Die deutsche Wirtschaft ist 2021 um 2,7 Prozent gewachsen, meldet das Statistische Bundesamt. Damit hat sich Deutschland vom Konjunkturschock durch die Corona-Pandemie erholt, die die Wirtschaft 2020 um fast fünf Prozent schrumpfen ließ - der zweitschwerste Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Für dieses Jahr erwarten Konjunkturforscher trotz mancher Sorge mehr Wachstum - und mehr Arbeitsplätze.
Für Oliver Holtemöller brachte 2021 trotz der Erholung auch Ernüchterung. "Wir starteten mit der Vorstellung, die Pandemie sei durch den Impfstoff spätestens Ende des Jahres vorbei", sagt der Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). "Stattdessen gibt es immer noch Beschränkungen der persönlichen Kontakte." Die Gastronomie beschäftigte bis Ende 2021 ein Viertel weniger Mitarbeiter als vor der Pandemie.
Im Frühjahr ging es zunächst wirtschaftlich aufwärts. "Dann tauchten die Lieferengpässe auf, die keiner auf der Rechnung hatte. Sie haben das Wachstum deutlich gebremst", analysiert Monika Schnitzer. Die Wirtschaftsprofessorin an der LMU München meint die Transportprobleme, den Mangel an Rohstoffen wie Holz, vor allem aber an Chips. "Die Auftragsbücher waren voll, die Stimmung war gut, aber die Firmen kamen wegen der Lieferengpässe mit der Produktion nicht hinterher."
Es waren vor allem die wieder starken Exporte und staatliche Ausgaben, die die Wirtschaft wachsen ließen. Die vielen Hilfsmaßnahmen trieben das Defizit der staatlichen Haushalte auf 153 Milliarden Euro, das größte Minus seit der Wiedervereinigung. Die meisten neuen Arbeitsplätze entstanden in Branchen wie Erziehung, Gesundheit, Information, Kommunikation und am Bau. Finanziell profitierten gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich. Die Entgelte der Arbeitnehmer stiegen um rund drei Prozent. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen, die 2020 um zehn Prozent geschrumpft waren, nahmen dagegen um 15 Prozent zu.
Omikron könnte den Lieferengpass verschärfen
2022 erwartet Monika Schnitzer, die die Bundesregierung im Sachverständigenrat berät, ein deutlich höheres Wachstum. Doch auf dem Weg liegen Barrieren - etwa durch die aktuelle Corona-Variante: "Omikron schafft neue Probleme". Vor der Pandemie habe die Lieferzeit von China in die USA auf dem Seeweg 50 Tage betragen. Zuletzt habe sie die Delta-Variante von 85 auf mehr als 100 Tage erhöht. Omikron könne den Engpass verschärfen.
Wenn die neue Corona-Variante Infektionen hochschießen lässt, müsste die chinesische Regierung gemäß ihrem strikten Kurs ganze Städte lahmlegen, was Lieferungen von Vorprodukten genauso einschränken könnte wie deutsche Exporte nach China. Hohe Infektionszahlen könnten auch in Deutschland dazu führen, dass viele Beschäftigte nicht zur Arbeit kommen können.
IWH-Konjunkturchef Oliver Holtemöller rechnet mit einem schwachen Winterhalbjahr, wenn die gegenwärtigen Einschränkungen bis zum Frühjahr andauern. In den letzten drei Monaten 2021 ist die Wirtschaft bereits geschrumpft. Allerdings sind deutliche Unterschiede zum vergangenen Winter sichtbar. Anders als damals werden Geschäfte und Restaurants wohl nicht geschlossen.
Sobald es wärmer wird, dürften die Deutschen dann viel konsumieren. "In diesem Umfeld investieren die Unternehmen auch wieder mehr", erwartet Holtemöller. Er widerspricht der Diagnose, Corona verändere das Konsumverhalten völlig. "Wo die Menschen können, gehen sie ins Restaurant oder Kino und fahren in den Urlaub. Sie konnten nur wegen der Pandemie oft nicht." Auch die Lieferkettenprobleme lösten sich nach und nach auf.
Das alles sorgt für reichlich Schwung: "Die Arbeitslosigkeit dürfte weiter zurückgehen. In den Unternehmen macht sich zunehmend ein Mangel an Fachkräften bemerkbar." Holtemöller rechnet für 2022 mit 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum, Monika Schnitzer mit vier Prozent. So stark ist die deutsche Wirtschaft seit der Wiedervereinigung nur einmal gewachsen - nach der Finanzkrise 2008/09. Damit würde die Wirtschaftsleistung schon im Laufe des Jahres das Niveau von vor der Pandemie erreichen.
"Die Regierung sollte vor allem keinen Unsinn machen"
Gefahren, dass das alles nicht so kommt, gibt es natürlich. Etwa ein schwächeres Wachstum in China. Die Wirtschaftsweise Schnitzer treibt aber anderes mehr um: "Die Konjunktur wird durch die hohen Energiepreise gebremst. Es ist nicht auszuschließen, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Situation ausnutzt und die Gaslieferungen drosselt". Dauerhaft höhere Energiepreise würden die Wirtschaft zusätzlich belasten. Sollte der Konflikt in der Ukraine eskalieren, wird es richtig brisant.
Aus dem Energiebereich kommt für Schnitzer die wahre Gefahr dafür, dass sich die starke Inflation von 2021 fortsetzt: "Wenn die Energiepreise dauerhaft steigen, dann könnte das die Inflationserwartungen steigern und zu höheren Lohnforderungen führen".
Dagegen zeichne es sich nicht ab, dass allein aus der bisherigen Inflation eine Lohn-Preis-Spirale entsteht, bei der Lohnforderungen und Preissteigerungen sich gegenseitig hochtreiben. "Die Lohnabschlüsse bisher etwa bei Verdi sind moderat", sagt Schnitzer. "Auch im nächsten Jahr stehen nicht gleich Tarifrunden an, bei denen man hohe Abschlüsse erwarten sollte."
Die Wirtschaftsweise zählt sich zu den Ökonomen, die die aktuellen Preissteigerungen überwiegend als vorübergehend betrachten. Sie rechnet für 2022 mit nur noch 2,6 Prozent Inflation nach 3,1 Prozent im vergangenen Jahr.
Oliver Holtemöller ruft die Bundesregierung angesichts der wirtschaftlichen Erholung dazu auf, sich zurückzuhalten: "Die Regierung sollte vor allem keinen Unsinn machen. Die Produktionslücke schließt sich. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive gibt es keine Notwendigkeit für stimulierende Maßnahmen."
Die neue Ampelkoalition solle ihr Augenmerk lieber auf die großen Herausforderungen der Gegenwart richten: "Die Kernprobleme liegen in den Bereichen Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie." Die demografische Entwicklung etwa, bei der die Zahl der Rentner zunimmt, während die Arbeitnehmerschar schrumpft, erhöhe die Kosten der sozialen Sicherung. "Im Koalitionsvertrag wird dieses Problem vernachlässigt", kritisiert der Forscher.