Konjunktur:Deutsche Wirtschaft trotzt dem Bankenbeben

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Die Energiepreisbremsen haben die Inflation gesenkt und somit die Kaufkraft der Verbraucher gestärkt, sagt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. (Foto: imago premium/Westend61)

Anders als befürchtet wachse die Wirtschaft in diesem Jahr leicht, erwarten Konjunkturforscher. Die Inflation normalisiert sich. Aber es gibt noch ein paar Risiken.

Von Alexander Hagelüken

Die deutsche Wirtschaft stürzt in diesem Jahr anders als lange prophezeit nicht in eine Rezession. Das erwarten jedenfalls die führenden Konjunkturinstitute. Sie sagten am Mittwoch trotz Energieschocks, Inflation und Bankenbebens sogar ein leichtes Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent voraus. Wichtig für alle Bürger: Die Teuerungswelle geht demnach bis zum nächsten Jahr zurück. Damit würde Deutschland mit einem blauen Auge aus den zahlreichen Bedrohungen herauskommen. Es gibt allerdings ein paar Gefahren, die die Lage verschlimmern könnten.

Warum das große Drama ausblieb

"Die gravierenden Abwärtsrisiken sind nicht eingetreten", sagt Achim Truger der Süddeutschen Zeitung. Der Ökonom von der Uni Duisburg-Essen legte kürzlich mit dem Sachverständigenrat der Bundesregierung eine ähnliche Prognose vor. "Positiv ist, dass es keinen Gasmangel gab, der Teile der Produktion stillgelegt hätte", sagt er. Die Menschen konsumieren mehr als gedacht. Allerdings fällt die wirtschaftliche Erholung zunächst schwach aus. Die Inflation reduziert die Einkommen und bremst so den Konsum - und die gestiegenen Leitzinsen lassen die Baubranche einbrechen.

Noch im vergangenen Herbst hatten die vier führenden Konjunkturinstitute Ifo, IfW, IWH und RWI angenommen, die Wirtschaft schrumpfe dieses Jahr um 0,4 Prozent. Das war vor dem Winter mit möglichem Gasmangel - und vor der Gas- und Strompreisbremse der Bundesregierung. "Die Energiepreisbremsen haben die Inflation gedrückt, die Kaufkraft der Verbraucher gestärkt - und so die Konjunktur gestützt", sagt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Nun gibt es neuen Schwung: Die Nettolöhne steigen dieses Jahr vor allem durch die zahlreichen Tarifabschlüsse um sieben Prozent, so das Frühjahrsgutachten der Institute. Von der zweiten Jahreshälfte an steigen die Einkommen schneller als die Preise, weshalb die Menschen mehr konsumieren dürften. Die Industrie profitiert von sinkenden Energiepreisen, besonders energieintensive Branchen wie die Chemie, die ihre Produktion 2022 um volle 20 Prozent reduzierte. Und es gibt weitere positive Faktoren für alle Betriebe: geringerer Krankenstand, weniger Lieferengpässe, mehr Wachstum in China. Die große Frage ist: Werfen die Turbulenzen an den Finanzmärkten alles über den Haufen?

Wie die Finanzunruhe wirkt

Seit der Pleite mehrerer kleiner US-Banken und der Notübernahme der Credit Suisse durch den Rivalen UBS befürchtet mancher eine neue Finanzkrise. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat gerade simuliert, dass eine neue Bankenkrise Deutschland in eine Rezession stürzen würde. Das IW nimmt dabei einen zehnprozentigen Verlust an den Börsen 2023 und weniger Investitionen durch weniger Kredite der Banken an. Das würde die deutsche Wirtschaft dieses und nächstes Jahr zusammen 2,5 Prozent Wachstum kosten.

Allerdings betont das Institut, dass es diese Entwicklung nur mal theoretisch durchspielt, jedoch nicht davon ausgeht. Auch die Konjunkturinstitute gehen in ihrem Gutachten nicht davon aus, dass das Bankenbeben die Konjunktur dämpft. "Wir rechnen nicht mit einer Kreditklemme", sagt Wollmershäuser vom Ifo. In einer aktuellen Umfrage des Instituts meldeten deutsche Banken, sie gäben bereitwilliger Kredite als noch Ende 2022. "Das europäische Bankensystem ist auf Kursverluste der Staatsanleihen vorbereitet."

Der Wirtschaftsweise Achim Truger verweist auf die Probleme, die die steigenden Zinsen etwa bei Gewerbeimmobilien verursachen: "Das Risiko einer Kreditklemme ist größer geworden. Und wenn es zu einer solchen Klemme kommt, wäre eine Rezession unvermeidlich." Aber auch der Sachverständigenrat hält eine Kreditklemme für so unwahrscheinlich, dass er in seiner Prognose keine Schäden für die Konjunktur durch das Bankenbeben unterstellt. "Die jetzige Krise ist überhaupt nicht vergleichbar mit der Finanzkrise 2007/2008", sagt Truger. "Damals wusste niemand, wer überhaupt noch werthaltige Papiere in der Bilanz hat. Das Vertrauen war weg." Diesmal gehe es um mögliche Liquiditätsprobleme der Banken, was beherrschbarer sei. "Und die Politik reagiert ja schon."

