Mentale Gesundheit:Psychische Belastung am Arbeitsplatz steigt drastisch

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Die Fehlzeiten wegen seelischer Leiden seien auf 303 Ausfalltage pro 100 Versicherte gestiegen, meldet die KKH. (Foto: Sigrid Gombert/imago)

Die Fehlzeiten im Job wegen seelischer Leiden schnellen hoch. Die Krankenkasse KKH meldet ein Plus von 85 Prozent. Ein alarmierendes Signal für Arbeitgeber - und Kollegen.

Die psychische Belastung berufstätiger Menschen in Deutschland ist laut der KKH Kaufmännische Krankenkasse im ersten Halbjahr 2023 drastisch gestiegen. Das zeige sich an den Fehlzeiten, teilte die Krankenkasse unter Berufung auf Daten zu den eigenen Versicherten am Mittwoch mit. Die Fehlzeiten wegen seelischer Leiden seien auf 303 Ausfalltage pro 100 Versicherte gestiegen - ein Plus von 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In der jüngeren Vergangenheit habe es einen solchen Anstieg nie gegeben, teilte die Kasse mit. "Diese Entwicklung ist alarmierend, denn wir haben schon jetzt fast das Niveau des gesamten Jahres 2022 erreicht", sagte die KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick. 2022 registrierte die Krankenkasse 339 Fehltage pro 100 Versicherte wegen Depressionen, Anpassungs- oder Angststörungen. 2021 und 2020er waren es 287 und im Vor-Corona-Jahr 2019 rund 274 Tage. Für die Untersuchung wertete die KKH die Zahl der Kalendertage mit ärztlichem Attest von pflichtversicherten und freiwillig versicherten eigenen Mitgliedern aus.

Die KKH ist nach eigenen Angaben mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen. Das Hoch bei den Fehlzeiten ist nicht das einzige Alarmsignal. Es gebe auch Hinweise dafür, dass es zunehmend schwere, langwierige Fälle von psychischen Erkrankungen gibt, erklärte Judick. Das bereite Sorgen - auch mit Blick auf die Beschäftigten, die die Arbeitsausfälle abfedern müssen. Auch sie könnten erschöpfungsbedingte psychische Leiden entwickeln.

Auch die ständige Erreichbarkeit via Smartphone sorgt für Stress

Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse bestätigt: Der Stresslevel der Berufstätigen ist hoch. 90 Prozent von ihnen fühlten sich zumindest gelegentlich gestresst, rund die Hälfte davon häufig oder sehr häufig, ergab die Studie. Dafür waren im Mai bundesweit 1004 Menschen im Alter von 18 bis 70 Jahren befragt worden, darunter 722 Berufstätige. Knapp 60 Prozent der Berufstätigen sprachen von zunehmendem Stress in den vergangenen ein bis zwei Jahren. Neben Ausbildung und Beruf sowie Krisen wie Klimawandel und Inflation (je 47 Prozent) sind es demnach vor allem hohe Ansprüche an sich selbst (51 Prozent), die die Menschen als stressig empfinden. Auch die ständige Erreichbarkeit via Smartphone (37 Prozent) sowie finanzielle Sorgen (24 Prozent) machen Stress, jede und jeder sechste Berufstätige leidet unter stressbedingten Angstzuständen.

Andere Studien ergaben ein ähnliches Bild: Laut einer Ende Februar vorgelegten repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Auftrag des Versicherungskonzerns Axa bezeichnet sich fast ein Drittel der Befragten als psychisch erkrankt. Rund 32 Prozent erklärten, dass sie unter Depressionen, einer Angst- oder Essstörung, Zwangsneurose oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. Insgesamt wurden im vergangenen Herbst 2000 Menschen zwischen 18 und 74 Jahren in Deutschland online befragt.

Laut der KKH-Untersuchung gingen die längsten Fehlzeiten auf wiederkehrende Depressionen und depressive Episoden zurück. Am häufigsten hätten die Ärzte aber akute Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen diagnostiziert: Diese verursachten bei einem Anteil von 41 Prozent nicht nur die meisten psychisch bedingten Krankschreibungen, auch die Arbeitsunfähigkeitsquote stieg hier am stärksten, nämlich um 42 Prozent. Das zeige, dass immer mehr Menschen "unter ungewöhnlichem Druck, großen Belastungen und Dauerstress stehen", erklärte KKH-Arbeitspsychologin Judick. Besonders betroffen seien Beschäftigte in sozialen Berufen wie etwa Alten- und Krankenpflege.

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