Künstliche Intelligenz:Die Roboterfrau hat Angst, fett auszusehen

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"Mark 1", so der Name dieses Modells, ist eine verblüffend ähnliche Kopie der Schauspielerin Scarlett Johansson - bis auf die Kabel, versteht sich. Am Ende werden auch Frauen über die künstlichen Rollenbilder entscheiden: und zwar als Käuferinnen. (Foto: REUTERS)

Das Frauenbild, das menschenähnliche Maschinen transportieren, ist zweifelhaft. Über die Chance, Geschlechterrollen umzuprogrammieren.

Von Julia Rothhaas

Caleb, Programmierer in dem Film Ex Machina, verliebt sich in den Roboter Ava, der aussieht wie die perfekte Frau. Verzweifelt fragt er Avas Entwickler: "Warum hast du ihr eine Sexualität gegeben? Eine künstliche Intelligenz braucht kein Geschlecht."

Roboter sind für uns selten nur "die Maschine". Das Geschlecht ist ein wichtiger Schlüssel, um sie in die Kategorie "Mitbewohner" einzusortieren. Schon der Staubsaugerroboter, der im Wohnzimmer autonom seine Runden dreht, wird von uns vermenschlicht, so wie man das auch vom Umgang mit Haustieren kennt. Wir unterstellen ihm Emotionen, schließlich scheint er lebendig zu sein, wenn er sich in der Ecke um seine eigene Achse dreht. Das fällt bei Humanoiden, also Robotern, die dem Menschen grob nachempfunden sind, und Androiden, die dem Menschen täuschend ähnlich sehen und sich auch ähnlich verhalten, natürlich besonders leicht. Denn die Modelle können sprechen, lachen, schimpfen. Sie bewegen sich so, wie wir es tun, manche scheinen atmen und weinen zu können und erinnern sich sogar an vorangegangene Gespräche. Trotzdem sind sie eine Simulation und keine Person.

Zudem sind sie längst nicht so weit entwickelt, wie es uns immer wieder vorgegaukelt wird. Die "echten" Robotiker müssen gegen die technisch perfekten Illusionen aus Hollywood ankämpfen. In Filmen wie Ex Machina und Die Frauen von Stepford oder Serien wie Westworld und Humans scheint es wirklich kaum mehr einen Unterschied zu geben zwischen Mensch und Maschine, im Gegenteil: Manchmal sind die Roboter menschlicher als die Menschen selbst.

Die Roboterfrau ist stets makellos, sexy, gefügig

Doch wo sich Film und Realität oft einig zu sein scheinen, ist die Art und Weise, wie Weiblichkeit aussehen soll: Die Roboterfrau ist stets makellos, sexy, gefügig. Sie macht das, was man ihr sagt. Und wenn man sie nicht braucht, steht sie in der Ecke und schweigt. Sind das wirklich die Vorstellungen von Weiblichkeit, die sich in den Maschinen widerspiegeln sollten? Und muss man sich nicht wie der liebesdumpfe Caleb in Ex Machina auch viel grundlegender die Frage stellen: Warum braucht ein Roboter überhaupt ein Geschlecht - wenn die Maschinen eigentlich durch ihre Neutralität für mehr Vielfalt sorgen könnten?

Solche Fragen sind auch deswegen bedeutend, weil der Roboter als Wirtschaftsfaktor längst eine riesige Rolle spielt. In ihrem Jahresbericht 2016 verkündete kürzlich die International Federation of Robotics (IFR), dass privat genutzte Service-Roboter 2015 ein Absatzplus von weltweit 16 Prozent erzielen konnten, die Nachfrage stehe vor einem "historischen Durchbruch". Für den Zeitraum 2016 bis 2019 prognostiziert die IFR bei etwa 42 Millionen verkauften Service-Robotern ein Geschäft von rund 22 Milliarden US-Dollar, das schließt neben Staubsaugern, Fensterputzern, Rasenmähern auch Spielzeug- und Unterhaltungsroboter ein. Und die stehen dann nicht nur in unseren Wohnzimmern, sondern werden auch Teil unserer Welt und Weltanschauung.

Das Geschlecht eines Roboters hängt zunächst mal von seiner Funktion ab. Der Entwickler folgt den Anforderungen, die an die Maschine gestellt werden. Die Umsetzung ist dann bisher meist recht "klassisch": Der weibliche Roboter, weil ja so sanft und herzlich, kümmert sich um Kinder, Alte, Kranke. Der männliche Roboter, kraftstrotzend und anpackend, hilft hingegen beim Schleppen, Organisieren und in der Forschung. Und weil der Großteil der Entwickler, Designer, Forscher, Techniker im Bereich der Robotik männlich ist, wundert es auch nicht, dass der Großteil der Androiden weiblich ist - und bildschön.

