Konjunktur:Warum uns der Subventions-Rekord beunruhigen sollte

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Der demografische Wandel lässt tendenziell die Ausgaben steigen und die Einnahmen sinken. Je mehr Ausgabendisziplin der Staat heute also übt, desto weniger Opfer muss er später verlangen. (Foto: Marc Tirl/dpa)

Die Subventionen sind höher als vor der Finanzkrise - dabei läuft die Wirtschaft gut. Das Problem ist, dass die Politik nicht ehrlich rechnet.

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Seit Jahren redet man in Berlin über solide, nachhaltige Staatsfinanzen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gilt ob seiner Sparsamkeit schon als Zuchtmeister ganz Europas. Und jetzt das: Die Subventionen, die der deutsche Staat zahlt, sind so hoch wie noch nie. Insgesamt 169,7 Milliarden Euro gaben Bund, Länder, Gemeinden und EU im vergangenen Jahr an Finanzhilfen und Steuerprivilegien aus, heißt es im neuen Subventionsbericht des Kieler Weltwirtschaftsinstituts ( hier als PDF). Das sind 27,5 Milliarden Euro mehr als vor der Finanzkrise. Eine erschreckende Zahl, vor allem angesichts der Tatsache, dass es der deutschen Wirtschaft derzeit so gut geht wie schon lange nicht mehr. Was mag mit den Subventionen passieren, wenn einmal schlechte Zeiten kommen und mehr Arbeitslose Hilfe brauchen?

Zunächst einmal ist ein Einwurf nötig: Aus den Zahlen dürfen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Was die Kieler Wirtschaftsforscher unter einer Subvention verstehen, ist sehr weit gefasst; die Zahlen liegen etwa dreimal so hoch wie nach der Definition der Bundesregierung. Über die Abgrenzung kann man lange streiten: Zuschüsse für den Schienenverkehr, für Kitas und für die gesetzliche Krankenversicherung gelten nach Kieler Maßstäben als Subvention, aus Berliner Sicht nicht. Da gibt es kein Richtig oder Falsch, sondern nur ein mehr oder minder Sinnvoll.

Viele Subventionen sollen den Menschen im Alltag helfen

Außerdem muss eine Subvention nicht notwendigerweise schlecht sein. Fast alle Finanz- und Steuerhilfen wurden einmal aus nachvollziehbaren Gründen eingeführt: Zuschüsse für erneuerbare Energie und Stadttheater, für Künstler und Startups. Die Frage ist immer nur, ob die Ausgaben in der Höhe noch gerechtfertigt sind angesichts anderer Aufgaben des Staates.

Hier liegt der eigentliche Vorteil des Kieler Subventionsberichts: Er kann Politikern und Bürgern dabei helfen, ehrlich zu rechnen. Viele der Staatshilfen aus dem Bericht sind einfach dazu da, den Menschen im Alltag zu helfen, genauer: sie dabei zu unterstützen, die Gegenwart zu bewältigen. Mit dem Geld des Staates können S-Bahnen zu erschwinglichen Preisen fahren und Kitas zu moderaten Sätzen öffnen. Ausgesprochen zukunftsgerichtete Subventionen, etwa Zuschüsse für Firmengründer, sind im Vergleich dazu unbedeutend.

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Ein anschauliches Beispiel ist der Zuschuss des Bundes zur gesetzlichen Krankenkasse. Der ist über die vergangenen 15 Jahre von einer Milliarde auf 11,5 Milliarden Euro gestiegen. Das ist von der Sache her kaum zu beanstanden. Mit dem Geld werden Krankenkassen sozialpolitische Maßnahmen vergütet, die eine private Krankenversicherung nicht bezahlen würde. Zum Beispiel die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Jugendlichen. Auf diese Wiese hilft der Bund den Kassen, ihre Beiträge einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Das ändert aber nichts daran, dass die Kosten des Gesundheitswesens immer weiter steigen, dass die Gesellschaft dafür aufkommen muss, und dass dies mit anderen Aufgaben konkurriert.

Es geht nicht um die Zahlen, sondern die Dynamik

Alarmierend ist dabei nicht so sehr die absolute Höhe der Zahlen, sondern die Dynamik, die hinter ihnen steckt. Im laufenden Jahr werden die Finanzhilfen des Bundes um 18,8 Prozent steigen (Zahlen für die Länder liegen noch nicht vor). Der exorbitante Anstieg ist ein Indiz dafür, dass, Schäubles schwarzer Null zum Trotz, das alte Gesetz noch gilt: In guten Zeiten ist gut Geld auszugeben.

Man muss in diesen Tagen nur Talkshows verfolgen, um dieses Gesetz wirken zu sehen. Der Republik steht ein großer Renten-Wahlkampf bevor, es gibt jede Menge Versprechen an die Rentner und die werden aus dem Bundeshaushalt finanziert werden - und das zu Recht, denn Renten, denen keine Beitragszahlungen gegenüberstehen sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Rentenzuschüsse sind, selbst nach Kieler Maßstäben, keine Subvention, aber die Logik dahinter ist die gleiche. Dabei werden dann leicht die Zukunftsausgaben vergessen, für die in den Haushalten Platz sein muss: Sanierung der Infrastruktur, höhere Ausgaben für die Verteidigung des Landes, Integration der Flüchtlinge. Diese tauchen im Subventionsbericht bisher noch gar nicht auf.

Die Subventionen und die Haushalte insgesamt müssen dabei immer vor dem Hintergrund des demografischen Wandels gesehen werden. Mehr Alte, weniger Junge - das wirkt tendenziell ausgabensteigernd und einnahmenmindernd. Je mehr Ausgabendisziplin der Staat heute übt, desto weniger Opfer muss er von den Bürgern später verlangen. In diesem Sinne kann man den Kieler Subventionsbericht als eine Art Frühwarnsystem lesen.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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