Eine Steueroase nach der anderen wird ausgetrocknet. Österreich und Luxemburg geben als letzte EU-Staaten ihr Bankgeheimnis auf, Singapur führt den automatischen Informationsaustausch ein. In der Karibik fallen die Steuerregimes wie Dominosteine. Aber wer denkt, es gebe für Reiche keine Steuerschlupflöcher mehr, kennt James Mellon nicht.
Durch eine Spur in den Offshore-Leaks-Dateien gerät ein Mann ins Rampenlicht, der es schafft, an keinem Ort der Welt als Steuerpflichtiger registriert zu werden. Mellon ist der schwerreiche Nachfahre eines US-Öl-Tycoons. Er ist passionierter Jäger, ausgezeichnet für seine zahlreichen Trophäen, vor allem aber ist er überzeugter Steuervermeider. Der ehemalige Kunde eines Liechtensteiner Treuhänders führt - vollkommen legal - Steuerbehörden weltweit an der Nase herum: in Italien, in den USA und in Klosters in der Schweiz.
Am Telefon zeigt sich der 70-jährige "Steuerunpflichtige" angetan über Nachfragen aus der Schweiz und gibt bereitwillig Auskunft über seine Tricks: "Es ist alles legal, glauben Sie mir." Das Wichtigste: Mellon bleibt nie lange genug an einem Ort, um dort steuerpflichtig zu werden. Dazu befolgt er ein striktes Reiseregime. "Ich reise viel und befolge jeweils genau die Regeln jedes Landes", sagt er.
Mellon, der jetzt über Offshore-Leaks als Steuerjongleur bekannt wird, ist in den USA kein Leichtgewicht. Die Mellon-Familie gehört zu den einflussreichsten und wohlhabendsten des Landes. Großvater William Mellon gründete die Gulf Oil Company in Pittsburgh, die zu einer der größten der Welt wurde und heute Chevron gehört. Eine Universität trägt den Namen der Familie, und die BNY Mellon Bank beschäftigt weltweit 48 700 Mitarbeiter.
James Mellon fühlte sich weder zum Banker noch zum Ölmagnaten berufen. Lieber zog er als junger Draufgänger durch Afrika und erlegte Tiere. Als bislang einziger Jäger weltweit gelang ihm der Abschuss dreier seltener Trophäen: die Riesen-Rappenantilope, der Äthiopische Steinbock und das scheue Kleinstböckchen. Bereits mit 30 erhielt er für seine zahlreichen Jagderfolge als bisher jüngster Preisträger die "Roy E. Weatherby Big Game Trophy". Eine exklusive Großjagdauszeichnung, die als "Oscar der Jägerwelt" gilt.
Als junger Amerikaner legte sich Mellon aber mit einem Gegner an, der sich nicht so einfach erlegen ließ. "Ich lebte damals in Kenia und wollte ein Testament erlassen. Mein Anwalt sagte mir, wenn ich in Afrika sterbe, bekomme die US-Regierung 55 Prozent von allem, was ich weltweit besitze", sagt er und fügt an: "Aber der verdammten Regierung will ich mein Geld nicht geben!"
"Ich habe keine Beziehung mehr zu den USA"
Nach seinem ersten Schock über den langen Arm der US-Steuerbehörden setzte er 1977 seinen ersten Steuer-Kunstgriff ein: Er gab seine US-Staatsbürgerschaft ab und wurde Bürger der Britischen Jungferninseln. "Ich hoffe, Sie verstehen, was das bedeutet? Seither bin ich ausschließlich britischer Staatsbürger und habe keine Beziehung mehr zu den USA", sagt er. Seine wichtigste Lektion im Kampf gegen die mächtigste Steuerbehörde der Welt: Wer den US-Fiskus austricksen will, darf zunächst einmal kein Amerikaner mehr sein.
Mit dem Ablegen der Staatsbürgerschaft blieb noch ein Problem für Mellon: An seinem Wohnsitz in den USA war er immer noch steuerpflichtig, auch als Ausländer. Also zog er offiziell auf die Britischen Jungferninseln. Als sich auch dort das Fiskalklima zu seiner Unzufriedenheit entwickelte, folgte Kunstgriff Nummer zwei: ein Leben ohne Wohnsitz.
Er meldete sich in der Karibik ab und wohnt heute offiziell an keinem Ort der Welt. Damit überlistet er nebst der US-Steuerbehörde auch gleich noch die Behörden in Italien, auf den Jungferninseln und in der Schweiz. In Klosters besitzt seine Familie ein Haus. Ein hübsches Chalet mit Garten, zehn Minuten von der Seilbahn entfernt. "It is very nice there", schwärmt Mellon.
