Schlachthöfe:Schweinisches System

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Der Weg der Einzelteile von Tieren lässt sich kaum nachvollziehen. (Foto: imago/Westend61)

Schlachthöfe und Ställe werden immer größer. Die Spur eines Tiers verliert sich auf dem Weg quer durch Europa, Kontrollen sind unmöglich. Darunter leiden nicht nur die Tiere, sondern am Ende auch wir.

Essay von Silvia Liebrich

Nach dem Skandal ist vor dem Skandal. Für kaum eine andere Branche gilt das so sehr wie für die Fleischindustrie. Wie kann es sein, dass Tiere in enger Haltung gequält werden und Antibiotika verabreicht bekommen? Wie kann es sein, dass immer wieder Gammelfleisch in Umlauf kommt oder Tausende Tonnen von Pferdefleisch in der Lasagne landen, ohne dass es Kontrolleuren oder Lebensmittelherstellern auffällt? Ist das einfach nur Schlamperei? Keinesfalls. Dahinter steckt System. Das zeigt der Blick hinter die Kulissen einer Branche, die in der Werbung eine heile Welt mit glücklichen Tieren und idyllischen Bauernhöfen vorgaukelt.

Die Fleischindustrie ist ein knallhartes Geschäft, in dem es um Milliarden-Gewinne geht. Sie macht mit 32 Milliarden Euro Jahresumsatz immerhin fast ein Viertel der gesamten deutschen Ernährungsindustrie aus.

In diesem System verliert sich die Spur einzelner Tiere rasch, wenn man versucht, den Weg des Fleisches zu verfolgen. Viele Tiere haben eine lange Reise hinter sich, bevor sie als Fleisch oder Wurst im Kühlregal landen. Ein Schwein und seine Einzelteile werden oft kreuz und quer durch Europa gekarrt, bevor das Fleisch verarbeitet wird. Nach Angaben der Verbraucherschutzorganisation BEUC in Brüssel führt der Weg dabei auch mal durch sieben oder acht verschiedene Länder.

Brutaler Wettbewerb

Die Aufzucht und das Schlachten von Tieren ist ein hochindustrialisierter Prozess. In den vergangenen Jahrzehnten hat in der Branche ein Konzentrationsprozess stattgefunden, dem viele kleine und mittelgroße Produzenten zum Opfer gefallen sind. Mastanlagen mit Tausenden von Schweinen und Zehntausenden Hühnern sind nichts Besonderes mehr. In riesigen Schlachthäusern werden Tiere im Akkord getötet und zerlegt, meist von unterbezahlten Billiglöhnern aus Osteuropa, die hierzulande kaum Rechte haben, weil sie offiziell bei Leiharbeitsfirmen im Ausland beschäftigt sind. Selbst Gewerkschaften scheinen machtlos gegen diese Form der legalen Ausbeutung.

Größe und nicht Qualität ist der entscheidende Faktor in diesem brutalen Wettbewerb - und es geht um viel Geld: Mehr als die Hälfte der Rinder und Schweine in Deutschland landen heute in Schlachthäusern von großen Fleischkonzernen, die Vion oder Tönnies heißen und ihr Geschäft europaweit betreiben. Die Geflügelwirtschaft wird von Firmengruppen wie PHW (Wiesenhof) und Rothkötter dominiert.

Die Regeln für die Tierhaltung werden längst nicht mehr in Berlin, sondern vor allem in Brüssel gemacht. Die Lobbyisten der Branche gehen dort ein und aus, und sie wissen, wie sie ihre Interessen durchzusetzen und schärfere Gesetze verhindern können. Der gemeinsame europäische Markt sorgt dafür, dass sich Produzenten innerhalb der EU frei bewegen können. Sie produzieren dort, wo es am billigsten ist, und nutzen dabei die unterschiedlichen Gesetze innerhalb der Euro-Zone aus.

