Sehr anständig und menschlich wirkt, was die derzeitigen Topmanager bei Audi und ihre Juristen formulieren anlässlich der Anklageerhebung gegen Rupert Stadler. Sie wenden sich nicht völlig ab vom ehemaligen Konzernchef, verweisen darauf, dass er Audi groß gemacht habe und bei den Vorwürfen des Dieselbetrugs für ihn die Unschuldsvermutung gelte. Schließlich steht da: "Wir haben aus unserer Vergangenheit gelernt und nutzen sie als Chance." Ähnlich ist die Kommunikation in diesem Skandal bei der Konzernmutter Volkswagen: Lernen. Chancen ergreifen.
Das klingt gut. Tatsächlich ist aber auch jetzt, im Jahr vier nach dem Auffliegen des Skandals, nicht sicher, ob ein sauberer Neustart gelingt, trotz all des lauten Redens über abgasfreie Elektroautos und mancher Selbstkritik. Denn weiterhin ist nicht im Detail geklärt, wieso überhaupt so schlechte Dieselautos gebaut wurden. Die Folgen spüren jedenfalls nicht nur Stadler und andere gut bezahlte (Ex-)Führungskräfte, sondern viele andere.
Da sind vor allem die Dieselfahrer, die immer noch bangen, ob die Restwerte ihrer Fahrzeuge so hoch bleiben wie vor dem Skandal kalkuliert - Audi und VW sträuben sich mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln gegen jeglichen Ausgleich. Chancen nutzen zum Beschwichtigen aufgebrachter Kunden? Fehlanzeige. Zudem drohen den Dieselbesitzern immer neue Fahrverbote, aktuell nun auch in Aachen.
Ex-Audi-Chef Stadler angeklagt:434 420 Diesel, sieben Aktenordner, vier Verdächtige
Monatelang saß er in Untersuchungshaft, nun soll er vor Gericht: Was die Anklage von Ex-Audi-Chef Rupert Stadler in der Diesel-Affäre bedeutet.
Dass die Billig-Abgastechnik bei Audi und VW zur schlechten Luft beigetragen hat, unter der etliche Stadtmenschen leiden, daran besteht kein Zweifel. Doch weit verbreitet bei Managern wie Ingenieuren ist weiterhin die Haltung, dass ein Ausreizen gesetzlicher Vorgaben erste Pflicht von Autobauern ist, um Geld zu sparen. Selbst wenn es um gesundheitlich relevante Angelegenheiten geht und klar ist, dass ein Fahren im Graubereich anderen schadet. Wer mit Leuten bei Audi, VW und der Konkurrenz spricht, der merkt: Die Branche hat kaum gelernt. Die Beharrungskräfte sind enorm. Der Profit pro Wagen zählt vielfach immer noch am meisten.
Es leiden aber auch die Beschäftigten, gerade bei Audi: Sie müssen ihren Arbeitgeber nun wieder verteidigen und die wirtschaftliche Misere ausbaden, die als Folge des Skandals entstanden ist. Wichtige Arbeit blieb in dem ganzen Schlamassel liegen, die Führungskrise lähmte den Autobauer aus Ingolstadt. Miserabel sind deshalb die Geschäftszahlen; VW hat sich indes wirtschaftlich überraschend gut aus der Affäre gezogen.
Es besteht Gefahr, wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen
Aber wie konnte diese Affäre überhaupt entstehen? Das will der Konzern immer noch nicht öffentlich erklären, an dessen oberster Spitze mit Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch jemand wirkt, der auch im alten System schon sehr mächtig war. Die Staatsanwaltschaft prüft auch seine Verstrickungen - gerade er sollte nun einmal ganz offen sagen, was schieflief in der Vergangenheit.
Denn es gibt für Audi und VW nicht nur die Chance zum Bessermachen, sondern auch das Risiko des Zurückfallens in alte Verhaltensmuster. Das hat übrigens auch der vom US-Justizministerium entsandte Beobachter festgestellt. "Der Konzern bewegt sich", sagte der Jurist Larry Thompson erst im Frühjahr, "aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, wie viel harte Arbeit noch vor uns liegt." Richtig müsste es also heißen in diesem Konzern: Wir lernen immer noch.