Nahrungsmittelpreise in Deutschland:Aber bitte mit Sahne

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In den Augen vieler sind allein die Discounter an den zu billigen Lebensmitteln schuld. Doch so einfach ist es nicht. (Foto: dpa)

Die Preise für Milchprodukte sind deutlich gefallen - und gehen noch weiter zurück. Dabei sind Lebensmittel in Deutschland eh vergleichsweise günstig. Wer also zahlt am Ende?

Von Marlene Weiß

Die zentralen Argumente für ein Leben in Berlin passen auf einen Kassenzettel. Bio-Vollmilch, Schnitzeltasche Milano, Pasta, und, ganz wichtig: Schokopudding mit Sahnehaube, drei Stück für je 19 Cent. Gekauft bei einer Berliner Aldi-Filiale, fotografiert und auf Facebook gepostet. Daheim in Israel würde der gleiche Einkauf 200 Schekel kosten, schreibt der Auswanderer dazu, weit mehr als das Doppelte. Und rät allen, bald nachzukommen. Nach Deutschland, ins Land der unbegrenzten Einkaufsmöglichkeiten.

Nicht alle sind so begeistert über die Preise. Im Januar senkte Aldi den Eierpreis, im März folgte die Wurst, zuletzt machten Butter und Käse den Brotzeitteller komplett. Wie üblich zogen andere Handelsketten nach und senkten ebenfalls Preise. Insgesamt sind Nahrungsmittel in Deutschland seit Jahresbeginn etwa zwei Prozent billiger geworden - und prompt ächzen die Bauern. Der Böse in dem Spektakel um Lebensmittelpreise ist längst gefunden, die Discounterbranche soll es sein. Nur: Ganz so einfach ist es nicht. Das sieht man vielleicht am besten am Streit um die Milchpreise.

Bis zu 13 Prozent senkte Aldi jüngst die Käse- und Sahnepreise, laut Milchindustrieverband auch wegen des russischen Importstopps. Das Embargo würde als Vorwand missbraucht, hochwertige Milchprodukte würden verschleudert, klagt der bayerische Bauernverband. Der Verband der Halter von Milchkühen sieht eine "immer schnellere Preisspirale nach unten" - und fordert politisches Eingreifen.

35 Cent bekommt der Bauer für den Liter Milch

Nun geben die Deutschen nur etwa zehn Prozent ihres Geldes für Essen aus, und nicht einmal nur für anständiges; im internationalen Vergleich ein beschämender Wert. Und tatsächlich fallen die Preise seit Jahresanfang - aber in den zehn Jahren zuvor waren sie stets gestiegen, mehr als die Inflation. Noch immer sind sie niedrig, aber doch höher als vor wenigen Jahren. Das gilt auch für Milchprodukte, und damit für die Einnahmen der Bauern: Etwa 35 Cent bekommen die Bauern derzeit pro Kilo Milch. Das ist zwar ein schmerzhafter Rückgang von den mehr als 40 Cent, die es noch zu Jahresbeginn gab - das aber war ein Rekordpreis, bei dem moderne Großbetriebe mit Melkautomaten und Hunderten Kühen im Stall hohe Gewinne machen können, zumal das Futter derzeit billig ist.

Auch die Bauern haben ihren Anteil daran, dass sie dem knallharten Preisdruck der Discounter wenig entgegensetzen können: Sie produzieren zu viel. Zum Beispiel Milch. Im kommenden April werden EU-weit die Milchquoten aufgehoben. Dann müssen sich Bauern nicht mehr an eine Obergrenze halten, sondern können so viel Milch verkaufen, wie sie an den Mann bringen können. Viele haben investiert und ihre Ställe erweitert, um das auszunutzen. Schon im vergangenen Jahr überschritten die Bauern die Quote um zwei Prozent - wofür Strafzahlungen von 160 Millionen Euro fällig sind. In diesem Jahr dürften es noch deutlich mehr werden.

