Medikamente in der Tierhaltung:Schweigen im Saustall

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  • Vor zwei Jahren sollte noch Transparenz geschaffen werden im Umgang mit Antibiotika in der Tierzucht in Deutschland
  • Davon ist wenig übrig: Das Landwirtschaftsministerium verbietet den Ländern sogar, Daten herauszugeben.
  • Berlin will so wohl vor allem verbergen, wie lückenhaft die Datenbanken oft sind.

Von Silvia Liebrich, Arne Meyer und Kersten Mügge, Hamburg, München/Hamburg

Die frühere Bundesagrarministerin Ilse Aigner geizt nicht mit Eigenlob, als es endlich vollbracht ist. Nun sei endlich der Weg frei "für mehr Transparenz beim Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung", lässt sie ihr Ministerium verkünden. Grund für die freudige Botschaft ist eine entsprechende Novelle des Arzneimittelgesetzes, das der Bundesrat im Sommer 2013 nach langem Ringen beschlossen hat. Kaum zwei Jahre später ist der Jubel verklungen. Und auch das Wort Transparenz hört man im Bundesagrarministerium nicht mehr so gern. Dort hat inzwischen nicht mehr Aigner, sondern ihr CSU-Parteikollege Christian Schmidt das Sagen.

Anstatt für Durchblick zu sorgen, versucht die Bundesregierung nun, Informationen über den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung zu unterdrücken. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hat das Bundeslandwirtschaftsministerium den Bundesländern untersagt, Parlamentsabgeordnete und Journalisten über Daten zum Medikamenteneinsatz zu informieren. Den Redaktionen liegt ein Schreiben des Ministeriums an die Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz von Anfang Juli vor. Darin teilt es den Ländern mit, dass es unzulässig sei, Zahlen, Daten und Statistiken zur Ermittlung der Therapiehäufigkeit mit Antibiotika in den Ställen weiterzugeben. Dabei beruft sich das Ministerium auf einen Passus im Arzneimittelgesetz, der die Nutzung von Daten ausschließlich für die Verfolgung von Rechtsverstößen erlaube.

"Da drängt sich der Verdacht auf, dass es etwas zu verbergen gibt"

In der Opposition stößt der Maulkorb auf Unverständnis. "Offenbar geht es hier um den Wunsch, mehr Deutungshoheit über das heikle Thema zu bekommen. Und das über die Kontrolle der Zahlen. Anders kann ich mir diese komische Rechtsauffassung nicht erklären", sagt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn. Kritik kommt auch von Medizinern: "Da fordert die Regierung mehr Transparenz von Tierhaltern und Veterinären und mauert nun selbst. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es etwas zu verbergen gibt", sagt Peter Sauer von der Initiative Ärzte gegen Massentierhaltung.

Der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung ist umstritten. Auch weil die Medikamente oft in Fällen eingesetzt werden, in denen dies gar nicht notwendig wäre. Wenn beispielsweise ein Huhn oder Schwein in einer Herde Krankheitsanzeichen zeigt, dann kann das Grund genug sein, auch alle anderen Tiere im Stall zu behandeln. Das ist problematisch, weil sich so auch gefährliche multiresistente Keime bilden können. Schätzungen zufolge sterben allein in Deutschland jährlich etwa 15 000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr helfen. Auch die Weltgesundheitsorganisation warnt: Antibiotika-Resistenzen seien weltweit über die Nahrungskette so verbreitet, dass selbst einfache Infektionen wieder tödlich enden können.

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Der Bund hat sich deshalb vor ein paar Jahren den Kampf gegen den hohen Einsatz dieser Medikamente in den Ställen auf die Fahnen geschrieben. In die Karten schauen lassen will er sich dabei aber nicht. Das Agrarministerium möchte mit seiner Anweisung offenbar verhindern, dass vor allem die Daten über den Antibiotika-Einsatz auf Landes- und Kreisebene an die Öffentlichkeit gelangen. Denn diese Datenbanken weisen erhebliche Mängel auf. Das ergab im April eine Anfrage von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung bei allen Bundesländern. Die Recherchen zeigten etwa, dass sich Tausende Landwirte der gesetzlich vorgeschriebenen Meldepflicht entziehen konnten.

Als die Mängel publik wurden, hatten Abgeordnete mehrerer Landtage entsprechende parlamentarische Anfragen an die jeweiligen Ministerien gerichtet. Ein Vorgehen, das die Bundesregierung für unzulässig hält. Fest steht allerdings auch, dass die Lücken bei der Datenfassung ohne die Anfragen wohl nicht so schnell bekanntgeworden wären.

Abgeordnete werden an der Arbeit gehindert

Der Versuch der Bundesregierung, diese Daten unter Verschluss zu halten, hat in einigen Bundesländern große Verärgerung ausgelöst. Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnete das Vorgehen als "schweren Fehler" und "fatal", weil es eindeutig den Eindruck erwecke, es gebe etwas zu verheimlichen. Das führe zu Misstrauen und Skepsis. Es sei im Interesse der Landwirte, absolute Transparenz walten zu lassen, so der Grünen-Politiker.

Nordrhein-Westfalens Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne) spricht von einem Einschüchterungsversuch. "Bundesminister Schmidt sollte endlich seinen Job machen und dafür sorgen, dass der alarmierende Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung schnell und nachhaltig reduziert wird."

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In Mecklenburg-Vorpommern teilt man zwar die Einschätzung des Bundes, dass Daten einzelner Betriebe nicht veröffentlicht werden dürfen. In dem Fall gehe es jedoch um statistisch aufbereitete Daten, die nicht unter den Datenschutz fallen, argumentiert Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD). Das Schreiben aus dem Berliner Ministerium schieße deshalb weit über das Ziel hinaus. "Wenn nun auch noch Abgeordnete dadurch ihre parlamentarischen Rechte nicht vollends ausleben dürfen, wäre dies sogar eine verfassungsrechtliche Frage, die es zu beantworten gilt", meint Backhaus. Im Bundeslandwirtschaftsministerium sieht man das freilich anders. Das strikte Vorgehen sei mit dem Bundesjustizministerium abgestimmt worden, heißt es dort.

Selbst Bayern gibt trotz der Direktive aus dem CSU-geführten Bundesministerium Auskunft über den aktuellen Stand bei der Erhebung des Antibiotikaeinsatzes. So teilte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mit, dass im ersten Halbjahr 2015 immer noch erhebliche Lücken bei der Antibiotika-Registrierung festgestellt worden seien. Will heißen, dass viele Landwirte noch immer nicht ihrer Meldepflicht nachkommen und die kritisierten Mängel längst nicht beseitigt sind.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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