Wann gibt es endlich Wachstum?

Wenn das Bankenbeben nicht die Konjunktur verhagelt, könnte die deutsche Wirtschaft nächstes Jahr mal wieder halbwegs ordentlich wachsen. Plus 1,3 Prozent erwartet der Sachverständigenrat, mit plus 1,5 Prozent rechnen die Konjunkturinstitute. Die Industrie hat ein dickes Auftragspolster, sie dürfte sich weiter erholen. Am Bau erwarten die Institute ein Ende der Talfahrt. Keine Frage, die höheren Zinsen werden auch dann wehtun. Es gibt aber Faktoren, die den Bau stützen. Etwa den nach wie vor enormen Bedarf an zusätzlichen Wohnungen - oder die energetische Sanierung aus Klimagründen.

1,5 Prozent mehr Wachstum 2024, das wäre besser als die Fast-Stagnation in diesem Jahr. Als Aufschwung nach den schwierigen Corona- und Energiekrisejahren hört sich das jedoch ziemlich mau an. Das könnte ein Vorgeschmack darauf sein, dass die deutsche Wirtschaft künftig schwächer wächst. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erwarten Konjunkturforscher nur ein durchschnittliches Wachstum von gut einem halben Prozent pro Jahr. Denn Alterung und Fachkräftemangel drücken auf die Konjunktur, warnt Timo Wollmershäuser. Und wenn die Wirtschaft jetzt klimafreundlich umgebaut wird, werde der Kapitalstock ja nicht erweitert, was Wachstum generieren würde, sondern nur ersetzt, etwa bei der Stromproduktion: Kohle, Gas und Atom raus, erneuerbare Energien rein. Die Hoffnung ist, dass die deutsche Wirtschaft durch den Umbau einen Technologievorsprung erwirbt und weltweit neue Leitmärkte erobert. Ob das geschieht, wisse aber noch keiner, so Wollmershäuser.

Zum größten Treiber der Konjunktur im nächsten Jahr dürfte der Konsum werden, weil die Löhne stark steigen. Und weil sich die Inflation laut Vorhersage beruhigen soll. Wie genau werden sich die Preise entwickeln?

Und die Inflation?

Die Konjunkturinstitute erwarten, dass die Teuerung dieses Jahr hoch bleibt: Bei sechs Prozent, etwas geringer als 2022. Zwar sinken die Energiepreise. Sie hatten, ausgelöst durch den russischen Überfall auf die Ukraine, zusammen mit den Nahrungspreisen die hohe Inflation ausgelöst. Aber inzwischen setzt sich die Teuerung in den anderen Bereichen der Wirtschaft fest. Dafür steht, dass die sogenannte Kernrate der Inflation, bei der die oft schwankenden Energie- und Nahrungspreise herausgerechnet werden, laut Prognose sogar höher ausfällt als die normale Inflation.

Timo Wollmershäuser macht dafür auch die Strom- und Gaspreisbremse und die anderen Entlastungen der Regierung verantwortlich. Einerseits stützen sie die Konjunktur. Dadurch, dass sie die Nachfrage hochtreiben, trieben sie aber die Preise hoch. Denn die Nachfrage treffe auf ein Angebot der Wirtschaft, das durch Lieferkettenprobleme, Materialengpässe und Fachkräftemangel zumindest noch eine Zeit lang begrenzt sei. Die Kernrate der Preise bleibe auch 2024 mit 3,3 Prozent noch höher als die normale Inflation (2,4 Prozent). Aber natürlich wäre der Trend für die Bürger eine willkommene Normalisierung, wenn die Prognose eintrifft.

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Durch die Löhne erwartet Wollmershäuser keinen starken Druck auf die Preise. "Nur wenn Lohnerhöhungen von zehn Prozent im Jahresvergleich vereinbart würden, dann wäre das ein neuer Kostenfaktor, der die Inflation treiben würde. Danach sieht es nicht aus." Damit sich die Inflation wirklich normalisiert, sieht Wollmershäuser zwei Bedingungen: Weitere Zinsschritte der Europäischen Zentralbank um bis zu ein Prozent, um der Teuerung entgegenzuwirken. Und keine weiteren großen fiskalischen Programme der Regierung.

Achim Truger vom Sachverständigenrat warnt, zu große Zurückhaltung der Regierung könne auch negative Folgen haben. "Wenn die Bundesregierung auf einen Sparkurs umschwenken sollte, kann es einen Nachfrageausfall geben, der auf die Konjunktur drückt. Die Finanzpolitik darf nicht zu schnell konsolidieren. Die Kommunen verschieben schon bestimmte Investitionsprojekte."

Truger kritisiert, die Bundesregierung habe sich unnötig ihrer finanziellen Spielräume beraubt. "Hätte sie die kalte Progression bei der Steuer nicht so zeitig und großzügig ausgeglichen, hätte sie zehn Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Und hätte sie für 2023 noch mal die Ausnahmeregel der Schuldenbremse gezogen, wie es der Sachverständigenrat für sinnvoll hielt, hätte sie 40 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Stattdessen hat sie eine Fiskalklippe geschaffen, von der sie herunterfallen kann."

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