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Dummerweise ist auch in den USA und Neuseeland die Produktion gestiegen, während die Nachfrage aus China und Indien dümpelt. Der russische Importstopp hat nur geringe Auswirkungen, vor allem, weil Russland schon lange kaum Milch- und Fleischprodukte aus Deutschland ins Land lässt, angeblich aus Hygienegründen. Aber das macht die Sache nicht besser. Das Angebot steigt, die Nachfrage kommt nicht hinterher, also fallen die Preise. "Die Discounter geben die Preisnachlässe an die Kunden weiter", sagt Martin Banse, Leiter Marktanalyse am Thünen-Institut des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Die Quotenregelung, die seit 1984 gilt, habe den Strukturwandel in der Milcherzeugung lange zurückgestaut. Jetzt, da deren Ende in Sicht ist, finde er sprunghaft statt: Kleine Betriebe geben auf oder schließen sich zu Betriebsgemeinschaften zusammen, die Ställe werden größer, die Kosten sinken. Eine Prognose des Thünen-Instituts sieht für das Jahr 2023 ohne Quote einen Milchpreis voraus, der in etwa bei 34 Cent pro Kilogramm liegt; bei deutlich steigender Produktion, wenn auch wohl auf weit weniger Milchbauern verteilt. "Dass es nach dem Wegfall der Quoten einen weiteren Rückgang in der Anzahl der Betriebe geben wird, ist ziemlich sicher", sagt Banse. Das mag man bedauern, aber es liegt auch an strengeren Tierschutz-Vorschriften. Von 2020 an dürfen Rinder nicht mehr angebunden im Stall stehen. Ein neuer, teurer Laufstall lohnt sich jedoch für viele kleinere Betriebe nicht.

Zurück zur Quote will das Ministerium ganz bestimmt nicht mehr

Viele Bauern wollen sich aber nicht so einfach wegrationalisieren lassen. "Wir machen Aldi keinen Vorwurf", sagt Hans Foldenauer, Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter und seit 30 Jahren Milchbauer im Allgäu. "Die Einzelhändler schreiben die Mengen aus, die sie einkaufen wollen", sagt er. "Und dann unterbieten sich die Molkereien gegenseitig, um ihre Milch loszuwerden." Wenn die Lieferanten ohne den Mengendruck im Nacken in die Verhandlungen gehen könnten, sähe die Situation ganz anders aus, dann könnte der Einzelhandel nicht so einfach die Preise diktieren. Auf die jetzige, starre Milchquote mag Foldenauer gern verzichten, weil sie dieses Problem noch nie gelöst hat. "Aber auf Dauer brauchen wir klare Marktregeln, die die Produktion wenn nötig an die Nachfrage anpassen." Bei drohendem Preisverfall könnte die Liefermenge dann zum Beispiel vorübergehend wieder beschränkt werden.

Davon aber will man im Landwirtschaftsministerium nichts hören: Die Quote fällt, basta. Erst wenn der Milchpreis wirklich ins Bodenlose sinkt, greift ein Sicherheitsmechanismus, und der Staat kauft Milch auf. Die Milchbauern werden also wohl oder übel mit dem Markt zurechtkommen müssen. Und mit dem Dilemma, in dem viele Bauern stecken: Die Margen sind winzig, also wird mehr produziert, was die Preise niedrig hält. Für Tierschutz bleibt da nicht viel Raum. Dabei wären viele Bauern offen für Verbesserungen. Nur muss sie eben auch einer bezahlen. Bislang liegt jedoch etwa der Marktanteil von Biofleisch bei wenigen Prozent.

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Aber das könnte sich ändern: Der Respekt vor Lebensmitteln steigt. "Die ,Geiz ist geil'-Mentalität hatten wir etwa bis 2005, seitdem hat es sich gedreht", sagt Wolfgang Adlwarth, Handelsexperte von der Gesellschaft für Konsumforschung GfK. Etwa ein Viertel der Kunden, deutlich mehr als noch 2007, kauft nach GfK-Zahlen bevorzugt Bio-, regionale und fair gehandelte Produkte. "Es gibt eine Zielgruppe, die mehr auf Qualität schaut als auf den Preis", sagt Adlwarth. "Und sie wächst."

© SZ vom 10.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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