"Jedes Land hat andere Regeln", sagt er. Die USA beispielsweise haben eine ganze Liste von Kriterien, nach denen die Behörden bestimmten, ob jemand ein Einwohner sei oder nicht: "Etwa ob du in lokalen Vereinen Mitglied bist oder ob du dich für Wahlen registriert hast." Sein Aufenthaltsstatus sei von der US-Steuerbehörde noch nie angezweifelt worden, sagt Mellon. In der Schweiz dürfen Ausländer wie Mellon bis zu drei Monate im Jahr wohnen, ohne steuerpflichtig zu werden.
Als Mellon im Zuge der Offshore-Leaks-Enthüllungen in den USA genannt wurde, bestätigte er freimütig, mit Offshore-Firmen Steuern optimiert zu haben. Dass dies nicht überall gut ankommt, ist ihm egal. "Es interessiert mich nicht, was die Leute denken. Mich interessiert einzig, ob das, was ich mache, legal ist. Und was ich mache, war und ist legal."
Liechtenstein spielte für Mellon eine wichtige Rolle
Möglichst wenig Steuern zu bezahlen, ist für James Mellon so natürlich wie für Normalverdiener das Fleisch dort zu kaufen, wo es gerade Aktion ist. Und genau so, wie Normalverdiener viel Aufwand betreiben, um Preise zu vergleichen, steckt James Mellon viel Energie da hinein, sein Geld dort anzulegen, wo ihm am meisten übrig bleibt. In den 1990er- und 2000er-Jahren betrieb er zahlreiche Offshore-Firmen. In den Offshore-Leaks-Dokumenten finden sich allein für die Jahre 2002 bis 2009 Transaktionen von über 60 Millionen Dollar.
Für Mellons Konstrukte spielte der Finanzplatz Liechtenstein eine wichtige Rolle. Ein Treuhänder aus Vaduz verwaltete während Jahren die Offshore-Millionen des Briten. Mellon mag die Banker und Treuhänder aus dem Ländle. "Ich vertraue den Menschen in Liechtenstein. Sie haben eine Schweizer Mentalität", sagt der 70-Jährige und lässt keinen Zweifel daran, dass er das als Kompliment versteht.
Derart abenteuerlich waren die Transaktionen des Briten, dass es selbst den Finanzspezialisten in der Karibik nicht mehr geheuer war. 2005 etwa wollte Mellon 7,5 Millionen Dollar von einem Firmenkonto in der Karibik auf sein Privatkonto überweisen und weigerte sich damals, schriftlich zu bestätigen, dass er korrekt Steuern zahle. Der Offshore-Dienstleister Portcullis TrustNet bestand darauf, dass die Transaktion zumindest in ein zinsloses Darlehen verpackt und durch den offiziell eingetragenen Besitzer der Firma in Liechtenstein abgesegnet wird. Der Treuhänder aus Vaduz gab grünes Licht, trotz Steuerbedenken der Berater. Gegenüber der SonntagsZeitung wollte der Treuhänder keine Stellung nehmen.
Mellon kann sich noch "vage" an die Transaktion erinnern. Die Berater hätten ihm gesagt, man müsse das Geld als Darlehen abwickeln, "aus juristischen Gründen". Dem US-Fiskus habe er das Geld selbstverständlich nicht angeben müssen, weil er damals bereits keinen Wohnsitz mehr dort hatte.
Doch selbst ein James Mellon, beseelt von der Mission, keiner Regierung einen Cent zu schenken, muss ab und zu die Waffen strecken. Er zahle immer noch Tausende Dollar Liegenschaftssteuern und "volle Steuern" auf zwei Trusts in den USA. Die Trusts hat sein Großvater, der Öl-Tycoon, seinerzeit gegründet und ihm vererbt. "Dieses Geld steckt in den USA fest. Es ist unmöglich, das Vermögen aus dem Land zu bringen."
In der Karibik lege er sein Geld übrigens nicht mehr an. Das sei nicht mehr vorteilhaft. Wo sein ehemaliges Offshore-Vermögen heute liegt, will er nicht verraten und antwortet mit einem Anflug von Schweizer Mentalität: "Das ist Privatsache."
Der Artikel ist zuerst in der SonntagsZeitung erschienen. Die schweizerische Zeitung ist Partnermedium der SZ im Rahmen von OffshoreLeaks.