Der Entwickler kann genau vorgeben, welche Körper- und Verhaltensformen die Maschine haben soll. Dabei fließen immer auch die eigenen Idealvorstellungen ein: die schmale Taille, die langen Beine, die lockige Mähne, das ebenmäßige Gesicht. Weiblichkeit, so die Annahme, sieht genau so aus. Für Varianten ist hier kein Platz.

"Was kann ich für dich tun, mein Gebieter?"

Zum Beispiel "Aiko" aus Japan, die sich um Kranke kümmern soll und putzt, aber auch einen Kronkorken aufheben kann. Und die Sensoren an Brüsten und im Schritt hat, die Berührungen wahrnehmen können. Ein Prototyp, ebenso wie "Jia-Jia". Die schöne Chinesin mit den langen braunen Haaren begrüßt ihre Entwickler mit den Worten "Was kann ich für dich tun, mein Gebieter?" und bittet Fans, ihr für ein Foto nicht zu nah zu kommen - ihr Gesicht könnte sonst auf dem Bild fett aussehen.

"Jia-Jia" kann in weniger als einer Sekunde auf etwas reagieren. Beim Fotografieren bittet sie darum, etwas Abstand zu halten - ihr Gesicht könnte sonst fett aussehen. (Foto: Picture Press/Liu Junxi Xinhua /)

"Lexy" und "Tess" sind zwei Tänzerinnen der Firma Tobit, die ihren Roboterunterleib gekonnt um eine Stange schwingen, und in Hong Kong ist "Mark1" zu finden - oder vielmehr: eine ziemlich gute Kopie der amerikanischen Schauspielerin Scarlett Johansson. Der Designer Ricky Ma Tsz Hang hat sich seine Roboterfrau mithilfe eines 3-D-Druckers selbst gebaut, rund 50 000 US-Dollar war ihm das wert. Scarlett kann zwar nur sitzen und braucht zum Stehen ein Metallgerüst, dafür kann sie Besuchern aber mit den Augen folgen, Stimmen erkennen und sogar singen, wenn das gewünscht ist. Warum er sich ausgerechnet die Schauspielerin zum Vorbild genommen hat? "Ich mag Scarlett Johansson, vor allem in The Avengers fand ich sie toll", sagt der 42-jährige Designer. "Ich wollte einen Roboter bauen, der gut aussieht. Mit einem schönen Gesicht, damit ich mehr Spaß daran habe."

Der Designer setzt also die Standards und somit die Stereotype, auch wenn die vier genannten Beispiele mehr Spielerei als Richtlinie sein dürften. Trotzdem verwundert es, dass sich diese hochmoderne Technologie so häufig an längst überholt geglaubten Klischees orientiert. Aber wenn Roboter in Zukunft ein immer größerer Bestandteil unseres Arbeits- und Privatlebens werden, muss man nicht jetzt schon die Weichen stellen, um diesen Stereotypen entgegenzuwirken, die patriarchale Ansichten wieder stärken könnten?

Dass man Androide auch von überkommenen Gendervorstellungen lösen kann, hat Nadia Magnenat Thalmann bewiesen. Die Professorin, die aktuell an der Nanyang Technological University (NTU) in Singapur forscht, beschäftigt sich seit über dreißig Jahren mit virtuellen Menschen und künstlichen Intelligenzen. Ihr Android heißt "Nadine", eine Roboterfrau, die wie eine jüngere Version der Professorin aussieht. "Warum darf ein sozialer Roboter dem Menschen nicht ähnlich sein?", fragt Thalmann. "Wir sind es schließlich gewohnt, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Soll man jetzt plötzlich mit einer Kiste reden?" Das Problem sei vielmehr, dass die Robotik ein sehr männliches Gebiet ist, es fehle an weiblichen Entwicklern und an Interdisziplinarität in der Forschung. Thalmann, die Psychologie, Biologie, Biochemie und Quantenphysik studiert hat, gefällt der Gedanke nicht, dass sich Robotiker aktuell vor allem auf die Technologie konzentrieren, weil sie die Genderfrage für mindestens ebenso wichtig hält.