Schlachthöfe und große Mastanlagen sind Sperrzonen, die vor neugierigen Blicken geschützt werden, manche sogar mit Stacheldraht. Die Werbung vermittelt ein ganz anderes Bild. In TV-Spots und auf bunten Plakaten sitzen fröhliche Menschen beisammen und beißen in knackige Würste. Handelskonzerne werben mit wohlklingenden Namen wie "Gut Ponholz" (Netto) oder "Wilhelm Brandenburg" (Rewe) - das klingt nach ländlicher Idylle.

Dem mündigen Kunden werden die Informationen verwehrt

Ein Verbraucher, der jedoch wissen will, wo das gekaufte Fleisch herkommt und wie das Tier gehalten wurde, stößt schnell an Grenzen. Angaben auf der Verpackung helfen kaum weiter. Zwar muss jedes in Europa gehaltene Schwein oder Rind nach EU-Regeln eine Ohrmarke tragen, um es zurückverfolgen zu können. Das nützt jedoch wenig, wenn am Ende alles in einem großen Topf landet. Eine 500-Gramm-Packung Hackfleisch vom Discounter kann Fleischbestandteile von etwa 150 Schweinen und 60 Rindern enthalten, vermengt von einem Riesenmixer, der zwei Tonnen Fleisch auf einmal fasst.

Ist der Verbraucher selbst schuld? Versucht die Industrie nur seinen Fleischhunger zu stillen, wie sie selbst sagt? Ein Bundesbürger verzehrt durchschnittlich im Laufe seines Lebens 1094 Tiere. Genauer gesagt: vier Rinder, vier Schafe, zwölf Gänse, 37 Enten, 46 Schweine, 46 Puten und 945 Hühner. Das geht aus dem Fleischatlas hervor, den Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) regelmäßig veröffentlichen ( PDF).

Exakte Herkunftsangaben für jedes einzelne Tier sind bei so riesigen Produktionsmengen schlicht unmöglich. Eine Rückkehr zu kleineren Verarbeitungsmengen würde die Kosten deutlich in die Höhe treiben, rechtfertigen sich die Hersteller. Höhere Preise würden die Kunden aber nicht akzeptieren, lautet das Standardargument der Industrie.

Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Den Konsumenten bleibt oft keine andere Wahl, als nach dem Preis zu gehen - andere Entscheidungskriterien fehlen. Angaben auf Verpackungen geben, wenn überhaupt, nur Auskunft über den Ort des Schlachthofs, nicht aber darüber, wo die Tiere herkommen, über Futter oder Haltungsbedingungen. Daran wird auch die von April 2015 an geltende neue Herkunftskennzeichnung für verpacktes Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch wenig ändern. Diese Pflichtkennzeichnung gibt es für Rindfleisch schon länger und betrifft ohnehin nur frisches, gekühltes oder gefrorenes Fleisch. Sie gilt also nicht für Wurst oder fertige Mahlzeiten.

Eine große Schwachstelle im System sind die Kontrollen. Wie einfach es ist, mit gefälschten Papieren illegale Ware in legale umzuwandeln, haben die Pferdefleischskandale von 2013 und 2015 gezeigt. Dass die illegalen Geschäfte mit falsch ausgezeichnetem Fleisch schwer aufzudecken sind, liegt daran, dass jeder Händler und Verarbeiter nur zu Eigenkontrollen verpflichtet ist. Ob die Angaben seines Lieferanten stimmen, muss er nicht prüfen.

Staatliche Stellen, die Industrie und Viehhalter überwachen sollen, sind hoffnungslos unterbesetzt und dürfen zudem nur regional agieren. Eine global vernetzte Fleischindustrie lässt sich so kaum kontrollieren. Wer gegen Gesetze verstößt, kann also davon ausgehen, dass dies länger unentdeckt bleibt. So kann es Jahre dauern, bis schwere Verstöße überhaupt auffallen oder gar eine Strafe nach sich ziehen.

