Goldman Sachs steigt für knapp eine halbe Milliarde Dollar bei dem Internetunternehmen Facebook ein. Gleichzeitig erhält die Bank Anteile, die sie an Investoren weiter vermittelt. Der Unternehmenswert von Facebook steigt auf 50 Milliarden Dollar. Damit erreicht es immerhin schon ein Drittel des Marktwertes von Google. Die Mehrzahl der deutschen Dax-Konzerne ist weit weniger wert. Doch was macht Facebook für die Anleger so interessant? Und wie unterscheidet es sich von Google, dem derzeit wichtigsten Internetkonzern? Peter Wippermann, Chef des Trendbüros in Hamburg, sagt, dass Facebook es den Nutzern ermöglicht, die Bedeutung einer Idee, eines Angebots oder einer Meldung durch die Freunde im Netz beurteilen zu lassen - Facebook filtert die Welt mit Hilfe des eigenen sozialen Netzwerkes.
sueddeutsche.de: Vor ein paar Jahren war, salopp formuliert, das Internet gleich Google; heute ist es Facebook. Was unterscheidet die beiden Unternehmen?
Peter Wippermann: Google reduziert die Komplexität des Netzes auf die Frage eines einzelnen Nutzers. Facebook hingegen will soziale Beziehungen kommerzialisieren, indem es sie programmierbar macht. Google bietet eine Dienstleistung und sagt: 'Das gibt es im Internet'. Facebook hingegen gibt Aufschluss über die soziale Qualität einer Entscheidung, einer Fragestellung oder eines Produkts. Dort erfährt der Nutzer: 'Und andere sind auch Deiner Meinung'.
sueddeutsche.de: Beide Unternehmen vereinfachen also die Welt, nur dass Google auf die Macht der Algorithmen setzt, Facebook hingegen auf die Macht des sozialen Umfeldes?
Wippermann: Bei Google werden Verlinkungen eines Themas als Grundlage für die Reihenfolge der Suchergebnisse genommen, bei Facebook indes sehen die Beteiligten: Welche Leute interessieren sich für das Thema. Im normalen Leben sind ja auch soziale Beziehungen ausschlaggebend für die Bedeutung einer Idee, eines Angebots oder einer Meldung - darauf setzt Facebook. Und anders als bei Google wissen die Nutzer, mit wem sie es als Gruppe zu tun haben. Bei Google stelle ich eine Frage und bekomme die Antwort. Bei Facebook habe ich einen Biofilter - Menschen, denen ich gestattete, in meinen Datenkontext zu sein, und die ich selbst auch beobachten will; dieses soziale Geflecht unterstützt mich und gibt mir Aufschluss darüber, ob etwas relevant ist.
sueddeutsche.de: Wie wird der Austausch von Meinungen bei Facebook zu Geld gemacht?
Wippermann: Facebook wird zu einer Handelsplattform, wo auf Grundlage der Informationen anderer Geschäfte abgewickelt werden. Eines der einfachsten Beispiele dafür ist, wie Amazon und Facebook ihre Datenbanken kombiniert haben. Da wird erst eine Wunschliste bei Amazon zusammengestellt und bei Facebook veröffentlicht. Die eigenen Freunde sehen die Wünsche, tun sich zusammen, und kaufen zum Geburtstag bei Amazon. Der Wunsch des einzelnen - veröffentlicht im sozialen Umfeld - ist der Anlass, Produkte zu kaufen. Das ist der Wert von Facebook. Mühelos lässt sich das auf andere Bereiche wie Informationen oder Aktien übertragen. Das Prinzip ist: Ich sage, was ich mache und andere, die mich scheinbar kennen, sind über meine Vorstellungen informiert und bekommen von Unternehmen Lösungen angeboten.
sueddeutsche.de: Facebook ist also der Schulhof im Netz mit seinen Stilikonen und der straffen sozialen Kontrolle?
Wippermann: Nur, dass der Schulhof jetzt 500 Millionen Leuten Platz bietet und alles über Datenbanken abgewickelt wird. Die beteiligten Unternehmen brauchen darum wenig Personal und können die Informationen in alle Richtungen skalieren: Das, was früher auf dem Schulhof nur unter Freunden ausgetauscht wurde, kann nun bei Facebook vielfach bewertet werden. Die unterschiedlichen Aspekte lassen sich dann jeweils anders verkaufen oder nutzen.
sueddeutsche.de: Andere Netzwerke mit großem Potential sind - zumindest im direkten Vergleich zu Facebook - gescheitert. Was macht Facebook besser?
Wippermann: StudiVZ ist nichts anderes als eine geistige Anlehnung an Facebook gewesen, die schneller in Deutschland realisiert worden ist. Eine geklaute Idee, die vom Original erschlagen wird. MySpace war der erste Versuch eines sozialen Netzwerkes, der allerdings einen starken Fokus auf Musik hatte. Dahin kehren die Betreiber jetzt auch wieder zurück. MySpace hatte erst versucht, etwas zu etablieren, die Gestaltung der Seiten aber den einzelnen User überlassen und nicht versucht, eine Marktidee daraus zu entwickeln.
sueddeutsche.de: Hat Facebook von MySpace gelernt?
