Landwirtschaft:"Diese Generation hat ein Recht auf Zukunft"

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Apfelblüte bei den Klimaklägern: Johannes (li.), Franziska und Claus Blohm auf dem Bio-Obsthof der Familie im Alten Land. (Foto: Gordon Welters/Greenpeace)

Der Klimawandel gefährdet die Zukunft dreier Landwirtsfamilien. Zweimal zwingen sie den Staat vor Gericht und fordern mehr Klimaschutz. Die Wirkung ist erstaunlich.

Von Tobias Bug

"Lächle. Du kannst sie nicht alle töten", steht auf einem Schild am Stromkasten in Claus Blohms Küche im Alten Land bei Hamburg. Im Unklaren bleibt, wer oder was damit genau gemeint ist. Unübersehbar ist dagegen: Der Apfelbauer, grauer Kurzhaarschnitt, ledrig gebräunte Haut, wirkt wütend und genervt - vor allem, wenn das Gespräch auf die Bundesregierung kommt.

70 Prozent seiner Ernte musste er diesen Herbst vernichten, weil seine Äpfel befallen waren von Schädlingen. Früher starben deren Larven im Winter ab, bei den wärmeren Temperaturen, die der Klimawandel mit sich bringt, fühlen sie sich wohl. "Mit ökologischen Schutzmitteln kann ich die Schädlinge nicht vertreiben", sagt der Bio-Bauer.

Blohm, 65, hat den Betrieb in den Siebzigerjahren von seinem früh verstorbenen Vater geerbt. Im gleichen Jahrzehnt bewies der Physiker und kürzlich geehrte Nobelpreisträger Klaus Hasselmann, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Seitdem ist ein halbes Jahrhundert vergangen, Aktivisten und Forscher haben den Handlungsdruck auf die Politik erhöht, doch in Blohms Augen tut Deutschland immer noch viel zu wenig für den Klimaschutz.

Seine Lebensgrundlage als Landwirt, die Natur, sieht er in Gefahr. Deswegen verklagte er vor zwei Jahren die Bundesregierung. Gemeinsam mit Greenpeace und den Bauernfamilien Lütke Schwienhorst aus dem Spreewald und Backsen von der Nordseeinsel Pellworm wollte er Klimaschutz juristisch erzwingen. "Vier Hektar Kirschbäume musste ich wegen neuer Schädlinge roden", sagte Blohm damals vor dem Verwaltungsgericht Berlin.

Die Klage wurde abgewiesen. Der Handlungsspielraum der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz müsse respektiert werden, entschieden die Richter im Oktober 2019. Für Roda Verheyen, Anwältin der Landwirtsfamilien, war das mehr Ansporn als Enttäuschung. "Der Inhalt des Urteils und die Zulassung der Berufung hat uns Mut gegeben weiterzumachen", sagt die Rechtsanwältin, die auch schon die Europäische Union und den Energieriesen RWE fürs Klima vor Gericht gebracht hat.

Vier Monate nach Abweisung der ersten Klage reichte sie eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein, obwohl der Gesetzgeber den Klimaschutz noch Ende 2019 gesetzlich festgezurrt hatte. Das Klimaschutzgesetz sei "wenig ambitioniert", begründete Verheyen den Schritt, der Staat komme damit seinen Schutzpflichten für ihre Mandanten nicht ausreichend nach. Jüngere und künftige Generationen erwarteten "dramatische Einschränkungen durch die Klimakrise".

Der Klimawandel bedroht die Existenz vieler Bauern

Das Verfassungsgericht riefen nun die jungen Mitglieder der Landwirtsfamilien an: Claus Blohms Kinder Franziska und Johannes, Lucas Lütke Schwienhorst aus dem Spreewald und Sophie, Hannes, Jakob und Paul Backsen aus Pellworm. Auch Luisa Neubauer von "Fridays for Future" schloss sich an. "Diese Generation hat ein Recht auf Zukunft", erklärt Roda Verheyen, der Klimawandel bedrohe Existenzen, insbesondere in der Landwirtschaft.

Im März 2021 dann ein erster Erfolg: Das Bundesverfassungsgerichts gab der Beschwerde statt, wenigstens teilweise: Zwar verstoße der Staat nicht gegen Schutzpflichten oder das Klimaschutzgebot im Grundgesetz, doch seien die Beschwerdeführenden - der jüngste war bei Einreichung 15, der älteste 32 Jahre alt - in ihren Freiheitsrechten verletzt.

Auf dem Weg zur CO₂-Neutralität verschiebe das Klimaschutzgesetz hohe Minderungslasten auf Zeiträume nach 2030, schrieb der Erste Senat und forderte einen konkreten Plan für die Jahre danach. Um das "Paris-Ziel" zu erreichen, den Anstieg des globalen Temperaturschnitts also auf unter zwei Grad zu begrenzen, müsse Deutschland mehr tun. Im Juli besserte die große Koalition nach: Bis zum Jahr 2031 will Deutschland seinen jährlichen Treibhausgasausstoß auf 67, bis 2040 auf 88 Prozent unter das Niveau von 1990 drücken.

Für den Agrarökonomen Hermann Lotze-Campen, Leiter der Abteilung "Klimaresilienz" am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), ist das Gesetz ein Anfang. Es müsse aber weiter verbessert werden, sagt er. Der eingeführte CO₂-Preis von heute 25 Euro sei "ein zentrales Element, aber zurzeit noch zu niedrig, um die Emissionen schnell genug zu senken."

