Betriebliche Altersvorsorge:Merkels Renten-Murks

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Das deutsche Rentensystem ist kompliziert, am Ende aber zählt bei jedem Einzelnen, was im Geldbeutel übrig bleibt. (Foto: picture alliance / dpa)

Ab Januar müssen Millionen Betriebsrentner weniger Krankenkassenbeiträge zahlen. Das ist gut, aber die Berechnung viel zu kompliziert. Und etwas Wichtiges fehlt.

Kommentar von Hendrik Munsberg

Wie erkennt man Murks? Wer den Blick dafür schärfen will, muss in das Suchfenster seines Internetbrowsers bloß "bizarre Maschinen" eintippen und auf Bildersuche klicken. Prompt erscheinen Gestelle aus Metall, an die große und kleine Räder in vielen Farben montiert sind, dazu ein Wirrwarr aus Riemen, Leitungen und Gestänge. Sieht kreativ aus, gekonnt planlos. Manche dieser Apparaturen funktionieren angeblich und gelten sogar als Kunst.

Was das zu tun hat mit dem deutschen Rentensystem? An der staatlich organisierten Alterssicherung ist gewiss nicht alles Murks. Noch immer wirkt der Rahmen solide, noch funktioniert der Generationenvertrag zwischen Jung und Alt, noch bekommt ein Großteil der Beitragszahler auskömmliche Renten. Aber im Lauf der Jahre und Jahrzehnte hat die Politik dem Gebilde immer neue Räder und Rädchen, Schrauben und Schräubchen verpasst, vorgeblich in guter Absicht. Doch das Zutrauen ins Ganze ist nicht gewachsen: Leitende Idee war allzu oft, eigenen Wählern Vorteile zu gewähren. Deshalb, zum Beispiel, setzte die CSU Verbesserungen bei den Mütterrenten durch, darum kämpfte die SPD für die "Rente mit 63", als Lohn für "besonders langjährig Versicherte".

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Doch nicht einmal bester Wille schützt davor, Murks zu fabrizieren. Das wird besonders deutlich an jenem Beschluss, den der Bundestag gerade mit den Stimmen von Union, Sozialdemokraten und Linkspartei gefasst hat: Vom nächsten Jahr an sollen die Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten - 15 Jahre nach ihrer Verdoppelung - gesenkt werden. Millionen Betriebsrentner werden dadurch entlastet, ein Drittel wird ganz verschont.

Dass es so kommt, darf man CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn als Verdienst anrechnen. Er hat beharrlich dafür gestritten und sogar dem zähen Widerstand von Kanzlerin Merkel getrotzt. Merkel war wegen der absehbaren Milliardenkosten eigentlich strikt dagegen, eine seinerzeit aus purer Finanznot getroffene Entscheidung der rot-grünen Regierung unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder zu korrigieren. Diese brauchte 2003 dringend Geld, die gesetzlichen Krankenkassen waren marode. Also beschloss man, fortan auf Betriebsrenten den doppelten Beitrag für Kranken- und Pflegekassen zu erheben; die Union machte mit. Diese "Doppelverbeitragung" traf und trifft bis heute alle gesetzlich Krankenversicherten. Die damalige Entscheidung war schon darum irrlichternd, weil die rot-grüne Regierung eigentlich das Ziel verfolgte, die private Altersvorsorge zu stärken.

Und nun? Nun kommt zum Januar 2020 statt einer leicht verständlichen Korrektur handwerklicher Murks: Die ohnehin komplizierte Rentenmaschinerie erhält mal wieder ein ganz neues Schräubchen. Künftig nämlich soll für Betriebsrenten ein Freibetrag von monatlich 159,25 Euro gelten, bis zu dem keinerlei Krankenkassenbeiträge fällig werden. Nur für den darüber hinaus reichenden Teil der Rente ist weiterhin der volle Beitrag zu zahlen, das sind im Bundesdurchschnitt derzeit immerhin 15,5 Prozent der Betriebsrente. Was daran neu ist? Bisher gilt statt eines Frei betrags eine - Achtung! - Frei grenze von 155,75 Euro. Wird die um nur einen einzigen Cent überschritten, so ist auf die gesamte Betriebsrente der volle Kranken- und Pflegebeitrag zu entrichten.

Wahr ist: Durch das neue Schräubchen werden von Januar an Millionen Betriebsrentner deutlich entlastet. Ja, das ist gut und löblich. Murks bleibt es trotzdem - politisch ein Kompromiss, wie er typisch ist für die große Koalition unter Angela Merkel. Und es wird noch komplizierter: Anders als beim Krankenkassenbeitrag soll beim Pflegebeitrag die Freigrenze bleiben. Warum nur? Wichtig wäre doch, dass schon junge Arbeitnehmer verstehen, was ihnen von einer Betriebsrente später bleibt. Muss nicht jedem zu denken geben, dass selbst die Bürokratie viel Zeit braucht, das neue Klein-Klein umzusetzen? Die 46 000 Zahlstellen für die Millionen Rentner werden wohl frühestens im Juli 2020 ihre Software umgestellt haben, vielleicht aber auch erst Anfang 2021. Einstweilen bekommen die Betroffenen von Spahns Geldsegen gar nichts mit, immerhin soll es später Erstattungen geben.

Wie hatte Spahn vorige Woche im Bundestag gesagt? Die "Doppelverbeitragung" habe für "viel Wut und viel Vertrauensverlust gesorgt", was die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen zu spüren bekommen hätten. Das stimmt. Ob es sich aber ändert? Wäre es nicht überfällig, die Anbieter von Betriebsrenten zu verpflichten, über die späteren Belastungen deutlich zu informieren - bei Vertragsschluss und bei ihren jährlichen Mitteilungen?

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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