Nahverkehr:Ein neues Neun-Euro-Ticket ist nicht in Sicht

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Straßenbahn in Köln: Bund und Länder streiten sich generell über die Finanzierung des Öffentlichen Nahverkehrs. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Es gilt als großer Wurf unter den Hilfspaketen. Trotzdem ist eine rasche Nachfolge des Neun-Euro-Tickets unwahrscheinlich. Sie scheitert auch am Milliardenstreit um die ÖPNV-Finanzierung.

Von Markus Balser, Berlin, und Christian Wernicke, Düsseldorf, Berlin, Düsseldorf

Für Kanzler Olaf Scholz (SPD) war es in der Krise "eine der besten Ideen, die wir hatten". Grünen-Chefin Ricarda Lang lobt es als "unglaublich beliebt". Und auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht einen "Riesenerfolg". 38 Millionen Mal wurde das Neun-Euro-Ticket in Deutschland in den vergangenen Wochen verkauft. Am Mittwoch läuft es aus. Lange müssten die Deutschen nicht auf eine Anschlusslösung warten, versprach der Kanzler in dieser Woche bei einem Bürgerdialog. Eine Nachfolgelösung komme, sagte er. Verkehrsminister Wissing sei "da dran".

Wer allerdings gehofft hatte, dass es wirklich einen nahtlosen Anschluss gibt, den enttäuschte Wissing an diesem Freitag. Der Bundesverkehrsminister deutete bei einer Pressekonferenz in Berlin an, dass es sogar noch Wochen, wahrscheinlich sogar Monate dauern wird, bis ein neues bundesweites Ticket kommt. Er bleibe bei seinem Fahrplan, sagte Wissing. Zuerst wolle er sich die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe zu Reformen im ÖPNV anschauen, die für Oktober erwartet werden. Erst dann könne die Frage beantwortet werden, wie ein besseres Ticket für die Zukunft aussehen könne.

Damit bahnt sich in der Ampel-Koalition aber auch zwischen Bund und Ländern erneut heftiger Streit an. Denn die Länder mahnen ein ganz anderes Tempo an. Sie forderten den Bund bei einer Verkehrsministerkonferenz dazu auf, "zeitnah" einen tragfähigen und nachhaltigen Vorschlag für eine Nachfolge des Neun-Euro-Tickets vorzulegen. Die hohe Nachfrage nach dem Neun-Euro-Ticket habe zudem deutlich gezeigt, dass die Qualität deutlich ausgebaut werden müsse, sagte die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Bremens Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne), nach einer digitalen Sondersitzung des Gremiums.

Auch bei der Finanzierung gehen die Pläne weit auseinander. Während Wissing die Länder in der Pflicht sieht, forderten die am Freitag, der Bund müsse die Finanzierung eines solchen Milliardenprojekts vollständig übernehmen. "Massiv" sei die Verstimmung über die Tatenlosigkeit des Bundesministers, hieß es im Kreis der Länderminister, die sich in nur einer Stunde auf einen geharnischten Beschluss einigten. "Enttäuschend" nannte das Wissing. Die Deutschen erwarteten, dass Politik Lösungen präsentiere, anstatt Verantwortung zu verschieben.

In Berlin könnte das Neun-Euro-Ticket bis Ende des Jahres verlängert werden

Doch der Streit um das bundesweite Ticket ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn hinter den Kulissen geht es um mehr. Es ist heftiger Streit um die generelle Finanzierung von Bussen und Bahnen ausgebrochen. Die von der Pandemie gebeutelte Branche braucht wegen steigender Energiepreise dringend mehr Geld. Bund und Länder streiten mit harten Bandagen über drohende Zusatzkosten. Zusätzlich zu der bislang schon geforderten Erhöhung der sogenannten Regionalisierungsmittel um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, forderten die Landesminister wegen der hohen Energiepreise für die Jahre 2022 und 2023 jeweils weitere 1,65 Milliarden Euro, um Existenzkrisen von Verkehrsbetrieben abzuwenden. Wissing aber stellt sich bislang quer und mahnt zuerst Reformen an.

Auch innerhalb der Ampel-Parteien löst Wissings harter Kurs heftige Reaktionen aus. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) warnte etwa vor Einschränkungen auf Nahverkehrslinien. "Ohne eine bessere Finanzierung des ÖPNV durch den Bund werden Länder und Kommunen gezwungen sein, öffentliche Verkehrsangebote im regionalen Bahnverkehr und im Busverkehr einzuschränken." Brandenburg rechne durch die gestiegenen Energie- und Baupreise mit Mehrkosten für den Schienenpersonennahverkehr von fast 20 Prozent, warnte CDU-Verkehrsminister Guido Beermann. Das könne man mit den bisherigen Mitteln nicht auffangen. Es drohten Investitionsstopps, Ausdünnungen und im schlimmsten Fall Abbestellungen.

"Der Ball liegt in Berlin", sagt auch NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne). Nicht nur finanziell, auch politisch findet Krischer, der bis Juni noch Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium war. "Ich bedauere, dass der Bund in der Sommerpause keine Lösung gefunden hat", sagt er. Aber in Berlin gebe es ja leider "Einzelne, die da auf der Bremse stehen."

Die ersten Länder denken inzwischen über eigene Lösungen nach - und könnten einen neuen Flickenteppich schaffen. Die Berliner SPD etwa kann sich vorstellen, das Neun-Euro-Ticket in der Hauptstadt auch über den August hinaus anzubieten. Die SPD von Regierungschefin Franziska Giffey schlägt vor, eine solche Regelung zunächst bis Ende des Jahres einzuführen. Mit dem Ticket, heißt es aus Kreisen des Senats, könnten Besitzer dann aber nur in Berlin und nicht mehr bundesweit fahren.

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