Tarifrunde:IG Metall fordert bis zu acht Prozent mehr Lohn

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Beschäftigte der Salzgitter AG bei einem Warnstreik Anfang Juni. Die IG Metall sei bereit zu einem Streik, sagt ihr Chef Jörg Hofmann. (Foto: Moritz Frankenberg/dpa)

Die Gewerkschaft bestreitet, mit der angepeilten Lohnerhöhung die Inflation anzuheizen. Die Arbeitgeber warnen dagegen vor überzogenen Abschlüssen für vier Millionen Beschäftigte in der Industrie.

Von Alexander Hagelüken

Die größte Tarifrunde des Jahres beginnt mit einem Paukenschlag. Der Vorstand der IG Metall empfahl am Montag, sieben bis acht Prozent mehr Lohn zu fordern. Die angepeilte Erhöhung bezieht sich auf 2022 und 2023, weshalb die Gewerkschaft abstreitet, damit die Inflation zu verstärken. Die Arbeitgeber lehnen dagegen wegen wirtschaftlicher Unsicherheit hohe Lohnabschlüsse ab.

Die Tarifrunde für vier Millionen Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie wird mit Spannung erwartet. Manche Ökonomen befürchten, dadurch könnte die Inflation von aktuell knapp acht Prozent weiter angefacht werden. In den 1970er-Jahren gab es Lohn-Preis-Spiralen, bei denen sich Preissteigerungen und Lohnerhöhungen gegenseitig hochschaukelten.

Arndt Kirchhoff, Vizepräsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, forderte bereits am Sonntag Augenmaß: "Ich kann nur eindringlich davor warnen, durch überzogene Lohnabschlüsse im für die deutsche Volkswirtschaft bedeutendsten Industriezweig die Inflation noch weiter anzuheizen."

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann weist das zurück: "Wir lösen keine Lohn-Preis-Spirale aus", sagte er in einem SZ-Interview. Darin erklärte er, wie sich die Lohnforderung zusammensetzt, die 2022 und 2023 abdecken soll. So veranschlagt Hofmann die jährliche Steigerung der Produktivität auf 1,1 Prozent. Diese drückt etwa aus, wie viel mehr Autos ein Arbeiter dank besserer Organisation und Technik herstellt als im Jahr zuvor. Dazu addiert Hofmann eine Umverteilungskomponente, weil die Firmen der Branche gut verdienten. Und die zwei Prozent Preissteigerung, die die Europäische Zentralbank anpeilt, die aber weit unter der aktuellen Teuerungsrate liegt. Für zwei Jahre gerechnet kommt man so auf mindestens sieben Prozent.

"Wir haben das Wohl des ganzen Landes im Blick", behauptet Hofmann. "Das sehen Sie schon daran, dass wir die zwei Prozent EZB-Zielinflation zum Maßstab nehmen und nicht die aktuelle Inflation von fast acht Prozent. Denn dann wäre unsere Forderung zweistellig." Es könne aber nicht sein, dass die Arbeitnehmer die Inflation alleine ausbadeten.

Seit die Verbraucherpreise hochschießen, haben die meisten Beschäftigten in Deutschland nach Abzug der Inflation ein Minus. 2021 stiegen die Tarifverdienste im Schnitt um 1,7 Prozent, die Verbraucherpreise aber um 3,1 Prozent. Dieses Jahr könnte das Minus bei einer Jahresteuerung von sieben Prozent drastischer ausfallen. Auch für 2023 wird überdurchschnittliche Inflation erwartet.

Die Arbeitgeber verweisen dagegen auf die wirtschaftliche Unsicherheit. "Der Russland-Ukraine-Krieg und die Null-Covid-Politik Chinas belasten das wirtschaftliche Umfeld schwer", erklärt Bertram Brossardt, Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Eine Lohnerhöhung von bis zu acht Prozent bedrohe zahlreiche Arbeitsplätze. "Die Lage in der Metall- und Elektro-Industrie schön zu reden, ist verantwortungslos", sagt Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf nach der Metaller-Forderung. "Die Unternehmen produzieren heute 15 Prozent weniger als noch 2018."

Jeder zweite Betrieb muss Investitionen reduzieren oder verschieben, so eine Umfrage des Verbands. Demnach sieht sich jeder fünfte Betrieb wirtschaftlich gefährdet. Dabei drückten vor allem die Preissteigerungen, die nur ein Prozent der Betriebe voll an die Kunden weitergeben könne.

Die detaillierten Zahlen zeigen allerdings ein optimistischeres Bild. So geben 25 Prozent der Firmen an, die Preissteigerungen ausreichend weiterzugeben, gut 50 Prozent in geringem Umfang - und 12 Prozent wissen es noch nicht. Das unterscheidet sich gar nicht so sehr von einer Umfrage der IG Metall unter Betriebsräten.

Keine klassische Lohnerhöhung mehr seit 2018

Die Gewerkschaft weist darauf hin, dass die Industrie so viele Aufträge habe wie noch nie. Auch machten die Firmen gute Gewinne. Die Metallbetriebe im Dax-Index hätten 2021 6,5 Prozent Nettoumsatzrendite gehabt - doppelt so viel wie im Vor-Corona-Jahr 2019. Breche die Wirtschaft unerwartet ein, etwa wegen eines Gas-Lieferstopps, könne man in der Tarifrunde Rücksicht nehmen. Ansonsten aber brauche es "eine kräftige Lohnerhöhung", so Jörg Hofmann.

Die IG Metall hat seit 2018 keine klassische Lohnerhöhung mehr herausgehandelt. Teils hielt sie sich wegen der Corona-Krise zurück. Teils konzentrierte sich sie auf Einzelzahlungen, die etwa einen Lohnausgleich für kürzere Arbeitszeiten finanzieren sollen. Nach Darstellung der Unternehmen bedeutete dies seit 2018 knapp zehn Prozent mehr Geld für die Beschäftigten.

Arbeitgeber Kirchhoff pocht auf ein differenziertes Tarif-Ergebnis. Dies müsse den vielen Betrieben gerecht werden, die in einer tiefen Krise steckten. Aber auch jenen Firmen, die die schwierigen Zeiten insgesamt zwar noch gut bewältigten, aber vor gravierenden strukturellen Umbrüchen stünden. Die Transformation zur Dekarbonisierung und Digitalisierung beschäftigt die Industrie schon länger.

Entlastungspaket soll helfen

Arbeitgeber und Gewerkschaften sind sich aber auch bei etwas einig: Dass die Bundesregierung ihre Tarifrunde vereinfacht, wenn sie den Bürgern durch ein weiteres Entlastungspaket für die hohen Preise hilft. "Wir können nicht alles über die Tarifpolitik lösen", sagt Gewerkschaftsboss Hofmann. "Die Regierung muss noch mehr als bisher gegen die Inflation tun." Die IG Metall fordert unter anderem eine Strompreisgrenze und einen Gaspreisdeckel. Außerdem soll es einen weiteren Energiezuschuss geben. Kirchhoff sagt: "Es ist gut, dass die IG Metall anerkennt, dass Tarifpolitik exogene Preisschocks, wie wir sie gerade erleben müssen, nicht ausgleichen kann". Er erwarte von der Bundesregierung, dass sie jetzt auf die Inflation mit erheblichen Entlastungen reagiere.

Wie geht es weiter? Über den Vorschlag des IG-Metall-Vorstands beraten nun die Bezirke. Die endgültige Lohnforderung kommt im Juli. Gewerkschaftschef Hofmann zeigt sich entschlossen: "Die IG Metall ist bereit zum Streik."

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