SZ-Nachhaltigkeitsgipfel:Mehr Schwung für die Kreislaufwirtschaft

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Müll ist eigentlich Wertstoff, der wiederverwendet werden könnte. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Industrie, Abfallberater und Entsorgungswirtschaft fordern einheitliche Regeln, die Investitionen in Recycling ermöglichen und Mehrwegsysteme voranbringen.

Von Kathrin Werner

Müll ist schon lange ein Thema, das die Menschen bewegt. Auf der kleinen Ebene: Wohin mit dem leeren Pizzakarton - Restmüll oder Papiertonne? Und als große politische Frage: Was soll dieses Land mit seinem Wohlstandsabfall tun, ohne die Umwelt zu verpesten?

Zuletzt ist der Müll noch stärker in den Fokus geraten. Als Klimawandel-Problem, denn Müll wird verbrannt und verschifft und die Herstellung all der irgendwie weggeschmissenen Dinge verursacht CO2. Hinzu kommt: Es geht um Rohstoffe und insofern um ein Instrument der Industriepolitik. Denn in Müll stecken viele Materialien, die nützlich wären und sonst teuer aus Ländern wie China oder Russland eingeführt werden müssten - und so Abhängigkeiten verstärken. Gerade für ein Land wie Deutschland, das vergleichsweise wenige eigene Rohstoff-Vorkommen hat, ist es also wichtig, die begehrten Inhaltsstoffe im Müll nicht einfach zu verschwenden.

Jedes Jahr fördert die Welt mehr als 100 Milliarden Tonnen an Rohstoffen. Nur 7,2 Prozent davon werden laut diesjährigem Circularity Gap Report wiederverwendet, einer Studie der Kreislaufwirtschaft-Aktivistengruppe Circle Economy. Die Zahl sinkt Jahr für Jahr, weil die Rohstoffextraktion steigt, aber die Recyclingbemühungen nicht Schritt halten.

Doch damit mehr recycelt werden kann, muss die Politik andere Anreize setzen und eine einheitliche Kreislaufwirtschaftsstrategie entwickeln, fordern Industrieunternehmen, Abfallwirtschaft und Kreislaufwirtschafts-Berater beim Nachhaltigkeitsgipfel der SZ am Dienstag in München. Die deutsche Politik habe, anders als zum Beispiel im ebenfalls rohstoffarmen Nachbarland Niederlande, viele verschiedene Programme und Pläne mit unterschiedlichen Indikatoren und Zielen, kritisiert Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. "Das hat auch dazu geführt, dass die Industrie nicht ausreichend in Kreislaufwirtschaft investiert hat." Er entwickelt mit anderen Branchenvertretern gerade eine solche Strategie. Die Wirtschaft brauche Planungssicherheit - es geht schließlich um Milliarden, die in Recyclinganlagen und recyclingfähige Materialien fließen müssten. "Es geht darum, die deutsche Industrie nachhaltig wettbewerbsfähig zu machen", sagt Wilts.

Bieterwettbewerb um benutzte PET-Flaschen verhindert Wiederverwertung

Die Industrie selbst hat Interesse an recycelten Stoffen. Wer Waren aus wiederverwerteten Ressourcen herstellt, verringert den ökologischen Fußabdruck und nutzt teure Ressourcen effizienter - all das kommt auch zunehmend gut bei Kunden, Mitarbeitenden und Investoren an. Doch das Ziel ist gar nicht so leicht erreichbar. Was PET-Plastikflaschen angeht zum Beispiel, erörtert John Galvin, der Deutschlandchef von Coca-Cola, wünscht sich der Getränkekonzern ein geschlossenes Kreislaufsystem. Doch um das begehrte Plastik gebe es einen Bieterwettbewerb, in dem Bekleidungshersteller wie Nike die Preise hochtreiben, die aus den Flaschen Klamotten oder Rucksäcke herstellen.

Die Kreislaufwirtschaft sei nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern für die gesamte Volkswirtschaft von großer Bedeutung, hat auch die Unternehmensberatung BCG in einer Studie aus dem Jahr 2020 ermittelt. Allein hierzulande habe sie ein Potenzial von 140 bis 200 Milliarden Euro jährlicher Wirtschaftsleistung, rechnet BCG vor, das wären bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Es ist Aufgabe der Politik, Anreize so zu setzen, dass es nicht zwangsläufig billiger ist, neues Material herzustellen als altes zu recyceln, weil die Sammlung und Reinigung so teuer ist, sagte die Verpackungsingenieurin Carolina Schweig auf dem SZ-Nachhaltigkeitsgipfel. "Wir wollen den Abfall loswerden, aber wir wollen ihn nicht nutzen, da kommt die Ineffizienz her." Es brauche mehr Engagement bei Mehrwegverpackungen, fordert sie, zum Beispiel würde es helfen, wenn Flaschen stärker standardisiert würden.

Im Jahr 2021 wurden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 411,5 Millionen Tonnen Abfälle entsorgt, 2,5 Millionen Tonnen weniger als im ersten Corona-Jahr 2020. Die wegen Corona schwächere Wirtschaft hat dabei eine Rolle gespielt. In den Haushalten selbst haben die Menschen dagegen 2021 mehr weggeworfen. Laut Statistischen Bundesamt wurden pro Kopf 483 Kilogramm Haushaltsabfälle eingesammelt im Jahr 2021, sechs Kilogramm mehr als 2020. So viel Hausmüll gab es noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 2004.

Die Menschen in Deutschland wünschen sich mehr Recycling und wollen einen Beitrag leisten, sagte Wilts. Oft sei es aber sehr schwer zu erkennen, welche Verpackung wirklich nachhaltiger ist als eine andere. "Das muss auch möglich sein zu ermitteln ohne ein Ingenieursstudium." Helfen würde ein zuverlässiges und einheitliches deutsches oder europäisches Label, das erklärt, ob die Ware oder Verpackung aus verwertbaren oder wiederverwendbaren Materialien besteht.

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