Steuerhinterziehung:Der tägliche Betrug an Deutschlands Kassen

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Das Geldfach einer Ladenkasse. (Foto: dpa)

Seit 2016 gibt es das Kassengesetz, aber es wirkt nicht. Das Land der vermeintlich so korrekten Deutschen schafft es nicht jährlich 10 Milliarden Euro Steuerhinterziehung abzustellen.

Kommentar von Michael Kläsgen

Wer aus dem Ausland nach Deutschland zieht, bekommt schon bald Post vom Finanzamt. Guten Tag, schön, dass Sie da sind. Hier ist ihre Steuernummer und die ihrer Kinder gleich dazu. Macht nichts, wenn die gerade erst geboren wurden. Wir registrieren sie schon mal als künftige Steuerzahler. Hier gelten Regeln, signalisiert das, und die sind einzuhalten. Das passt zu dem wie mit der Nagelschere geschnittenen Rasen in den Vorgärten und den Einwohnern, die andere schief ansehen, wenn sie bei Rot über die Ampel gehen.

Das entspricht auch dem Bild, das viele im Ausland über "die" Deutschen haben: spaßfrei und pedantisch. Und es fügt sich auch in das Selbstbild "der" Deutschen, wenn sie über "die Südländer" reden. Da schwingt immer auch Überheblichkeit mit über die Hallodris, die es nicht so genau nehmen, vor allem wenn es ums Geld geht.

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Von Michael Kläsgen

Dass der Bäcker um die Ecke das Wechselgeld aus der offenen Ladenkasse nimmt, man noch nie eine Quittung vom Friseur erhalten hat oder auf dem Bon im Café "Zwischenbeleg" oder "Keine Rechnung" steht, das nehmen die angeblich so korrekten Deutschen hin. Vielleicht sind sie doch recht entspannt, ist es ihnen egal oder sie haben sich daran gewöhnt. War ja nie anders. Entsprechend hat auch die Politik keine Eile, den tagtäglichen Betrug an den Ladenkassen einzuschränken. Dabei entgehen dem Staat dadurch laut Finanzministerium zehn Milliarden Euro jährlich.

Irgendwas kommt immer dazwischen

Nach jahrzehntelangen Diskussionen gibt es zwar seit Ende 2016 ein Gesetz dagegen, aber irgendwie kommt doch immer etwas dazwischen, sodass das Gesetz nicht greift, bis heute nicht. Das ist auch insofern bemerkenswert, als das Gesetz nicht mal ein probates Instrument gegen Steuerbetrug ist. Es verpflichtet niemanden, wie in anderen EU-Ländern, eine Registrierkasse zu haben. Stattdessen erlaubt es weiterhin offene Ladenkassen und damit Steuerflucht. Es bleibt damit weitgehend wirkungslos.

Die Widerstandskräfte gegen das durchlöcherte Gesetzeswerk sind dennoch erstaunlich groß. Verbände handeln Übergangsfristen aus, die damit verbundene Bonpflicht wird ins Lächerliche gezogen und jetzt dient Corona als Entschuldigung dafür, dass es wieder nicht klappt mit der Umsetzung. Die Bundesländer spielen dabei eine unglückliche Rolle. Ihr Votum für einen erneuten Aufschub bis Ende März 2021 wirkt so, als hätten sie insgeheim Verständnis für Steuerhinterziehung, was nicht zutrifft. Sie unterminieren so aber das Bestreben, das Gesetz endlich scharf zu stellen und desavouieren den Bundesfinanzminister.

Zum Gesamtbild gehört, dass auch er offenbar nicht ganz unbeteiligt ist an dem Wirrwarr. Als hätte Olaf Scholz nicht schon genug Scherereien mit Wirecard und der Finanzaufsicht, muss sich nun eine weitere Unterbehörde bekritteln lassen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik soll sich nicht rechtzeitig darum gekümmert haben, alle Techniken, mit denen man Kassen manipulationssicher machen kann, also auch solche aus der Cloud, zu zertifizieren. Das mag eine neue Finte gegen das Gesetz und möglicherweise dem aufkeimenden Wahlkampf geschuldet sein.

Fest steht: Das Gesetz ist da, aber es wirkt nicht und es sieht derzeit nicht danach aus, als würde es das Land der vermeintlich so korrekten Deutschen schaffen, es bald umzusetzen. Nächstes Jahr ist Superwahljahr, dann gibt es eine neue Regierung und das Spiel beginnt von vorn. Dabei geht es ja im Grunde nur um steuerliche Gleichbehandlung und darum, Corona hin oder her, dass alle ihre gesamten Einkünfte deklarieren. Für spaßfreie Pedanten doch eine Selbstverständlichkeit.

© SZ vom 25.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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