Die Bilder der ausgebrannten Textilfabrik in Bangladesch, in der 2013 mehr als tausend Menschen starben, haben wohl viele noch vor Augen; die meisten, die ums Leben kamen, waren Frauen, die dort für einen Hungerlohn schufteten. Sie alle waren Opfer eines Ausbeutungssystems, an dessen Spitzen Modeimperien mit Milliardenumsätzen stehen. Die größte Katastrophe der Textilindustrie hat die hässliche Seite des Welthandels ans Licht gebracht und eine Diskussion über faire Löhne und Arbeitsbedingungen in Gang gesetzt, über die gesamte Lieferkette hinweg.
Die Politik drängt schon lange darauf, dass die Wirtschaft dieses Problem selbst löst - mit wenig Erfolg, wie nun eine Umfrage der Bundesregierung erneut zeigt. Nur wenige Unternehmen haben demnach ihre Menschenrechts- und Sozialstandards verbessert. Deshalb rückt nun das näher, was Wirtschaftsverbände unbedingt vermeiden wollen: eine staatliche Regulierung in Form eines Lieferkettengesetzes. Richtig so, werden sich nun viele denken. Wer nicht freiwillig seine Geschäftspolitik korrigiert, muss dazu gezwungen werden. Denn auch bei vielen Verbrauchern wächst das Unbehagen, sie verlangen zu Recht mehr Transparenz. Einerseits kaufen die meisten Menschen gern billig ein, andererseits meldet sich ihr schlechtes Gewissen, wenn deutlich wird, wer dafür den wahren Preis zahlt. Dabei geht es nicht nur um Jeans und T-Shirts, sondern viele alltägliche Konsumgüter. Wer will schon Schokolade essen, an deren Herstellung Kinder beteiligt sind, oder Avocados kaufen, für deren Anbau Menschen vertrieben werden?
Dass die Bundesregierung endlich gezielt gegen Unternehmen vorgehen will, die Arbeitskräfte in ihrer Produktionskette ausbeuten, ist grundsätzlich eine gute Sache. Firmen müssen in die Pflicht genommen werden, wenn durch ihr fahrlässiges Verhalten Menschen und Umwelt geschädigt werden, ganz egal, wo auf der Welt dies geschieht. Ob das geplante Lieferkettengesetz wirklich dabei helfen kann, diese Missstände zu beseitigen, ist allerdings fraglich. Es besteht die Gefahr, dass hier ein Bürokratiemonster geschaffen wird, das hohe Kosten verursacht, aber wenig Nutzen bringt.
Ein schlecht gemachtes Gesetz könnte den Wirtschaftsstandort gefährden
Ein Grund dafür liegt im hohen Grad von Arbeitsteilung in der Weltwirtschaft. Die Jeanshose eines deutschen Labels entsteht oft vollständig im Ausland, Dutzende Firmen aus aller Welt liefern zu. Das wirft viele Fragen auf: Wer soll die Zulieferer vor Ort überwachen? Wer setzt dafür die notwendigen Standards? Wo fängt die Verantwortung der Firmen an - auf dem Acker, wo die Baumwolle wächst oder auf der Ölbohrplattform, wo der Rohstoff für synthetische Fasern gefördert wird?
Auch bringt es wenig, wenn nur inländische Firmen einem Lieferkettengesetz unterworfen wären, denn das verzerrt den Wettbewerb. Deutsche Anbieter wären vermutlich schnell vom Markt verschwunden oder ins Ausland abgewandert, wenn sich internationale Konkurrenten nicht an ein Lieferkettengesetz halten müssen und so billiger produzieren können. Ein schlecht gemachtes Gesetz könnte so den Wirtschaftsstandort gefährden.
Missstände in armen Produktionsländern lassen sich durch einen deutschen Alleingang nicht beseitigen. Dafür braucht es internationale Standards. Ein Anfang wäre zumindest gemacht, wenn Deutschland ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene durchsetzen könnte.