Der Tag, an dem Japans Zentralbank die Ära ihrer ultralockeren Geldpolitik beendete, ist dann also der 19. März geworden, ein kühler, sonniger Frühlingsdienstag in Tokio. Die Finanzexperten im Inselstaat hatten sich schon seit geraumer Zeit gefragt, wann genau die Bank of Japan (BoJ) ihre Linie verlassen würde, die seit über zehn Jahren Negativzinsen und eine anhaltende Zinskurvenkontrolle durch Staatsanleihen-Käufe vorsah. Als BoJ-Chef Kazuo Ueda am Montag den Vorstand zur zweitägigen Sitzung um sich versammelte, wurde die Frage konkret: Würde der historische Schritt erst Ende April beschlossen oder schon bei dieser Sitzung?
Dann endete die Sitzung mit einer Entscheidung, der nur zwei der neun Vorstandsmitglieder nicht zustimmten. Wenig später teilte die Bank of Japan mit, Zinskurvenkontrolle und Negativzins-Politik hätten "ihre Rolle erfüllt". Es sei nun Schluss damit. Den neuen Leitzins will die BoJ zwischen null und 0,1 Prozent halten. Es ist Japans erste Leitzinserhöhung seit 17 Jahren. Die BoJ ist die letzte große Zentralbank, die sich von Negativzinsen verabschiedet. Die Japan Times schrieb: "Es ist ein monumentaler Moment für Japan."
Es ist auf jeden Fall eine Wende, die Japans rechte Staatspolitiker aus einem fast märchenhaften Geldbeschaffungssystem reißt. Dieses System begann nach der Wiederwahl des Nationalisten Shinzo Abe zum Premierminister im Dezember 2012. Seit Abe im Schulterschluss mit der BoJ seine sehr wirtschaftsfreundliche sogenannte Abenomics-Politik durchgesetzt hatte, kaufte die Zentralbank konsequent Staatsanleihen von Geschäftsbanken und anderen Finanzinstitutionen, unterstützte so Kredite zu extrem niedrigen Zinsen und hielt indirekt den Staat flüssig. Japan lebte quasi auf Pump bei seinen eigenen Menschen. Es druckte sich das Geld, das es brauchte, und machte Schulden, ohne an morgen zu denken.
Die Löhne stiegen nicht und das Inflationsziel schien weit weg
Mit dieser Geldpolitik setzte Japan einen Trend im Kampf gegen die Deflation. Die USA und Europa folgten. Ökonomen waren begeistert. Japan zeigte, was alles geht, wenn man sich in seiner eigenen Währung verschuldet. Andere warnten, denn strukturelle Reformen begleiteten die Abenomics-Politik nicht. Und auch in Zeiten des weltweiten Konjunkturhochs wuchs Nippons Wirtschaft nur spärlich, die Löhne stiegen nicht und das Inflationsziel von zwei Prozent blieb in weiter Ferne.
Dann kamen Corona, Krieg und Krise. Auch in Japan stiegen die Preise, der Yen wurde schwach. Andere erhöhten die Zinsen, die Bank of Japan blieb bei ihrem Kurs. Und in der Regierungspartei LDP verteidigten die Anhänger von Shinzo Abe, der im Juli 2022 von einem Ex-Marinesoldaten erschossen worden war, immer noch das Abenomics-Programm gegen den aktuellen Premierminister Fumio Kishida, der einen "neuen Kapitalismus" für sein überaltertes Land wollte.
Als im März 2023 der erfahrene Wirtschaftswissenschaftler Kazuo Ueda den Niedrigzins-Verteidiger Haruhiko Kuroda an der Spitze der BoJ ablöste, fragten sich viele, wie Ueda den Inselstaat wieder zurück auf einen nachhaltigeren Kurs bringen könnte. Ueda ging sehr vorsichtig vor, zunächst änderte er wenig. Aber im Oktober erklärte er, dass er die Obergrenze von einem Prozent auf japanische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit als "Referenz" betrachte, dass sie also auch mal höher sein können. Das war ein Zeichen, dass die Zeit des ganz billigen Geldes auch in Japan zu Ende geht.
Und nun ist es also so weit. Die Aussicht auf eine Inflationsrate, die stabil bei zwei Prozent liegt, sei gut, sagte Kazuo Ueda bei einer Pressekonferenz zur Erklärung der Entscheidung. "Ein wichtiger Faktor" seien zudem die Ergebnisse bei den jüngsten Shunto-Gesprächen gewesen, den frühjährlichen Tarifverhandlungen zwischen Firmen und Gewerkschaften. Die Verhandlungen brachten im Durchschnitt Lohnerhöhungen von 5,28 Prozent, mehr als erwartet - und mehr als im Vorjahr, als es die ersten echten Lohnerhöhungen seit Jahrzehnten gegeben hatte. "Die beispiellose lockere Geldpolitik ist jetzt vorbei", sagte Ueda. Langfristige Staatsanleihen wird die BoJ aber weiterhin kaufen.
Das hat Japan wohl auch nötig. Der Strategiewechsel der Zentralbank ist für die Finanzen des hoch verschuldeten Staates ohnehin ein Rückschlag. Durch die höheren Schulden steigt der Schuldenstand. Premierminister Fumio Kishida sieht sich mehr denn je zu strukturellen Veränderungen gezwungen. Zwar sind Steuererhöhungen in Japan schwer umzusetzen und den Konsum anzukurbeln ist in Japan auch nicht einfach. Dennoch hält Kishida die BoJ-Entscheidung für "angemessen".
Die Nachricht von der BoJ-Wende war nicht leicht zu verdauen. Einerseits war sie gut für alle Beobachter, denen die alte Politik des billigen Geldes zu zauberhaft vorgekommen war. Andererseits warf sie auch die Frage auf, wie es weitergeht im stolzen Inselstaat mit seiner schwindenden Bevölkerung.