Milliarden für den IWF:Welche Begehrlichkeiten der Erfolg Deutschlands weckt

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Auf einer der wichtigsten Währungskonferenzen seit langem haben die IWF-Mitglieder 430 Milliarden Dollar mobilisiert, um einer Finanzpanik vorzubeugen. Finanzminister Schäuble fordert nun ein Ende der Debatten um immer neue Hilfen für schwache Euro-Länder. Doch der wirtschaftliche Vorsprung Deutschlands nährt Erwartungen. Die Bundesregierung muss die Stimmung ernst nehmen.

Nikolaus Piper

Manche sehen einfach nur den Kampf zweier machtbewusster Frauen. Hier Angela Merkel, die "eiserne Kanzlerin", die dem Rest Europas ihren Willen aufzwingen will, und der kennt nur eine Parole: sparen, sparen, sparen. Dort Christine Lagarde, ehemals Finanzministerin Frankreichs, die jetzt an der Spitze des Internationalen Währungsfonds in Washington steht und die Schuldenkrise mit mehr Geld lösen möchte.

IWF-Chefin Christine Lagarde ist davon überzeugt, dass die angeschlagenen Euro-Länder - einschließlich ihrer Banken - Hilfe brauchen. (Foto: REUTERS)

Das Bild vom Duell Merkel-Lagarde löst sich schnell auf, wenn man das tatsächliche Verhältnis der beiden Frauen betrachtet. Aber es enthält auch einen kleinen wahren Kern. Merkel und Lagarde blicken auf grundverschiedene Weise auf die europäische Schuldenkrise. Beide wissen zwar, dass Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien sowohl harte Sparmaßnahmen als auch Wachstumsförderung brauchen.

Merkel glaubt jedoch, dass immer zuerst gespart werden muss, weil sonst der alte Schlendrian zurückkehrt. Bei dieser Position weiß die Kanzlerin die Deutsche Bank und die große Mehrheit des Wahlvolkes in Deutschland hinter sich. Lagarde dagegen ist davon überzeugt, dass die angeschlagenen Euro-Länder - einschließlich ihrer Banken - schon jetzt Hilfe brauchen. Bleibt es beim reinen Sparen, so sagte sie in ihrer mittlerweile berühmten Berliner Rede vom vergangenen Januar, dann droht der Welt ein "Dreißiger-Jahre-Moment", sprich: eine neue Weltwirtschaftskrise.

Lagarde steht keinesfalls allein, ihre Position wird mehr oder weniger vom Rest der Welt geteilt. Ganz sicher sieht man das in den Vereinigten Staaten so, dem wichtigsten Mitglied des IWF. Die Regierung Obama hat seit Ausbruch der Schuldenkrise klargemacht, dass sie von den Europäern mehr Engagement, sprich: mehr Geld, im Kampf gegen die Krise erwartet. Und auch der Stab des IWF ist ganz auf der Seite der Chefin. "Austerität (Sparsamkeit) allein kann die Wirtschaftsmalaise in den großen Industrieländern nicht lösen," heißt es unmissverständlich im jüngsten Weltwirtschaftsausblick des Fonds.

Eine zweite Brandmauer

An diesem Wochenende beraten nun die Vertreter der 187 Mitglieder von IWF und Weltbank über die Schuldenkrise. Es ist eine der wichtigsten Währungskonferenzen seit langem. Die IWF-Mitglieder haben 430 Milliarden Dollar für die Kasse des Fonds mobilisiert und diesen damit auf eine Billion Dollar aufgestockt. Der Fonds soll, wie es in der Expertensprache heißt, die "Feuerkraft" des IWF erhöhen für den Fall, dass er ein Land vor einer Finanzpanik schützen muss. Lagarde hatte dafür wochenlang gekämpft.

Die zusätzliche Billion Dollar, die sie ursprünglich gefordert hatte, blieb ihr zwar verwehrt, aber auch in reduzierter Form ist die Kapitalaufstockung ein Erfolg. In Europa werden die Milliarden gerne als ein "zweiter Rettungsschirm" für die schwachen Euro-Länder bezeichnet. Das ist jedoch ein Missverständnis.