Nur ganz selten ordnen die Behörden eine Betriebsschließung an, wie im vergangenen Dezember bei einem großen Schweinehalter in Sachsen-Anhalt. Der war zuvor über Jahre hinweg immer wieder wegen Tierschutz-Verstößen gerügt worden, ohne dass etwas geschehen wäre. Von Dauer war diese drastische Maßnahme nicht. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg kippte im April das Verbot, mit der Begründung, dass es zwar Verstöße gegeben haben, ein Haltungsverbot aber nicht angemessen sei. Der Schweinehalter darf weitermachen.

Wie ohnmächtig die für Kontrollen zuständigen Amtsveterinäre sind, macht eine Anfrage beim Landwirtschaftsministerium in Magdeburg deutlich. Dort wurden 2013 nur sechs Prozent der etwa 4000 Schweinehalter kontrolliert. In anderen Ländern ist die Quote kaum besser.

Der Zwang in der Branche, immer noch billiger zu produzieren, geht eindeutig zu Lasten der Tiere. Das machen auch die zunehmenden Verstöße gegen den Tierschutz in der Massentierhaltung deutlich. Laut Bundesregierung hat sich die Zahl der bekannten Fälle in den vergangenen vier Jahren beinahe verdoppelt. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Subventionen bezahlt die Politik - Transparenz schafft sie aber nicht

Fleisch ist hierzulande billig wie nie zuvor, so scheint es zumindest. Doch nur ein Bruchteil des wahren Preises wird an der Supermarktkasse gezahlt. Die Steuerzahler finanzieren den niedrigen Fleischpreis über ihre Abgaben. Sie müssen nicht nur für die Subventionen der Landwirtschaft, sondern auch für Umweltschäden aufkommen, die durch eine exzessive Fleischproduktion entstehen.

Und die Politik? Sie scheint ratlos und schaut weg. Dabei wäre es ihre Aufgabe, echte Transparenz für Verbraucher zu schaffen, um das Leid der Tiere zu minimieren und der Fleischindustrie Grenzen zu setzen. Dazu gehören etwa Kontrollbehörden, die über Landesgrenzen hinweg vernetzt sind und personell deutlich aufgestockt werden, damit sie der bestens aufgestellten Fleischindustrie begegnen können.

Das Geld dafür wollen weder Berlin noch Brüssel bereitstellen. Dabei wären die Mittel durchaus vorhanden. Immerhin knapp 40 Prozent des gesamten EU-Haushaltes fließen jedes Jahr in Form von Subventionen in den Agrarsektor, ein Teil davon in die Fleischwirtschaft. Doch der Großteil wird nach dem Gießkannenprinzip verteilt, statt Erzeuger stärker zu belohnen, die sich für eine umweltverträgliche und tierfreundliche Produktionsweise entscheiden.

Freiwillige Initiativen der Branche für Verbesserungen in der Tierhaltung gibt es zuhauf, genützt haben sie bislang wenig. Mehr Transparenz lässt sich nur herstellen, wenn sich auch die Abläufe in der Produktion ändern, die es möglich machen, Tiere einzeln zu verarbeiten und unterschiedliche Qualitäten zu produzieren - und die dann auch auf der Verpackung entsprechend ausgewiesen werden. Dies wäre ein Anreiz für Halter, mehr für ihre Tiere zu tun, weil sie für bessere Qualität einen höheren Preis erzielen können.

Uns Kunden allein die Schuld für die Misere in Ställen und Schlachthöfen zu geben, ist nicht nur zynisch, sondern auch falsch. Wir haben die Regeln nicht gemacht, müssen aber mit den negativen Folgen leben. Solange der Preis das einzig wirklich erkennbare Vergleichsmerkmal beim Einkauf im Supermarkt bleibt, kann man Konsumenten nicht zum Vorwurf machen, wenn sie sich daran orientieren. Eine andere Wahl haben sie nicht - es sei denn, sie verzichten ganz auf Fleisch.

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