Mobile World Congress:Das 5G-Wunder, das keines war

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Viele Mobilfunkanbieter bieten ihren Kunden gar kein "echtes" 5G an. (Foto: Dave Bedrosian/Imago)

5G wurde groß angekündigt, doch warten die Kunden noch immer auf echte Verbesserungen. Nun sollen sie kommen. Die Mobilfunkbranche denkt sogar schon an 6G.

Von Helmut Martin-Jung

Ein paar Klicks auf einem Tablet-Bildschirm und das Auto setzt sich in Bewegung - dabei steht es 1500 Kilometer entfernt. Nicht etwa, weil ein Hacker es gekapert hätte, aus der Demonstration beim Mobile World Congress in Barcelona, dem weltweit größten Treffen der Mobilfunkbranche, soll vielmehr ein großes Geschäft werden. Das Konzept des Berliner Start-ups Vay: Professionelle Fahrer steuern über Mobilfunk von einem Büro aus Autos zu Kundinnen und Kunden, die eines bestellt haben. Die Kunden übernehmen es dort, fahren wo immer sie hinwollen und lassen das Auto stehen. Ab da übernimmt wieder ein Telefahrer.

In Barcelona arbeitet der Fahrer von einer Vorrichtung aus, die aussieht wie ein echtes Auto und sich auch so anfühlt - nur fahren kann es nicht. Dafür aber das Elektroauto, das Vay in Berlin platziert hat, auf einem mit Hütchen abgesteckten Parcours auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. Der Fahrer in Barcelona dreht am Lenkrad, das Auto in Berlin fährt um die Kurve. Vor ihm große gewölbte Bildschirme, auf denen auch virtuelle Rück- und Seitenspiegel angezeigt werden.

Viele Mobilfunkanbieter bieten gar kein "echtes" 5G an

In Hamburg hat Vay nun erstmals die Erlaubnis bekommen, seine Autos ohne zusätzlichen Sicherheitsfahrer im Auto auf die Straßen zu schicken. In den anderen Bundesländern zögert man noch, und überhaupt gibt es jede Menge zu klären. Etwa, was passiert, wenn das Auto in eine Polizeikontrolle kommt. Man ist also erst am Anfang. Und das gilt auch für eine Technik, die Dinge wie dieses Projekt ermöglichen soll: Mobilfunk der fünften Generation, kurz 5G.

Wohl noch nie in der 35-jährigen Geschichte des Mobilfunks war der Hype um die neue Technologie größer. Angeheizt wurde er nicht zuletzt durch die Mobilfunkanbieter, die wahre Wunder versprachen. Superduperschnell sollte es sein, das neue Netz. Im Maschinenraum sah es freilich ganz anders aus. Da geht es nämlich erst einmal darum, ein Problem der Branche zu lösen: Den exponentiell steigenden Datenverkehr zu bewältigen, wie Freddie Södergren sagt, der Technologie- und Strategiechef beim schwedischen Netzwerkausrüster Ericsson. "Wir brauchten 5G, um das Kapazitätsproblem zu lösen", sagt er.

Die vielen anderen neuen Fähigkeiten, die 5G mitbringt, sie spielten dabei keine Rolle, und das war aus zwei Gründen auch gar nicht möglich. Denn erstens unterstützen bis heute die meisten Handys nicht "echtes" 5G, zweitens musste dafür erst einmal das Innenleben der Netze, im Jargon Core genannt, fit gemacht werden für 5G. Was die Anbieter stattdessen machen, ist, die Verbindung vom Handy zum Funkmast über 4G aufzubauen, nur der Datentransport läuft über 5G. Eine recht kommode Übergangslösung für die Anbieter, ist doch 5G um ein Vielfaches energieeffizienter pro Datenvolumen als die Vorgängertechnologien. Und die Kunden? Merken eigentlich keinen Unterschied, mit Ausnahme der Tatsache, dass die Daten in aller Regel fließen, wenn man es braucht.

Södergren sagt deshalb auch: "Wir sind noch am Anfang." Erst allmählich werde das ausgerollt, was die Fachleute als 5G Standalone bezeichnen, also 5G durchgängig in der gesamten Strecke. Auch Volker Ziegler vom finnischen Konkurrenten Nokia findet, die Betreiber könnten beim echten 5G "schon noch etwas Gas geben". Aber was haben die Kunden, die Endverbraucher davon? Immer wieder fällt dabei das Stichwort XR. Gemeint sind alle Ausprägungen von erweiterter, gemischter oder virtueller Realität. Dass man sich also mit entsprechenden Brillen Zusatzinformationen einblenden lassen kann zum Beispiel. Oder - wie in der Entwicklung einer schwedischen Firma - ein Notfall-Kontrollzentrum, das auch in einem mobilen Einsatzwagen in einer Brille mehrere große Bildschirme darstellen kann. Den verschiedenen Video-Datenströmen kann dabei unterschiedlich hohe Priorität zugewiesen werden. Das ist eine der Spezialfunktionen von 5G, die nun nach und nach zum Tragen kommen sollen. Bei Ericsson denkt man auch über Sportübertragungen via 5G nach. Kunden, die ein besseres Bild oder mehr verschiedene Ansichten wollen, müssten dafür bezahlen. In einem schwedischen Eisstadion gibt es entsprechendes Pilotprojekt.

"Das Spannendste aber sind momentan die Industriekunden", sagt Ziegler, "sie bieten das größte Potenzial". Bei Lufthansa Technik etwa - einer Art Werkstatt für Flugzeuge - haben die Finnen ein privates 5G-System eingerichtet, das es erlaubt, den Kunden Defekte zu zeigen und gemeinsam zu entscheiden, ob beispielsweise ein Teil getauscht werden muss. Früher flogen die Kunden dafür ein, die Notlösung aus der Pandemie, als das unmöglich war, habe sich bewährt und werde weiter angeboten.

Noch ist 5G ganz am Anfang, da spricht man schon über 6G

Von einem Thema, das bei 5G in der Vergangenheit kaum fehlen durfte, ist dagegen so gut wie keine Rede mehr: autonomes Fahren. Die Blütenträume der Hersteller haben sich mehr oder weniger zerschlagen, die technischen und regulatorischen Hürden waren ganz offenbar doch größer als mancher Ingenieur vorhergesehen hatte. Dafür taucht ein neues Schlagwort auf: 6G.

Wie bitte? Noch ist 5G ganz am Anfang und man redet schon über die nächste Generation? Doch das müsse sein, sagt Freddie Södergren von Ericsson. "Wir müssen jetzt darüber sprechen, wenn wir 2030 fertig sein wollen", die Sache brauche eben ihre Zeit. Viel Konkretes gibt es allerdings noch nicht, die Hersteller beginnen gerade erst damit herumzuprobieren. Nokia und Ericsson experimentieren beispielsweise damit, Reflexionen der Funkwellen mit speziellen Algorithmen und schnellen Computersystemen zu interpretieren - vergleichbar mit den Sonar von Delfinen oder Fledermäusen. "Damit", sagt Volker Ziegler von Nokia, "können Sie auch um die Ecke schauen", beispielsweise um im Straßenverkehr vor einem herannahenden Radfahrer zu warnen.

Das ist noch weit in der Zukunft. Autos von Vay allerdings fahren schon. Derzeit übrigens sogar noch mit der alten 4G-Technik. Funktioniert auch - vorsichtshalber hat das Start-up aber Verträge mit mehreren Mobilfunkanbietern, wenn es mal eine Abdeckungslücke gibt. Mit 5G, so hofft man bei Vay, werde sich das verbessern.

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