Weltraumbahnhof in Schottland:Mini-Raketen für Mini-Satelliten

"Ein Lastwagen braucht sechs Stunden von Glasgow hierhin", sagt Projektleiter Kirk. Genau wie die Satelliten werden auch die Raketen und die Anlagen am Boden kleiner sein. In Cape Canaveral heben Raketen mit 70 Metern Länge ab. Auf dem Weltraumbahnhof im Torfmoor sollen die Raketen lediglich 17 Meter lang sein. Mini-Satelliten drehen nur in erdnahen Umlaufbahnen ihre Runden, oft in 500 bis 600 Kilometern Höhe. Dafür liefern kurze Raketen ausreichend Schub - und sie kosten bei Weitem nicht so viel. "Die Raketen bringen die Satelliten in zehn Minuten in den Orbit", sagt Kirk. Der Startplatz wird für Raketen ausgelegt, die bis zu 500 Kilogramm Ladung transportieren: Da können einige Mini-Satelliten auf einmal mitfliegen.

Partner bei dem Projekt sind der amerikanische Luft- und Raumfahrtkonzern Lockheed Martin und das britische Start-up Orbex. Beide erhalten Millionenzuschüsse von der Londoner Regierung. Orbex entwickelt eine Rakete, um Würfelsatelliten in erdnahe Umlaufbahnen zu schießen. Die Firma, die auch ein Büro in München hat, will bei Inverness eine Fabrik bauen, die Raketen für den Spaceport liefert. Lockheed Martin wird dagegen eine bereits erfolgreich getestete Rakete des kleinen US-Produzenten Rocket Lab nutzen. Der Konzern ist an Rocket Lab beteiligt. Erst am Sonntag brachte diese Rakete namens Electron sechs Mini-Satelliten von Neuseeland aus in den Weltraum.

Schottland will der Raumfahrtindustrie günstige Startmöglichkeiten bieten

Insgesamt stehen Kirk für den Spaceport fast 20 Millionen Euro zur Verfügung. Der Großteil stammt von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Highlands. Den Bauantrag will der Schotte in einem Jahr einreichen. Ist die Anlage fertig, soll ein privates Unternehmen sie betreiben. "Die Ausschreibung dafür werden wir bald starten", sagt Kirk. Firmen und Raumfahrtagenturen, die dort Raketen und Satelliten ins All schicken möchten, würden dann eine Gebühr an den Betreiber überweisen - und der wiederum an den Bauherren.

Zunächst rechnet Kirk mit bis zu sechs Starts pro Jahr, hofft jedoch, dass die Zahl später steigt. Denn je besser die Auslastung, desto niedriger die Kosten. Ziel sei es, der Raumfahrtindustrie viele und billige Startmöglichkeiten zu bieten, sagt er. Bisher starteten nicht genügend Raketen; dieser "Flaschenhals" behindere die Hersteller von Mini-Satelliten. Der Weltraumbahnhof werde 40 Jobs direkt schaffen und weitere 400 bei Zulieferern im Norden Schottlands, verspricht Kirk.

Diese Arbeitsplätze sind für Dorothy Pritchard der wichtigste Grund, das Vorhaben zu unterstützen. Die 61-Jährige lebt in Talmine, einer Ansammlung von Häusern am Ostufer der A'Mhòine-Halbinsel. Die Menschen dort sind die nächsten Anwohner des Weltraumbahnhofs, er wird fünf Kilometer entfernt gebaut. "Wir haben hier sehr wenige Jobs und sehr wenige junge Leute", sagt die pensionierte Lehrerin. Dank des Startplatzes hinter dem Hügel könnten die Jungen Stellen am Ort finden und müssten nicht mehr wegziehen.

