Erst die Panama Papers, dann die Paradise Papers - immer, wenn wieder einmal Neues über die Steuertricks internationaler Konzerne und einiger Superreicher bekannt wird, kommt die Frage auf: Warum sind die meisten Tricks eigentlich noch legal, warum unterbinden die Staaten das nicht, schließlich geht es um sehr viel Geld. Die Antwort ist so einfach wie frustrierend: "Die" Staaten haben unterschiedliche Interessen; Steuergesetze, die Irland oder den Bahamas nutzen, schaden Deutschland und Frankreich und umgekehrt. Steueroasen in der Karibik kann man heute nicht mehr mit Kanonenbooten zur Räson bringen, glücklicherweise.
Bleibt also den Regierungen nichts anderes übrig, als die Praktiken zu akzeptieren und darauf zu hoffen, dass Enthüllungen investigativer Journalisten wenigstens solche Unternehmen disziplinieren, die einen Ruf zu verlieren haben? Nicht ganz. Es gibt ein Instrument, mit dem man der Steuerflucht begegnen könnte. Bisher existiert es nur in der Theorie, es gibt keinerlei praktische Erfahrungen damit. Die Grundidee ist denkbar simpel: Wenn das Problem die verschobenen Gewinne sind, dann sollten die Finanzbehörden doch einfach aufhören, diesen Gewinnen hinterherzulaufen. Statt des Gewinns sollten sie lieber das Geld, das in die Kassen des Unternehmens fließt, also, in der Fachsprache, den Cashflow besteuern. Das hätte einen klaren Vorteil: Der Cashflow ist viel leichter zu ermitteln und schwerer zu manipulieren als der Gewinn; er ist in diesem Fall definiert als Umsatz minus Lohnkosten und Investitionen. Die neue Steuer trägt den schönen Namen "Destination-Based Cash-Flow Tax" und würde die Körperschaftsteuer und andere Unternehmensteuern ersetzen.
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Konzerne verschieben Gewinne, um weniger an den Staat zu zahlen. Ein Ökonom hat nun ermittelt, wie groß der Schaden ist.
Das Konzept kommt, natürlich, aus Amerika, wo man sich schon lange mit der Steuerflucht großer Unternehmen herumschlägt. Der Ökonom Alan Auerbach von der Universität Berkeley hat es maßgeblich entwickelt, der einflussreiche Harvard-Ökonom und Politikberater Martin Feldstein unterstützt es. Weltweit bekannt jedoch wurde die Cashflow-Steuer im vergangenen Frühjahr ausgerechnet durch Donald Trump. Der amerikanische Präsident hatte die Steuer entdeckt als scheinbar perfektes Instrument für sein "America first", und zwar aus einem einfachen Grund. Wer den Cashflow besteuern will, der braucht irgendeine Form von Grenzausgleich, und der sieht so aus: Exporte wären, ähnlich wie bei der deutschen Mehrwertsteuer, steuerfrei; Importe würden mit einer Abgabe von 20 Prozent belastet. Das Ganze wäre ein gigantisches Exportförderungs- und Importverhinderungsprogramm für die Vereinigten Staaten.
Im Ausland, besonders bei den exportabhängigen Deutschen, gab es einen kurzen Aufschrei: Das klang nach einem Abbau des amerikanischen Handelsdefizits auf die brutale Art und war von Trump selbst wohl auch genau so gemeint gewesen. Aber der Proteste aus dem Ausland hätte es gar nicht bedurft. Es war die Lobby der großen amerikanischen Einzelhändler, die Trumps Steuer zu Fall brachte, Walmart, Macy's, Staples und andere. Deren Geschäftsmodell beruht auf billiger Ware aus China, Mexiko und anderswo, die Unternehmen hätten sich daher bedankt, wären ihre Einstandskosten einfach so um 20 Prozent gestiegen. Trump ließ die Sache mit dem Cashflow fallen und will jetzt eine ganz normale Senkung der Unternehmensteuern durchsetzen. Ob er damit Erfolg hat, wird man sehen.
Trotzdem lohnt es sich, das Modell der Cashflow-Steuer genau zu untersuchen. Erstens hat das mächtige Committee on Ways and Means im Repräsentantenhaus (vergleichbar dem Haushaltsschuss des Deutschen Bundestages) sie sich bereits im vorigen Jahr offiziell zu eigen gemacht. Das Thema könnte also bald wieder aufkommen. Und zweitens ist das Konzept für Steuerbehörden überaus verführerisch: Die Nikes, Apples und Amazons dieser Welt könnten ihren Firmensitz verlegen, wohin sie wollen, selbst auf die Britischen Jungferninseln. Die Steuer wird trotzdem dort erhoben, wo das Geschäft stattfindet, also in den Abnehmerstaaten.
Ob Deutschland profitieren würde, ist offen
Viele Fragen dabei sind noch unbeantwortet. So ist der Grenzausgleich in der Form, wie ihn Trump vorsah, krasser Protektionismus, die Welthandelsorganisation (WTO) würde das auf keinen Fall mitmachen. Zu den Opfern würde auch und besonders die deutsche Exportwirtschaft gehören. Der Erfinder der Steuer, Alan Auerbach, glaubt, dass die Verteuerung der Importe und die Verbilligung der Exporte durch den Grenzausgleich mittels einer massiven Aufwertung des Dollars aufgewogen würden, sodass das Ganze am Ende keinen Einfluss auf die Handelsbilanz hätte. Aber das ist eine gewagte Aussage. Wechselkurse werden auf Devisenmärkten bestimmt, und die tun meist nicht das, was man von ihnen will. Plausibel wäre es, daher, wenn amerikanische Exporte billiger und Importe in die USA teurer würden.
Das hat weitreichende Konsequenzen auch für die Europäer. Sollten die Amerikaner irgendwann einmal Ernst machen wollen mit der Cashflow-Steuer, bleibt der EU nichts anderes übrig, als sie ebenfalls zu erheben, will sie nicht die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den USA gefährden. Das in den Paradise Papers geschilderte Problem der Steuervermeidung großer Unternehmen wäre damit immerhin gelöst (das Verhalten reicher Einzelpersonen ist eine andere Sache).
Das Unternehmensteuerrecht wäre danach gerechter, ob aber der deutsche Finanzminister davon profitieren würde, ist offen. Zwar würden iPhones und Nike-Schuhe, die in Deutschland verkauft werden, auch in Deutschland versteuert. Umgekehrt würden aber auch Autos, die BMW in den USA verkauft, dort versteuert. Niemand kann heute sagen, wie die Bilanz ausfallen würde.