Klimaklagen wie die Verfassungsbeschwerde lösten zwar nicht das eigentliche Problem, erklärt er, doch sie erhöhten den Druck. "Oft handelt die Politik erst nach Gerichtsurteilen zielstrebig." Das hätten auch die Klagen der Deutschen Umwelthilfe im Abgasskandal gezeigt.

Franziska Blohm hat mit ihrer Beteiligung an der Verfassungsbeschwerde dabei geholfen, den Staat zur Novelle des Klimaschutzgesetzes zu zwingen. Ums Gewinnen sei es ihr aber nie gegangen. "Mit der Klage wollten wir die Politik wachrütteln", sagt die 29-Jährige, die in der Erntesaison zweimal pro Woche bei ihrem Vater aushilft.

Schädlinge und Pilzkrankheiten breiten sich bei wärmeren Temperaturen aus

Claus Blohm ist mit dem Ernteauto durch die langen Gassen seiner Apfelplantage gefahren. In Jeans und Kurzarmhemd steht er nun im Gras und hält zwei Äpfel in der Hand, stellvertretend für seine Probleme: Der eine ist übersät mit grau-braunen Flecken. "Schorfpilz", sagt Blohm, schneidet den anderen Apfel auf und deutet auf ein Tunnelsystem. Wie ein Maulwurf hat sich ein Schädling namens Apfelwickler durch die Frucht gegraben und sie ungenießbar gemacht.

"Der Apfelanbau im Alten Land ist durch den Klimawandel zum Lotteriespiel geworden", sagt Tochter Franziska. Jedes Jahr kämen neue Probleme und Kosten auf ihren Vater zu. "So gern ich den Hof übernehmen würde - ich habe Angst davor, was noch kommt." Im nahen Hamburg studiert sie Medienwissenschaften, ihr Bruder studiert Ostasienwissenschaften. Dass die beiden sich umorientieren, versteht der Vater. Doch er wünscht sich eben auch, dass der Apfelanbau, der seit vielen Generationen von der Familie betrieben wird, eine Zukunft hat.

Seine Kinder lachen von einem Bild an der Wand herunter, als Blohm wieder am heimischen Küchentisch mit der rot gemusterten Tischdecke sitzt, die einfallende Sonne im Nacken. Plötzlich vibriert sein Handy. "Die Backsen-Kinder aus Pellworm fragen, ob sie mir bei der Ernte helfen können." Er lädt sie ein.

Einige Tage später melden sich Hannes, 19, und Paul Backsen, 21, telefonisch vom Blohm'schen Mittagstisch. Sie sehen ihre Heimatinsel in Gefahr. Pellworm liegt schon heute einen Meter unter Normalnull. Noch hält der Damm, auf dem auch die Schafe der Backsens grasen, doch der Meeresspiegel steigt und macht Sturmfluten immer wahrscheinlicher. Bei einem Dammbruch könnte die Insel volllaufen wie eine Badewanne.

Hannes Backsen hadert mit der deutschen Klimapolitik: "Jeder weiß, was zu tun ist, doch niemand tut was. Wir müssen das Klima retten, sonst erledigen sich alle anderen Probleme der Menschheit von selbst." Auch er ist unsicher, ob er den Ackerbau- und Rindermastbetrieb seines Vaters übernehmen möchte.

Ein Klimakläger, der trotz der düsteren Zukunftsaussichten den Hof seiner Eltern übernommen hat, ist Lucas Lütke Schwienhorst. Der studierte Landwirt ist 34, hält in Vetschau bei Cottbus Milchkühe und baut Getreide an.

Mit den Klagen wolle er die konkreten Folgen der Klimakrise öffentlich machen, sagt er. "Die Menschen haben den Bezug zur Natur verloren, sie können die Buche nicht von der Eiche unterscheiden." Die komplexe Krise sei nur über Aufklärung zu lösen. "Man schützt nur, was man kennt."

Mit zunehmender Erwärmung wird es öfter Extremwetterevents geben. Dadurch verändern sich die Anbauroutinen der Bauern. Besonders Hitzewellen und Dürrephasen machen Lütke Schwienhorst im Spreewald zu schaffen. Trotzdem ist er zuversichtlich. Um sich zu rüsten, setzt er auf Diversität: "Je unterschiedlicher die Wuchsperioden meiner 15 Getreidesorten, desto wahrscheinlicher kriege ich eine gute Durchschnittsernte", erklärt er. Die Rispenhirse etwa sei in Hitzeperioden viel ertragreicher als klassische Kulturen. "Wir müssen uns an die neuen Bedingungen anpassen, dann klappt das schon."

Klimaforscher Lotze-Campen berät mit seinen Kollegen seit Jahren die Regierung. Hoffnung gebe ihm das Umdenken unter Politikern: "Vor 15 Jahren war Klimaschutz ein exotisches Thema, jetzt steht es auf der Tagesordnung." Auch die engagierte junge Generation stimme ihn zuversichtlich.

Als in den 70er-Jahren die Luft hierzulande mit Schwefeldioxid belastet war, habe die Politik durch klare Abgasregeln für Kraftwerke das Problem in den Griff bekommen, sagt er. "Der Klimaschutz ist natürlich deutlich komplexer und muss in globaler Kooperation gelöst werden." Wie schwierig das ist, zeigt sich derzeit beim Klimagipfel in Glasgow, wo die Weltgemeinschaft um Klimaschutzziele und deren Einhaltung ringt.

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