Corona-Hilfen:Die Mehrwertsteuer-Senkung ist teuer und ungerecht

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Die niedrigere Umsatzsteuer wirkt sich spürbar dort aus, wo langlebige Konsumgüter gekauft werden. (Foto: Christoph Hardt/imago)

Haben die Corona-Hilfen die Konjunktur gestützt? Noch kann man das nicht sagen. Klar aber ist: Die Regierung hat bei den Corona-Hilfen viele Menschen vergessen.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Zu den Dingen, die Politiker am meisten fürchten, gehört der Sondereffekt. Plötzlich taucht ein außergewöhnlicher Umstand auf - und verhagelt die Bilanz. So wie jetzt bei der Mehrwertsteuer. Im Juli 2020 verzeichnete der deutsche Staat ein Rekordaufkommen. Das war eine Überraschung, denn just von Juli an hatte die Regierung die Steuer auf Umsätze befristet gesenkt. Wenn trotzdem mehr eingenommen worden war, hatten die Koalitionäre von Union und SPD also doch einen Kaufrausch ausgelöst, einen Boom an Investitionen? Nein. Grund war ein Sondereffekt - die Stundungsfrist für Umsatzsteuerzahlungen war ausgelaufen, die Finanzämter hatten zugelangt.

Der Vorgang lehrt, dass jeder gut beraten ist, noch mindestens einen Monat zu warten, bevor ein Urteil über die wohl teuerste Maßnahme im Corona-Konjunkturpaket der großen Koalition gefällt wird. Den Daumen jetzt zu heben oder zu senken, führt in die Irre. Es gibt noch kein vollständiges, unverfälschtes Bild. Und damit ist offen, ob die auf sechs Monate begrenzte Senkung der Mehrwertsteuer verpufft - oder ob sie dazu beiträgt, die wirtschaftlichen Folgen der vom neuartigen Coronavirus ausgelösten Pandemie zu lindern.

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Teuer ist die Steuersenkung in jedem Fall. Der Staat verzichtet durch die Absenkung von 19 auf 16 Prozentpunkte auf zwanzig Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Dafür, so die Hoffnung, könnte die Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent wachsen; oder um 6,5 Milliarden Euro. Man wird am Jahresende wissen, ob die Rechnung aufgeht. Klar dagegen ist jetzt schon, dass nicht alle Bürger von den im Konjunkturpaket beschlossenen Hilfen profitieren. Die Mehrwertsteuersenkung zählt zu den ungerechten Corona-Hilfen. Gut- und Bestverdiener profitieren am meisten.

Das lässt sich leicht nachvollziehen. Die niedrigere Umsatzsteuer wirkt sich spürbar dort aus, wo langlebige Konsumgüter gekauft werden. Teuer kann es werden beim neuen Kühlschrank, der modernen Waschmaschine, vom Designer entworfenen Möbeln. Vor allem aber beim Auto. Je nach Modell bringt die geringere Mehrwertsteuer dem Käufer einige Tausend Euro an Ersparnis. Der Staat zahlt wegen Corona nun den Rabatt, den der Autohändler ohne Corona ohnehin selbst gegeben hätte, um seine vollen Höfe abzuverkaufen. Oder, präziser gesagt, jeder einzelne Steuerzahler subventioniert anteilig die deutschen Autohersteller mit. Gerecht ist das nicht.

Beinahe dreist ist, dass die Branche gerade wieder bei der Bundesregierung vorstellig wird und um weitere Unterstützung bittet. Im August sei die Zahl der verkauften Wagen zurückgegangen, habe zwanzig Prozent unter dem Vergleichswert des Vorjahresmonats gelegen, ist zu hören. Laut Statistik stimmt das. Aber auch hier kommt der Sondereffekt ins Spiel, sogar zweifach. Im August 2019 wurden aufgrund technisch-bürokratischer Besonderheiten besonders viele Autos zugelassen. Und: Im Juli 2020 sind so viele Autos zugelassen worden wie in keinem anderen Monat des Jahres. Das Autogeschäft hat zugelegt. Vielleicht wegen der Steuersenkung. Aber auch, weil viele Leute wegen der Ansteckungsgefahr öffentliche Busse und Bahnen meiden.

Der Kinderbonus schließt viele Menschen aus und ist deswegen ungerecht

Autokäufer mit Kindern können sich gleich noch auf Staatskosten den Kindersitz einbauen lassen. Insgesamt dreihundert Euro Kinderbonus zahlen die Kassen wegen Corona für jedes Kind aus, das Kindergeld bezieht. Für ein Tablet, das viele Kinder jetzt in Zeiten des wegen Corona unsicheren Schulunterrichts dringend brauchen, ist das zu wenig. Und ungerecht ist es auch.

Ja, natürlich müssen Kinder unterstützt werden. Aber wäre es nicht besser, Schulausrüstung nach Bedarf zu finanzieren als einen Bonus auszuzahlen? Der Kinderbonus ist - wie die Mehrwertsteuersenkung - bezogen auf die gesamte Gesellschaft ein ungerechtes Instrument. Normal- und Geringverdiener, die keine Kinder haben, profitieren nicht. Ältere im Ruhestand bleiben außen vor. Deren Kinder sind aus dem Haus, von der geringen Rente lassen sich trotz geringerer Mehrwertsteuer kaum große Anschaffungen finanzieren.

Es ist kein Beleg für gerechte Politik, wenn Konjunkturmaßnahmen einige gesellschaftliche Gruppen rundum pampern - und andere vergessen. Es ist bedenklich, weil die von dem Coronavirus ausgelöste Krise eine riesige Herausforderung ist, bei deren Bewältigung alle mithelfen müssen. Und schade, dass die Regierung es nicht vermocht hat, ein Instrument mit einem positiv kalkulierten Sondereffekt zu beschließen: einen Konsumgutschein.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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