Politikerwechsel in die Wirtschaft:Eine Frage des Charakters

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Ronald Pofalla hat sich schon im Kanzleramt für die Deutsche Bahn verdient gemacht hat (Foto: AFP)

Im Fall Pofalla ist von Günstlingswirtschaft und Abkassiererei die Rede - völlig falsch ist das nicht. Aber die Grenze zwischen Politik und Wirtschaft sollte nicht dichtgemacht werden. Ob jemand den Seitenwechsel mit Anstand hinbekommt, hängt allein vom Charakter ab.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt

Ronald Pofalla hat zum Jahreswechsel einen kapitalen Bock geschossen: Der 54-jährige frühere Chef des Kanzleramts will offensichtlich der Politik den Rücken kehren und Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn werden.

Ein Skandal, ohne Zweifel - aber nicht aus den Gründen, die derzeit debattiert werden. Empörend ist nämlich nicht der Umstand, dass ein Politiker in die Wirtschaft wechseln möchte. Empörend ist, dass der per Direktmandat in den Bundestag entsandte Christenmensch Pofalla die Bürger daheim in Kleve hinters Licht geführt hat, indem er vor der Wahl verschwieg, was er nach der Wahl vorhat.

Und ebenso empörend ist, dass sein Verzicht auf erneute Ministerwürden zunächst damit begründet wurde, der Merkel-Zögling wolle sich stärker seiner jungen Lebensgefährtin widmen oder gar eine Familie gründen. Reine Nebelkerzenwerferei, wie sich jetzt zeigt - mit der Pofalla all diejenigen diskreditiert, die sich tatsächlich zulasten der Karriereaussichten für die Familie entscheiden.

Pauschale Verdächtigung von Amtsträgern

Statt jedoch über diese Themen zu reden, wird in der Öffentlichkeit über den Wechsel an sich lamentiert. Von Interessenkollision ist die Rede, von Günstlingswirtschaft und Abkassiererei. Es sind die Vorwürfe, die in solchen Fällen immer auftauchen, und sie sind auch nicht immer völlig falsch. Das heißt aber noch lange nicht, dass deshalb das Gegenteil richtig wäre und die Grenze zwischen Politik und Wirtschaft dicht gemacht werden sollte. Dieselben Kritiker nämlich, die heute über Pofalla herfallen, werden morgen wieder darüber klagen, dass nur noch Lehrer im Bundestag sitzen und viele Politiker ihr Leben lang nicht aus den Sitzungs- und Hinterzimmern herausfinden.

Man muss Ronald Pofalla nicht sympathisch finden. Wer ihm aber unterstellt, er habe jahrelang auf den Millionenjob hingearbeitet oder aber nach dem Anruf von Bahn-Chef Grube gar nicht anders gekonnt, als das Kanzleramt in eine heimliche Lobby-Zentrale zu verwandeln, ist ein armer Tropf. Denn er propagiert ein Menschenbild, das das Individuum als ruchlosen Opportunisten oder als bloße Summe aller äußeren Einflüsse definiert, statt ihm einen selbstbestimmten Umgang mit diesen Einflüssen zuzutrauen.

Viele echte oder vermeintliche Experten fordern nun, Politiker vor einem Seitenwechsel durch eine anderthalb-, drei- oder gar fünfjährige "Karenzzeit" vor sich selbst zu schützen. Ein anderer Vorschlag lautet, ihnen vorübergehend alle Tätigkeiten zu verbieten, die einen Bezug zum bisherigen Amt haben. Von einem "Abklingbecken" spricht EU-Kommissar Günther Oettinger - als seien Politiker gleichsam verstrahlt. Alles andere, so erklärt in gewohnt schlagzeilentauglicher Form der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim, sei eine "Form der bezahlten Korruption", die das Vertrauen der Menschen in die Demokratie erschüttere. Falsch! Nicht Pofalla beschädigt die Demokratie, es ist Arnim - indem er jeden Amtsträger pauschal verdächtigt, einer Versuchung im Zweifel nicht widerstehen zu können.

Positivbeispiele - und falsche Kommunikation

Ob jemand den Seitenwechsel mit Anstand hinbekommt, hängt nämlich nicht von der Länge einer Auszeit oder der Art der Tätigkeit, sondern allein vom Charakter ab. Als etwa Merkels damaliger Berater Jens Weidmann an die Spitze der Bundesbank wechselte, hieß es, nun sitze in Frankfurt ein Lakai der Kanzlerin auf dem Thron. Nur wenige Monate später war die Verwunderung groß, wie selbstbewusst und eigenständig der neue Chef die altehrwürdige Institution führte. Die sich wunderten, waren dieselben Menschen, die zuvor nur die Umstände des Wechsels, nicht aber den Charakter des Wechselnden ins Kalkül gezogen hatten.

Das zeigt: Die Einführung allgemeiner Wechselregeln würde nicht helfen, sie wäre purer Aktionismus. Auch künftig muss vielmehr jeder einzelne Fall öffentlich diskutiert werden. Das ist mitunter schmerzhaft, aber wirksam, wie das geplatzte Bahn-Engagement des CDU-Manns Jürgen Rüttgers gezeigt hat. Und wo die Chuzpe größer ist als die Sensibilität - Stichwort Gerhard Schröder und Gazprom - ist am Ende zumindest das Ansehen der Beteiligten ramponiert. Das bringt gesamtgesellschaftlich gesehen im Zweifel mehr, als wenn Schröder vor dem Wechsel eine Karenzzeit eingehalten hätte.

Richtig ist: Oft werden Politikerwechsel falsch abgewickelt oder kommuniziert, sei es aus Ignoranz oder aus Angst vor dem Spießrutenlauf. Die Verschwörungstheorien, die jedes Mal entstehen, sind jedoch nicht minder abstrus. Das zeigt der Fall Eckart von Klaeden, dessen damalige Chefin Angela Merkel bei der EU für die Interessen der deutschen Autofirmen eintrat, kurz nachdem der Staatsminister ein Job-Angebot von Daimler erhalten hatte: Zu glauben, Merkel habe in Brüssel so agiert, weil ihr der "Ecki" das eingeflüstert hatte, ist geradezu ehrabschneidend. Und lachhaft obendrein.

© SZ vom 08.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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