Wippermann: Das Geschäftsmodell von Facebook, das sich sicher auch erst im Laufe der Zeit entwickelt hatte, konnte gerade durch die Existenz von MySpace leichter entstehen. Es gibt immer mehrere ähnliche Ideen. Man beobachtet sich gegenseitig. Doch früher ging es um Dezentralität. Zuletzt sind aber mehrere proprietäre Netzwerke mit starkem Bezug zu einem Unternehmen - wie es ursprünglich mal bei AOL angedacht war - neu entstanden. Facebook, Apple, Google, Amazon haben jeder für sich so ein Netzwerk. Das nützt zwar den Unternehmen, läuft allerdings der Grundidee des offenen Internets - wie sie Myspace noch eher hatte - zuwider.
sueddeutsche.de: AOL ist mit dem Vorhaben gescheitert, warum schaffen es Apple und Facebook?
Wippermann: Die Komplexität der einzelnen Netzwerke ist mittlerweile so hoch, dass die Leute es vorziehen, nur noch bei einem Anbieter zu sein. Eine solche Entwicklung ließ sich schon gut beim Thema "Cloud Computing" beobachten. Früher ging es beim Cloud Computing einmal darum, die ungenutzten Kapazitäten vieler, auch privater Rechner zu verbinden und damit nutzbar zu machen. Heute hingegen werden große Rechnerfarmen von Unternehmen aufgestellt. Auf denen können die Nutzer dann ihre Daten lagern. Sie kaufen Festplattenkapazitäten und Software nur noch nach Bedarf - und nur bei einem Anbieter wie beispielsweise Amazon.
sueddeutsche.de: Das Internet wird demnach monopolisiert?
Wippermann: Absolut, ein Beispiel sind die Apps, die etwa Apple anbietet. Sie reduzieren das Netz auf einen bestimmten Aspekt. Mit der Facebook-App brauche ich Google nicht mehr, sondern gehe direkt von meinem Smartphone zu meinem Anbieter und bleibe in seiner Welt. Das ist auch die Phantasie der Anleger. Die Schwerpunkte der Anbieter werden aber sicher bleiben: Facebook hat nun einmal die sozialen Interaktionen als Grundidee. Google sucht mit Applikationen wie Google Maps oder Google Earth den Bezug zur Wirklichkeit und schafft starke Verbindungen des Einzelnen in den Ort. Und Amazon kümmert sich um den Konsum. Die Entwicklung ist spannend: Es wird in Zukunft wenige große Unternehmen geben, die bestimmte Leistungen global anbieten.
sueddeutsche.de: Wenn Sie zehn Jahre weiterdenken - wie könnte das Netz dann aussehen?
Wippermann: Es gibt mehrere parallele Entwicklungen. Auf der einen Seite sind wir dabei, unsere Privatsphäre als geldwertes Gut zu verhandeln. Das war früher undenkbar, weil das Private die Gegenwelt zur kommerziellen Welt war. Früher hat man Freundschaften nicht verkauft, jetzt erleben wir genau das. Zugleich geschieht noch etwas, was wiederum stark mit der Funktechnologie RFID zusammenhängt, die vielen Produkten implantiert wird. Dinge fangen an, mit uns zu interagieren und Maschinen tauschen sich untereinander aus. Mit Hilfe der Geodaten schließlich können Unternehmen wie Google Objekte und Menschen innerhalb eines Georaums orten und führen. Diese Kombination von sozialen Informationen in Echtzeit im Raum wird das sein, was in den nächsten zehn Jahren Gestalt annimmt.
sueddeutsche.de: Nennen Sie uns ein Beispiel ...
Wippermann: Da ist etwa der Einzug von Internettechnologien ins Auto: Erst waren es Angebote zur Navigation, später zur Unterhaltung und in zehn Jahren ist es sicher keine Sensation mehr, wenn die Autos selbst fahren.
sueddeutsche.de: Vielen ist das nicht geheuer, vor allem die Veröffentlichung des Privaten - fordert das nicht eine Gegenbewegung heraus?
Wippermann: Das findet schon statt - es ist der Rückzug ins Private: Schauen Sie nur den deutschen Zeitschriftmarkt an. Es gibt zwei Blätter, die in den letzten beiden Jahren sensationelle Auflagenzuwächse hatten. Das eine ist Landlust, diese Idee, man könnte wieder eine Agrarkultur haben, die es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gibt. Das andere ist Schöner Wohnen. Dahinter verbirgt sich das, was man vielleicht als Homing bezeichnen könnte: die Ausgestaltung der eigenen vier Wände. In der Jugendkultur spiegeln sich diese in den Retrotrends wider.