Talmine schmiegt sich an eine Bucht mit Sandstrand und Hafenkai, draußen ragen kleine Inseln schroff aus der Nordsee. Auf einer Anhöhe über dem Strand thront ein graues Haus. Früher war das die Grundschule, und Pritchard unterrichtete dort, aber die Schule musste schließen, weil die Zahl der Kinder stark gesunken ist. Viele Gemeinden im ländlichen Norden Schottlands haben eine recht alte Bevölkerung: Die Jungen verlassen das Dorf, weil es keine interessanten Stellen gibt; manche kommen als Rentner wieder zurück. Doch eine Gemeinschaft nur mit alten Leuten, das funktioniere nicht, sagt Pritchard. "Erst vor zwei Wochen haben wir eine Familie mit drei Kindern aus dem Dorf verabschiedet. Die wandern nach Kanada aus", klagt sie.

Größter Arbeitgeber an der Nordküste ist der Atomkomplex Dounreay. Wer von Talmine mit dem Auto eine Stunde über die kurvige Küstenstraße nach Osten fährt, sieht plötzlich die Kuppel eines Reaktors und graue Hallen - ein krasser Kontrast zur Highland-Romantik. Der Reaktor und die Wiederaufbereitungsanlage, in die auch Brennstäbe aus Deutschland geliefert wurden, sind abgeschaltet und werden abgebaut. Bis 2030 wird das größtenteils erledigt sein. Dann gehen 1000 Jobs verloren. "Ich kenne drei junge Leute aus der Gegend, die dort angestellt sind", sagt Pritchard. Zumindest einige Atomarbeiter sollen in der Raketenbranche unterkommen.

In der Region gibt es zu wenig Jobs und zu viele alte Menschen

Pritchard beschäftigt sich viel mit dem Startplatz, weil sie Vorsitzende des Melness Crofters Estate ist. Als Crofter werden Kleinbauern in den Highlands bezeichnet, die neben einem Stück eigenem Land gemeinsam Weideflächen bewirtschaften. "Die Einnahmen daraus reichen aber nicht zum Leben. Als Crofter benötigt man noch einen anderen Beruf", sagt Pritchard. Dem Melness Crofters Estate gehört das Land, auf dem der Weltraumbahnhof errichtet werden soll. Es ist Teil der weitläufigen gemeinschaftlichen Weideflächen. Die Mitglieder des Crofters Estate - Bewohner der hiesigen Dörfer - stimmten den Plänen zu, jetzt verhandelt Pritchard mit dem Bauherren, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft, über die Pacht.

Die pensionierte Lehrerin sagt, Bewohner und Mitglieder hätten Bedenken gehabt, ob der Spaceport die Umwelt belasten und die herrliche Ruhe in der einsamen Region stören würde. "Doch es gibt ja nur ein paar Starts pro Jahr, und die Anlage ist aus der Ferne nicht zu sehen", sagt sie. Folgen für Tiere und Pflanzen würden sehr genau geprüft. Daher habe sich die Gemeinschaft für das Vorhaben ausgesprochen.

Fast 300 Kilometer südlich von Talmine, in Glasgow, ist die Freude über den Spaceport jedenfalls gewaltig. Craig Clark, Gründer des Satellitenherstellers Clyde Space, sagt, dass Raketenstarts in Großbritannien viel Mühe ersparen würden: "Wir müssten Satelliten nicht weit transportieren, es gäbe keinen Ärger mit Exportpapieren", sagt der 45-Jährige. "Das ist eine Riesenhilfe." Der Ingenieur ist so etwas wie der Vater von Glasgows Satellitenboom - einen Boom, den die drittgrößte Stadt des Königreichs gut gebrauchen kann. Sie war früher reich, hat aber unter dem Niedergang der Werften und anderer Industrien heftig gelitten.

Ingenieur Clark stammt aus der Gegend, studierte in der Stadt und fing bei einem Satellitenproduzenten in der Nähe von London an. Nach einigen Jahren zog es seine Frau und ihn zurück in die Heimat, doch da existierten keine Satellitenfirmen. Also gründete er 2005 selbst einen Betrieb in Glasgow. Zunächst fertigte er Zulieferteile für Würfelsatelliten, dann entwickelte er sein eigenes Modell, mit Unterstützung der Raumfahrtbehörde UK Space Agency. Vor vier Jahren wurde dieser Erdtrabant in Baikonur ins All geschossen - es war der erste in Schottland gebaute Satellit.

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