Ukraine und Korruption:In den Fängen der Oligarchen

Lesezeit: 3 min

Kunden stehen Schlange vor einer Filiale der PrivatBank in Sewastopol auf der Halbinsel Krim. (Foto: Viktor Drachev/AFP)
  • Die Ukraine benötigt alleine für das Jahr 2020 rund 50 Milliarden Dollar Auslandskredite.
  • Doch internationale Geldgeber wollen die Kredite nur gewähren, wenn der IWF ebenso beteiligt ist.
  • Doch Milliardenskandale und Korruption im Falle der Privatbank lassen den IWF zögern.

Von Florian Hassel, Warschau

Es sind existenzielle Gespräche zwischen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der ukrainischen Regierung - existenziell aus Sicht der Ukraine. Denn allein 2020 benötigt das finanziell klamme Land aus dem Ausland rund 50 Milliarden Dollar, so der Fachdienst Capital Economics. Westliche Banken und Investoren aber geben erst Geld, wenn Kiew auch Geld vom IWF bekommt - die Rede ist von einem Kreditprogramm in Höhe von 4,5 bis 6 Milliarden Dollar. Dafür allerdings muss Kiew sich zu Gegenleistungen verpflichten.

Damit aber hapert es aus Sicht des IWF, jedenfalls wenn es um die Folgen des größten Wirtschaftsskandals der unabhängigen Ukraine geht: Drei Jahre ist es her, dass die ukrainische Zentralbank (NBU) anrüchige Insiderkredite, Geldwäsche und ein Loch von 5,5 Milliarden Dollar bei der PrivatBank, der größten Bank des Landes, feststellte - und die Regierung notgedrungen 5,5 Milliarden Dollar einschoss und die PrivatBank verstaatlichte. Der Umgang mit dem Milliardenskandal gilt IWF und westlichen Regierungen als Gradmesser dafür, ob Kiew endlich zu echten Reformen bereit ist. Denn bisher ist zumindest in der Ukraine so gut wie nichts passiert, um die verschwundenen Milliarden zurückzubekommen und die ehemaligen Eigentümer, die Oligarchen Ihor Kolomoiskij und Gennadij Bogoljubow, zur Verantwortung zu ziehen.

Auf einer Sanktionsliste der USA und angeklagt in mehreren Ländern: Der ukrainische Oligarch Ihor Kolomoiskij, dem Präsident Selenskij nahesteht. (Foto: Valentyn Ogirenko/VIA REUTERS)

Kolomoisky ist nach der Wahl seines Protégés Wolodimir Selenskij zum Präsidenten mächtiger denn je. Er versucht gar, die PrivatBank durch Entscheidungen des notorisch korrupten ukrainischen Gerichtssystems zurückzubekommen.Anfang Oktober unterbrach der IWF Kreditgespräche mit Kiew, alarmiert durch eine mögliche Rückgabe der PrivatBank an Kolomoiskij. Auch weitere Gespräche Mitte November ließen die Kreditgeber unbefriedigt: Am 22. November stellte der IWF lediglich fest: "Die Diskussionen werden in den kommenden Wochen fortgeführt." Von konkreten Maßnahmen war ebenso wenig die Rede wie vom möglichen Milliardenkredit.

Der IWF verlangt nicht nur, dass die Rückgabe der PrivatBank an Kolomoiskij verbindlich ausgeschlossen wird, sondern dass die Regierung endlich konkret etwas unternimmt, um die mutmaßlich entwendeten Milliarden zurückzuholen. Dem Magazin Novoje Wremja zufolge sprach die IWF-Mission wegen des Themas Privat Bank - Kolomoiskij eigens bei Generalstaatsanwalt Ruslan Rjaboschapka vor, einem Vertrauten Selenskijs.

Die Generalstaatsanwaltschaft verfügt bereits seit drei Jahren über Belastungsmaterial, das nach Meinung der Zentralbank den Milliardenbetrug bei der PrivatBank belegt. Kolomoiskij und Bogoljubow bestreiten jedes Fehlverhalten. Doch ein hohes englisches Gericht sah bei der PrivatBank unter Kolomoisky und Bogoljubow "Betrug im epischen Ausmaß". In London wird 2020 gegen die Oligarchen verhandelt. In der Ukraine ist davon keine Rede, erst recht nicht von Anklagen wegen Betrugs oder Untreue gegen die Oligarchen oder ihre Ex-Manager.

1800 Aktenordner Ermittlungsmaterial hat die nationalen Anti-Korruptionsbehörde zu durchsuchen

Generalstaatsanwalt Rjaboboschapka soll den IWF-Gesandten versichert haben, der Fall PrivatBank stehe ganz obenan. Im Gegensatz dazu stehen allerdings Aussagen von Artjom Sytnik, Direktor des eigentlich die Korruption hoher Staatsdiener bekämpfenden Anti-Korruptions-Büros Nabu. Sytnik erklärte, die Generalstaatsanwaltschaft stelle bereits zum 20. November alle Ermittlungen in Sachen PrivatBank ein. Darauf habe er sich mit Rjaboschapka geeinigt. Der Generalstaatsanwalt übergebe fast 1800 Aktenordner Ermittlungsmaterial der nationalen Anti-Korruptionsbehörde, sagte Sytnik. Die Generalstaatsanwaltschaft und Nabu ließen Anfragen zu den Gründen für fehlende Anklagen gegen Kolomoiskij&Co unbeantwortet.

Präsident Selenski geht mittlerweile rhetorisch auf Distanz zu Kolomoiskij. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: Kolomoiskijs langjähriger Anwalt Andrij Bohdan ist Stabschef des Präsidenten. Im August machte Selenskij Dmitrij Dubilet, den Sohn von Kolomoiskijs langjährigem PrivatBank-Direktor, zum "Minister des Ministerrates" - ein Schlüsselposten der Selenskij-Administration. Und am 28. Oktober wurde Selenskijs Chefberater Sergej Schefir gefilmt, als er per staatlichem Dienstwagen zu einem nächtlichen Geheimtreffen mit Kolomoiskij fuhr.

Der Oligarch geht derweil in die Offensive: Mitarbeiter eines Stahlwerkes Kolomoiskijs und Bogoljubows demonstrieren seit Wochen lautstark vor dem Sitz der verstaatlichen PrivatBank und vor der Zentralbank NBU und fordern wegen angeblicher verletzter Arbeiterrechte etwa den Rücktritt von NBU-Direktor Jakiw Smolii. Auch der Direktor der verstaatlichten PrivatBank. Der slowakische Banker Petr Krumphanzl ist Kolomoiskij und seinen Alliierten ein Dorn im Auge. Denn die Bankchefs treiben vor Gerichten in London, Genf und im US-Bundesstaat Delaware milliardenschwere Klagen gegen Kolomoiskij und seine Geschäftspartner voran. Dies zumindest ist ganz im Sinn des IWF. Kein Wunder, dass Kolomoiskij vor einigen Tagen dafür plädierte, die Ukraine solle alle Kreditgespräche mit dem Kreditgebern aus Washington abbrechen.

© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Verbraucherschutz
:Überraschender Schritt zur europäischen Sammelklage

In der EU sollen Verbraucherverbände künftig im Namen geschädigter Konsumenten grenzüberschreitend aktiv werden können. Doch nicht alle sind glücklich über die Einigung.

Von Karoline Meta Beisel und Björn Finke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: