Krieg, Inflation, Rezession:Ist das noch Krise?

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"Wir sind in der Mitte des Sturms", sagt Margret Suckale in der Debatte unter anderem mit Emirates-Chef Tim Clark. (Foto: Johannes Simon)

Deutschland und Europa werden gestärkt aus allen Problemen hervorgehen, sagt der Kanzler. Aber wie sehen das Managerinnen und Ökonomen?

Von Max Hägler, Berlin

Es ist die große Frage: Wo steht eigentlich das Land, wo steht Europa gerade? Sind wir noch inmitten eines perfekten Sturms, in dem die Ausläufer der Corona-Seuche zusammentreffen mit einem großen Krieg auf europäischem Boden, 30 Jahre nach dem letzten Krieg, jenem im zerfallenden Jugoslawien? Werden Inflation, Rezession, Strom- und Gasmangel und vielleicht auch die militärische Bedrohung die Gesellschaft - samt der Wirtschaft - niederstrecken auf lange Jahre? Oder ist da doch Licht am Horizont? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat da den Optimismus beschworen, soweit sein hanseatisches Gemüt es eben ermöglicht. Zu Recht? Die Wissenschafts- und Wirtschaftsmenschen aus Dubai und Turin, Amsterdam, München und Berlin, die direkt danach beisammensitzen, haben Scholz genau zugehört. Zweifel äußern sie, aber auch viel Zuversicht.

Was denkt die Wissenschaft?

Clemens Fuest ist einer der Mahner. Das von ihm geleitete Ifo-Institut veröffentlicht alle paar Wochen Konjunkturdaten, und die sehen in diesen Monaten nicht gut aus: Zweistellige Inflationsrate bis zum kommenden Frühjahr, immerhin geht er nicht von einem 20-Prozent-Szenario aus. Aber was, wenn doch das Gas ausgehe, auch wenn der Bundeskanzler sich so optimistisch gibt? Er werde, sagt Fuest, ja immer mal gefragt, wieso er überhaupt solche Negativzahlen veröffentlichen müsse: "Das zieht die Leute runter", höre er da.

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Aber das sei nun mal der Job eines Wirtschaftswissenschaftlers, zumal es im Land sowieso viel zu wenig harte Liveinformationen gebe, um die Krisen einschätzen zu können, sagt der Wirtschaftswissenschaftler aus München. Niemand wisse so genau, wie es um die Energieversorgung steht, keiner habe einen guten Überblick über die Wertschöpfungsketten in der Industrie: Was passiert, wenn dieses und jenes ausfällt? "Uns fehlen Daten", sagt Fuest. Und weil zugleich die kurzfristigen Krisen zu bewältigen seien, gerate das Langfristige aus dem Blick. Sein Beispiel: Man baue nun Flüssiggas-Terminals, aber vergesse, dass die Stromerzeugung angesichts der Elektromobilität unter fundamentalen Stress kommen werde. Quasi die Krise von übermorgen.

Was sagt die Mobilitätsindustrie?

"Wir sind in der Mitte des Sturms", sagt Margret Suckale. Aber die frühere Bahn-Vorständin und heutige Multi-Aufsichtsrätin setzt einen deutlich anderen Akzent als Fuest, ist einigermaßen auf Scholz-Linie: Ja, es gebe manche Probleme beim Krisenbewältigen, etwa eine Überregulierung. Und man müsse vor allem eine drohende soziale Spaltung verhindern. Aber es gelte doch immer auch das Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeiung - also mehr Selbstvertrauen und damit auch Vertrauen in die Wirtschaft, mahnt Suckale. Es gelte insofern, die Stärken der deutschen Unternehmen weiter herauszuarbeiten, die ja zumeist eine "intrinsische Motivation" hätten, die Krise zu bewältigen.

Ihr Kollege Tim Clark, Vorstandschef der Fluglinie Emirates, sagt: Was derzeit ablaufe, sei das größte Wirtschaftsdrama, das er je gesehen habe; seine größte Furcht aber sei etwas anderes: ein Atomkrieg. Und dennoch sei er zuversichtlich: "Wir kommen schon durch!" Clarks Wort hat Gewicht, allein schon wegen seiner langen Erfahrung: 73 Jahre alt ist der Brite, der in Dubai wohnt. Sein Argument: Er erlebe eine enorme "Resilienz", bei den Firmen, bei vielen Menschen, in der Politik, aber auch bei vielen Kunden. Noch nie in der Geschichte von Emirates habe es so viel Nachfrage nach Flugreisen gegeben wie im Moment, trotz recht hoher Preise. "Ein Boom in allen Segmenten", trotz aller Krisen. Das sei auch eine Folge der Globalisierung.

Was sagt die Finanzindustrie?

Steven van Rijswijk erinnert daran, was wirklich Krise ist: Zuerst, sagt der Vorstandschef der niederländischen ING-Bank, seien da die Menschen in der Ukraine. Und dann seien da jene, die unter der Inflation litten, auch unter den gestiegenen Lebensmittelpreisen in Gegenden, die man in Europa gar nicht im Blick habe. Und schließlich sei da die allergrößte Herausforderung: die Klimakrise.

Durch den Ukraine-Krieg gebe es Bedarf für kurzfristige Lösungen der Energiefrage, sagt van Rijswijk und nimmt Bezug auf Scholz' Pläne für Flüssiggas-Terminals. Aber was bedeuteten diese Investitionen in fossile Infrastrukturen mittel- und langfristig? Wie bekomme man einen Umbau in energieintensiven Industrien hin? Wie kommen radikaler Klimaschutz und traditionelle Branchen auf einen Nenner? "Ich mache mir darüber Sorgen."

Sein Kollege Andrea Sironi, Verwaltungsratspräsident der Generali-Versicherung und Präsident der Bocconi-Universität in Mailand, sagt: Die wirtschaftliche Lage in Europa im Moment sei immer noch schlecht, aber ein Höhepunkt sei absehbar. Im nächsten Frühjahr. Danach werde die Inflation sinken, um fünf oder sechs Prozentpunkte, so der Finanzwissenschaftler, der aber eingesteht, auch keine Kristallkugel zu haben. Doch sehe er in Italien wie in Deutschland, wie man sich von russischem Gas lösen könne, dem Faktor, der die Wirtschaft in die Krise stürzte. Und zugleich gebe es im Kampf gegen die Klimakrise durchaus eine Chance: Allein die Versicherungswirtschaft verwalte Vermögen von elf Billionen Euro. Geld, das eine "entscheidende Rolle" bei einer grünen Transformation spielen könne.

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