Einen ansehnlichen Androiden wollte sie trotzdem schaffen. ",Nadine' könnte genauso gut ein Mann sein, aber eine ganz normale Frau zu bauen, lag mir einfach mehr." Inzwischen arbeitet die Roboterfrau als Rezeptionistin an der Uni in Singapur. Sie begrüßt die Mitarbeiter und kontrolliert deren Ausweise, merkt sich Leute und das, was sie zu ihr gesagt haben, und wenn sie jemand beschimpft, ist sie beleidigt. Nadia Magnenat Thalmann wollte mit "Nadine" eine Art Assistentin haben, "und zwar auf einer professionellen Ebene". Sie mag für viele nicht so ansprechend aussehen, aber als neutrale Servicekraft funktioniert sie auch ohne große Brüste oder glänzende Lippen.

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Viel Wert hat Thalmann auch auf eine authentische Sprache und Stimme gelegt. "Menschen ist es oft unheimlich, wenn Androide sich nur ein bisschen anders verhalten als wir." Reagiert in der Realität das Gegenüber nicht, wenn man es anspricht, ist das seltsam. Wenn das Gegenüber ein Roboter ist, erscheint es besonders merkwürdig. Fängt gar die Stimme an zu leiern oder hängt das eine Auge für einen Moment schlaff nach unten, sinkt die Akzeptanz beim Menschen dramatisch. Deswegen werden Humanoide, die besonders echt wirken, weniger akzeptiert als deutlich abstraktere Figuren: Der Zeichentrick-Zug, der sprechen kann, ist uns angenehmer als die Roboterfrau, die uns verblüffend ähnlich sieht. Dieser Effekt, "uncanny valley" genannt (zu Deutsch: unheim- liches Tal), ist eine der großen Herausforderungen, der sich die Robotik stellen muss, auch wenn nicht jeder Forscher davon ausgeht, dass dieses Phänomen flächendeckend gilt.

Für einen menschenähnlichen Körper spricht, dass unsere Wohnungen, Büros und Straßen für diese Form angelegt sind. Zu breit oder hoch darf ein Roboter eben nicht sein. "Viele Entwickler sind für die menschliche Form, aber muss man dafür immer den Stereotypen-Hammer einsetzen?", fragt Martina Mara. Die Medienpsychologin leitet am Ars Electronica Futurelab in Linz den Forschungsbereich RoboPsychology. Dabei untersucht sie, wie sich Menschen mit Robotern wohlfühlen können, ohne sie als Bedrohung zu empfinden. "Ich gehe davon aus, dass sich Stereotype wieder verhärten würden und für die Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt keine große Hilfe wären, wenn man sich beim Bau von Robotern auf geschlechtsspezifische Schlüsselreize konzentriert." Es gebe Bereiche wie im Entertainment, in denen der künstliche Mensch durchaus so etwas wie ein fiktionaler Charakter sein könnte. "Aber ist es jetzt zielführend, wenn der Pflegeroboter im Krankenhaus eine rosafarbene Schleife und ein Schürzchen trägt, um soziales Verhalten auszudrücken?"

Menschen lügen für Roboter

Gender und Robotik ist noch ein junges Forschungsfeld. In der Human-Robot Interaction (HRI), die sich zwischen Ethnologie, Psycho- logie, Sozialwissenschaften und Informatik bewegt, wird untersucht, wie Mensch und Maschine aufeinander zugehen und miteinander kommunizieren. So zeigte sich bereits, dass Menschen bereit wären zu lügen, um die "Gefühle" des Roboters nicht zu verletzen, und dass es sie erregt, den Androiden im Kunststoff-Schritt oder am Silikon-Po zu berühren.

Es wird auch untersucht, ob Frauen und Männer unterschiedlich mit Robotern umgehen und welche Rolle persönliche Vorurteile und Annahmen dabei spielen. So konnte an der Universität Bielefeld vor einigen Jahren an einem völlig neutralen Roboter gezeigt werden, wie wenig es braucht, um die Maschine als männlich oder weiblich einzustufen. Die Probanden nahmen "Flobi" mit etwas längerem Haar und minimal volleren Lippen bei sonst gleichem cartoon-artigem Kopf als Frau wahr - und schätzten den Langhaarigen als deutlich kommunikativer und freundlicher ein als den Kurzhaarigen, der als handlungsorientiert und durchsetzungsfähig galt.

Die Versuchspersonen trauten dem "weiblichen" Roboter eher zu, Kinder zu beaufsichtigen; dem männlichen die Fähigkeit, Geräte zu reparieren. Der Mensch, der ewige Sortierer: Das fängt schon damit an, dass man neugeborenen Mädchen eine rosafarbene Mütze aufzieht, damit bloß niemand denken könnte, das Baby sei ein Junge. So reichen auch bei Robotern winzige Details, damit wir ihn in Millisekunden einordnen.