Tatsächlich sind die Reserven nicht nur für Italien, Portugal oder Spanien da, sondern für alle Länder, die von den direkten oder indirekten Folgen der Krise betroffen sein könnten. Anders wäre die Kapitalerhöhung auch gar nicht zustande gekommen. Die Nichteuropäer hätten einfach nicht mitgemacht. Voraussetzung war auch, dass die Europäer zuvor ihren eigenen Rettungsschirm EFSF und den Stabilitätsfonds ESM gestärkt haben. Das mag in Deutschland extrem unpopulär sein, aber es gilt beim IWF als eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich ist der IWF auch gar nicht dafür da, dem reichen Europa aus seiner Staatsschuldenkrise zu helfen. Man muss die Statuten des Fonds schon sehr weit auslegen, um das zu rechtfertigen, was geschieht. Für einige Kritiker grenzt es an Neokolonialismus, dass Griechenland eines der größten Hilfspakete der IWF-Geschichte bekommen hat. Viele Länder verweigern sich daher auch der Kapitalerhöhung, an erster Stelle die Vereinigten Staaten. Präsident Obama würde unter der republikanischen Opposition einen Sturm der Entrüstung auslösen, würde er nur den Eindruck erwecken, er wollte den Europäern mit ihrem verhassten Sozialstaat aus der Patsche helfen.

Ausgleich für die Aufsteiger

Die immer selbstbewusster auftretenden Schwellenländer verlangen als Ausgleich für ihre Kooperation Reformen. In den Gremien des IWF ist Europa im Vergleich zu China, Indien oder Brasilien zu stark vertreten. Eine Reform, bei der die Europäer auf zwei ihrer acht Exekutivdirektoren (vergleichbar Aufsichtsräten) verzichten, ist beschlossen, wurde aber von den meisten Ländern noch nicht ratifiziert. Hier werden die Schwellenländer über kurz oder lang mehr verlangen. Wer als Bittsteller zum Fonds kommt, kann schlecht die alte Macht behalten.

Finanzminister Schäuble forderte nun ein Ende der Debatten um immer neue Hilfen für die schwachen Euro-Länder. Die Forderung ist richtig

und verständlich, schließlich wirken diese Debatten selbst destabilisierend. Wahrscheinlich wird Schäubles Wunsch aber verhallen. Schon vor der Tagung empfahl der scheidende Weltbank-Präsident Robert Zoellick, ein großes Investitionsprogramm, das über die Europäische Investitionsbank in Luxemburg finanziert werden sollte. Der Chefvolkswirt des IWF, Olivier Blanchard, will, dass die Europäer Mittel des Rettungsschirms nutzen, um schwache Banken mit öffentlichem Kapital auszustatten, was die Bundesregierung bisher strikt ablehnt.

So oder so wird Deutschland Begehrlichkeiten wecken - schon wegen seines unerwarteten wirtschaftlichen Erfolges. Eine Flut von Artikeln in ausländischen Zeitungen hat sich in jüngster Zeit mit diesem Erfolg befasst. Viele bewundern die Deutschen ob ihrer Effizienz, manchen ist sie auch unheimlich. "Modell Deutschland über alles" schrieb der britische

Economistin deutscher Sprache.

Der wirtschaftliche Vorsprung nährt politische Erwartungen. Der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz ist mittlerweile im Verhältnis doppelt so hoch wie der in der chinesischen. Wer in so einer Position ist, kann einfach nicht erwarten, dass man ihm geduldig zuhört, wenn er immer neue Spar-Appelle ausgibt. Die Demonstrationen in Madrid, Athen und Rom zeigen, dass die Regierungen der betroffenen Länder mit ihrer Sparpolitik an ihre Grenzen kommen. Und dann sind wieder alle Euro-Mitglieder gefragt, auch Deutschland.

Der Bundesrepublik wird nichts anderes bleiben, als diese Stimmung ernst zu nehmen. Die Regierung muss deswegen auf dem Drahtseil balancieren: Auf der einen Seite muss sie dafür sorgen, dass mittelfristig Haushaltsdisziplin in der Euro-Zone selbstverständlich wird. Auf der anderen Seite muss sie die Hilfen bereitstellen, die notwendig sind, um bedrohte Länder zu stabilisieren. Bisher hat sie im Ernstfall meist das Richtige getan, wenn auch oft nach langem, quälendem Zögern. Mit der jüngsten Kapitalaufstockung hat der IWF einen wichtigen Schritt zur Beruhigung der Lage unternommen. Die Debatten um Deutschland aber werden erst dann enden, wenn Europas Schuldenkrise endgültig gelöst ist.

© SZ vom 21.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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