Energieverbrauch:Deutschland verpasst Klimaziel

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Dampf steigt aus den Kühltürmen des Kraftwerkes Lippendorf südlich von Leipzig. 2021 ist der Einsatz von Braun- und Steinkohle um jeweils 18 Prozent gestiegen. (Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Durch die Corona-Krise hatte Deutschland 2020 unverhofft das Klimaziel erreicht. Doch den Energiehunger des laufenden Jahres stillt das Land vor allem mit fossiler, klimaschädlicher Energie.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Der 15. März 2022 wird ganz sicher nicht der schönste Tag in der Amtszeit des neuen Klimaministers. Spätestens dann, so will es das Gesetz, wird Robert Habeck (Grüne) die Klimabilanz für 2021 in Händen halten. Und die wird ziemlich bescheiden.

Das jedenfalls legen Zahlen nahe, die am Dienstag die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (Ageb) vorgelegt hat. Demnach ist der Energiehunger im Jahr nach der ärgsten Corona-Krise wieder deutlich gestiegen. Und gestillt wurde er vor allem mit fossiler, klimaschädlicher Energie. So wuchs der Einsatz von Braun- und Steinkohle um jeweils 18 Prozent - während die erneuerbaren Energien nahezu stagnierten. Zwar legten Solarstrom und Wasserkraft um jeweils fünf Prozent zu. Doch bei der Windkraft an Land herrschte oft Flaute, ihre Leistung schrumpfte um elf Prozent.

Das alles geht an der deutschen Klimabilanz nicht spurlos vorbei. Im vorigen Jahr war sie - coronabedingt - gut ausgefallen, die Treibhausgas-Emissionen sanken auf 739 Millionen Tonnen. Das waren 40,8 Prozent weniger als 1990, erstmals erreichte eine Bundesregierung damit ihr offizielles Klimaziel: minus 40 Prozent. Doch 2021 werden nach Daten der Ageb die energiebedingten Emissionen um 25 Millionen Tonnen höher liegen. In die Bilanz fließt zwar auch der Treibhausgas-Ausstoß von Landwirtschaft und Abfallbereich ein, doch die Energie-Emissionen sind der dominierende Faktor. Was bedeutet: Am 15. März sieht sich der neue Klimaminister einer heftigen Zielverfehlung gegenüber. Selbst das Klimaziel für 2020 wird verfehlt. Nach den Zahlen der Ageb landet Deutschland bei 38,9 Prozent Minderung gegenüber 1990.

Ein "vergiftetes Abschiedsgeschenk" der vorherigen Regierung

Die neue Koalition kann dafür nichts, sie ist ja frisch im Amt. Verkünden muss sie die schlechte Nachricht trotzdem. Es handle sich um das "vergiftete Abschiedsgeschenk" der großen Koalition, sagt Greenpeace-Energieexperte Andree Böhling. "Auch wenn die Ampel-Regierung sich diesen Klima-Kater nicht selbst eingebrockt hat, so braucht sie jetzt sehr schnell ein Rezept dagegen." Nötig sei etwa eine Obergrenze für schmutzigen Kohlestrom.

Dessen Zuwachs wirft zugleich ein Schlaglicht auf den Strommarkt. Denn ausgelöst wurde der Kohleboom nicht zuletzt auch durch den hohen Gaspreis. In der Stromversorgung wurde Gas dadurch weniger attraktiv, die klimaschädliche Kohle dagegen wieder wettbewerbsfähig. Daran änderten auch die hohen Preise für Emissionszertifikate wenig. Wer in Europas Kraftwerken oder Fabriken eine Tonne Kohlendioxid verursacht, muss dafür ein EU-Emissionszertifikat erwerben. Deren Preis stieg - analog zur Entwicklung am Gasmarkt - von gut 30 Euro zu Beginn des Jahres auf zuletzt 80 Euro. Wenn der Erdgasverbrauch im ablaufenden Jahr dennoch um knapp vier Prozent wuchs, dann vor allem wegen der kühlen Witterung im vorigen Winter. Da war Gas ja noch nicht ganz so teuer.

An anderer Stelle dagegen dürften die hohen Energiepreise die Statistik eher verzerren: beim Heizöl. Wegen der zuletzt hohen Ölpreise haben viele Haushalte darauf verzichtet, ihre Tanks zu füllen. Um 27 Prozent ging der Absatz hier zurück. Allerdings wollen die Tanks irgendwann auch wieder gefüllt werden, wenn es denn unbedingt eine Ölheizung sein muss. Im Straßenverkehr wiederum machen sich auch die Lockdowns weiter bemerkbar. Der Dieselabsatz sank um ein Prozent, Ottobenzin legte nur um 0,6 Prozent zu - und das selbst gegenüber dem verbrauchsarmen Jahr 2020. Nur der Flugverkehr hob ab: Nach dem Stillstand 2020 wuchs der Kerosin-Absatz um 22 Prozent. Im Jahr zuvor hatte er sich halbiert.

Was nach dem 15. März passieren muss, regelt das Klimagesetz ganz genau. "Sofortprogramme" müssen dann her, in allen Bereichen, die ihre Klimaziele reißen, und das bis spätestens Mitte Juli. Viel Arbeit für den Klimaminister - denn das Klimaziel bewegt sich: Es wird von Jahr zu Jahr strenger.

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