wer allerdings mehr als umgerechnet etwa 48.000 Euro im Jahr verdient, der muss auf den Teil seines Einkommens, der über dieser Grenze liegt, weitere 20 Prozent Steuern zahlen. Und ab einer Grenze von umgerechnet 68.000 Euro jährlich kommen noch einmal fünf Prozent hinzu. Für Spitzengehälter müssen somit mehr als 50 Prozent Steuern bezahlt werden. Die ersten 48.000 Euro im Jahr werden aber stets nur mit 32,23 Prozent belastet.
Arvid Malm vom schwedischen Bund der Steuerzahler, meint, dass die hohen Sätze für Spitzengehälter eigentlich keinen Sinn machen. Nur drei Prozent der gesamten Steuereinnahmen würde damit eingenommen, sagt er. Aber abgeschafft oder auch nur gesenkt wurden die Spitzensätze trotzdem nicht - Steuergeschenke an Reiche sind eben unpopulär.
Was den Einwanderer Müller sehr wundern dürfte, ist, dass sein Chef, der im Stockholmer Villenvorort Danderyd lebt, nur 29,45 Prozent Einkommensteuer auf seine ersten 48.000 Euro im Jahr zahlt - also fast drei Prozentpunkte weniger als Müller und seine Nachbarn in Södertälje. Die Einkommensteuer wird in Schweden von den Gemeinden und den Provinzverwaltungen erhoben. Und die können innerhalb gewisser Grenzen die Höhe festsetzen. Die Unterschiede mögen ungerecht erscheinen. Vermutlich ist die regionale Verankerung aber ein wichtiger Grund dafür, dass Steuern in Schweden eine hohe Akzeptanz genießen.
Denn die Steuerdebatten, die für den einzelnen Bürger die größte Bedeutung haben, werden in Schweden sozusagen vor der Haustür geführt. Soll die Gemeinde ihren Steuersatz erhöhen und dafür die Grundschule renovieren? Sollte man auf den neuen Kindergarten verzichten? Soll die Provinzregierung das Krankenhaus privatisieren, um Steuern zu senken? Solche Entscheidungen wirken sich direkt auf den Geldbeutel der Bürger aus. Und selbst der Einwanderer Müller darf als EU-Bürger schon bald bei Kommunalwahlen in diesen Fragen mitbestimmen. Für die direkte Einflussmöglichkeit auf ihr Steuersystem nehmen die Schweden gerne in Kauf, dass die Steuersätze zwischen den Gemeinden ein bisschen schwanken.
Die größte Überraschung wird Müller vermutlich erleben, wenn er das erste Mal das Formular für seine Einkommensteuererklärung zugesandt bekommt. Denn: Das meiste ist schon ausgefüllt. Und zwar nicht nur in den Feldern für die Einnahmen. Das Skatteverket ist so fürsorglich, auch die Felder für die Steuerabzüge auszufüllen. Wenn Müller sich etwa ein Haus auf Kredit gekauft hat, dann wird in dem Steuerformular bereits stehen, welchen Betrag er für die Zinsen von der Steuer absetzen kann. Wenn er einen Handwerker beschäftigt, dann bekommt er vom Finanzamt einen Teil der Kosten zurück - eine Maßnahme gegen Schwarzarbeit, und auch dies wird schon in dem Formular stehen.
Ratgeber und Steuerberater überflüssig
Ein schwedischer Normalverdiener braucht, wenn nichts Unvorhergesehenes wie etwa eine Erbschaft dazwischenkommt, keinen Steuerberater, keine Ablagestapel mit Quittungen, noch nicht einmal ein Ratgeberbuch, um seine Pflichten gegenüber dem Fiskus zu klären. Viele benötigen nicht mehr als ein paar Minuten Zeit und ein Mobiltelefon. Wenn auf dem Formular des Finanzamtes alles korrekt ausgefüllt ist, kann der Steuerzahler der Behörde nämlich einfach per SMS mitteilen, dass er einverstanden ist - damit ist die jährliche Einkommensteuererklärung dann abgehakt. Mehr als 750.000 Schweden deklarierten in diesem Jahr per SMS. Die überwiegende Mehrheit nutzt das Internet. Nur etwa ein Drittel der 7,6 Millionen Steuerpflichtigen schickte überhaupt noch ein Formular per Post.
Für so viel Service gibt es sogar Lob vom Bund der Steuerzahler. "Das Skatteverket hat wirklich große Anstrengungen unternommen, um das Verfahren einfach und praktisch zu gestalten", sagt Arvid Malm. Es sei wichtig für die Steuermoral, dass die Kommunikation mit dem Amt einfach sei.
Zwei Voraussetzungen seien entscheidend für die Kundenfreundlichkeit, erläutert er. Erstens kenne das schwedische Steuerrecht nur sehr wenige Ausnahmeregeln. So gibt es zum Beispiel keine unterschiedlichen Steuerklassen, es gibt nur sehr wenige Möglichkeiten, Dinge abzusetzen, und das Ehegattensplitting wurde bereits vor über 30 Jahren abgeschafft. All das vereinfacht das Steuernerklären natürlich.
Zweitens, sagt Malm, sei es wichtig, dass das Finanzamt umfassenden Zugang zu den Daten der Bürger habe. Das Skatteverket bekommt Daten nicht nur von anderen Behörden, sondern auch von den schwedischen Banken. Nur mithilfe dieser Daten kann der Fiskus seine Steuerformulare für die Bürger schon fertig ausfüllen.
Für deutsche Ohren klingt das gefährlich nach Überwachungsstaat. Aber Malm sagt, es gebe eigentlich keine Diskussion darüber, die Befugnisse des Finanzamtes einzuschränken. "Der praktische Nutzen für die Bürger wiegt einfach mehr als der mögliche Integritätsverlust", sagt er. Es ist wohl so, dass viele Schweden zwar gerne ihre Steuern bezahlen. Aber sie möchten sich nicht stundenlang damit beschäftigen.