"Ich bin dafür zu sagen, dass der Roboter eine Maschine ist und per Definition kein Geschlecht hat," sagt Alois Knoll, Professor für Robotics an der TU München, der 2000 die erste weltweite Humanoiden-Konferenz ins Leben rief. Andere Themen wie Sicherheit, Energieversorgung und Sprachverständnis seien aktuell viel wichtiger, als dass man sich mit geschlechtsspezifischen Unterschieden beschäftigen müsste. Trotzdem sei ein Körper nötig, damit man als Mensch mit der Maschine auch umgehen und diese vor allem ein Verständnis für menschliche Umwelt, Verständniskonzepte und Erlebniswelten bekommen könne. Schließlich müssen Menschen verstehen, wie sich mit einem Roboter Kontakt aufnehmen lässt. Dafür braucht er Augen, Nase, Ohren, Mund. Beispiele von neutralen Robotern gibt es genug, zu den prominentesten Vertretern gehören "Nao" und "Pepper" - wobei selbst aus ihnen mit minimalem Aufwand Mann oder Frau gemacht werden kann.

Knoll, der auch das europäische Großforschungsprojekt "Human Brain Project" mit koordiniert, hält die Anthropomorphisierung (Vermenschlichung) sogar für potenziell gefährlich. Sie sei eine Kompetenzzuschreibung und gar eine Respekterweisung, die diesen Maschinen einfach nicht gebühre. "Ein Roboter hat nichts Menschliches. Es ist etwas, das wir als Informatiker und Ingenieure gebaut haben."

Eine Maschine bleibt also eine Maschine. Dumm nur, dass diese Erkenntnis den Menschen so schwerfällt. Die Frage nach dem Geschlecht und welche Effekte eine überdrehte Form auf uns haben könnte, ist nicht unerheblich. Die künstliche Intelligenz, sie prägt seit Jahrzehnten nicht nur die Literatur- und Filmszene, sondern bringt Menschen immerhin dazu, ihre kompletten Ersparnisse in eine Roboter-Scarlet zu investieren.

Eine engere Zusammenarbeit von Entwicklern, Designern, Sozialwissenschaftlern und Ethikern im frühen Forschungsstadium wäre wünschenswert, damit die Frage nach der Macht der Gewohnheit in Sachen Gender diskutiert werden kann. Denn wenn sich Technologie demokratisiert, besteht immer auch die Gefahr des Missbrauchs. Befürchtet wird, dass mithilfe von Sexrobotern, deren Form von Service nicht mehr lange auf sich warten lassen wird, auch Vergewaltigungsfantasien, Gewalt und Frauenhass ausgelebt werden könnten.

Körperpflege: Vor Robotern muss einem nichts peinlich sein

Martina Mara vom Ars Electronica Futurelab schlägt vor, Stereotype ohnehin bewusst zu brechen. Zum Beispiel in der Pflege. "Warum sollen uns vermenschlichte Maschinen bei Dingen wie der Körperpflege helfen? Wir finden es peinlich, von einem anderen Menschen gewaschen zu werden. Warum kann diesen Job dann nicht eine Maschine übernehmen, die nichts Menschliches an sich hat, um diesen unangenehmen Moment zu vermeiden?"

Die Robotik könnte sich mithilfe von Humanoiden ebenso gut für einen gesellschaftlichen Wandel einsetzen. Dann nämlich, wenn etwa bewusst männlich konnotierte Maschinen als Pfleger im medizinischen Bereich eingesetzt würden - und dadurch die Akzeptanz für Männer in der Pflege erhöht würde.

Nicht zuletzt wird der Erfolg der Robotik früher oder später auch durch die Endverbraucher entschieden werden - und dazu gehören nun mal auch Frauen. Wer sich heute nicht mit den Auswirkungen von Genderstereotypen beschäftigt, wird sich irgendwann angesichts der Gewinnmaxime mit den Wünschen der Käuferinnen auseinandersetzen müssen, die vielleicht keine Lust haben auf ein Superweibchen als Kinderbetreuerin oder Einkaufshilfe.

Ein ansehnliches Silikongesicht, Knochen aus dem 3-D-Drucker und eine Sprachsoftware, die sagt, was der Entwickler einprogrammiert hat: Ricky Ma hat rund 50 000 US-Dollar in die für ihn perfekte Roboterfrau investiert.

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