SZ-Wirtschaftsgipfel:Scholz wirbt für Handelsabkommen mit den USA

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Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnet den SZ-Wirtschaftsgipfel. (Foto: Friedrich Bungert)

Der Bundeskanzler sorgt sich, dass es zu einem Zollkrieg kommen könnte. Er wirbt für ein Industriezollabkommen - und appelliert an die Wirtschaftsbosse, "Veränderungsbereitschaft" an den Tag zu legen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Als der Bundeskanzler im Hotel Adlon eintrifft, hat er zumindest eine leidige Angelegenheit vom Tisch. Die Gaspreisbremse, zentrales Instrument für den Krisenwinter, soll nun bereits rückwirkend auch für die ersten beiden Monate des kommenden Jahres gelten. Ursprünglich sollte sie erst von März an greifen. Vehement hatten Länder und Opposition aber das Schließen der "Winterlücke" gefordert. Am Dienstagmorgen, kurz vor Beginn des SZ-Wirtschaftsgipfels, hat die Bundesregierung den Konflikt dann abgeräumt. Olaf Scholz, der den Gipfel eröffnet, kommt das zupass.

Seine Rede ist aber erst einmal geprägt von seiner Südostasien-Reise vergangene Woche. Vor dem G-20-Gipfel auf Bali hatte Scholz Vietnam und Singapur besucht, zwei sehr unterschiedliche wirtschaftliche Kraftzentren der Region. Einige Erkenntnisse dieser Reise wolle er teilen, sagt Scholz zu Beginn. "Eine zunehmend multipolare Welt sortiert sich gerade fundamental neu", sagt er, eine Entwicklung, die nirgendwo deutlicher zu beobachten sei als in Südostasien. Die weltweiten Kräfteverschiebungen und was sie für die Menschen in Deutschland bedeuten sind das große Thema, das sich Scholz für seine Kanzlerschaft vorgenommen hatte - lange vor dem russischen Überfall auf die Ukraine und seiner Zeitenwende-Rede im Bundestag. Es ist daher eine Art Grundsatzrede, die Scholz ins Adlon mitgebracht hat und die am Ende im Appell an die versammelten Wirtschaftsvertreter mündet, "Veränderungsbereitschaft" an den Tag zu legen.

Olaf Scholz und Wladimir Klitschko sprechen nacheinander auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Vorbei, das macht Scholz gleich am Anfang klar, sind die glücklichen Zeiten, in denen Europäer und Nordamerikaner das Beste aus allen wirtschaftlichen Welten genießen konnten: stabiles Wachstum, niedrige Inflation und hohe Beschäftigungsraten. Diese "ökonomische Ausnahmelage" habe keinen Bestand haben können, findet Scholz. "Russlands Krieg und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie mögen ihr Ende beschleunigt haben. Der Auslöser dafür aber waren sie nicht", erklärt er. Jahrzehntelang hätten Länder wie Vietnam und Indonesien relativ günstig Güter vor allem für den europäischen, nordamerikanischen und zunehmend auch für den chinesischen Markt produziert. Mittlerweile aber seien dort eine Milliarde Menschen in die Mittelklasse aufgestiegen - mit entsprechender Kaufkraft. Aus Sicht von Scholz ist das eine der tieferen Ursachen für die Inflation, aber eben auch die große Erfolgsgeschichte, die die Globalisierung geschrieben hat.

"Die De-Globalisierung ist ein gefährlicher Holzweg"

Nicht zum ersten Mal outet sich Scholz als großer Anhänger und vor allem auch Verteidiger der Globalisierung. "Die De-Globalisierung ist ein gefährlicher Holzweg. Nicht nur, weil weite Teile der Welt diesen Weg nicht mitgehen würden", warnt er. Deutschland und Europa mit ihrer hoch technologischen und exportorientierten Wirtschaft seien auf die internationale Arbeitsteilung angewiesen. Ziel müsse mehr Handel mit den aufstrebenden Regionen der Welt sein, "natürlich zu fairen Regeln". Aus den Worten des Kanzlers spricht Sehnsucht nach einer Renaissance der Freihandelsabkommen. Scholz tastet sich - wenn auch vorsichtig - nach dem Scheitern von TTIP während der Trump-Regentschaft an einen neuen Anlauf für ein Abkommen mit den USA heran.

Die Idee eines Industriezollabkommens mit den USA "sollten wir uns noch einmal sehr genau anschauen", bittet Scholz. Schließlich sei solch ein Abkommen allemal besser, "als ein Überbietungswettbewerb bei Subventionen und Schutzzöllen, wie manche ihn in Folge des amerikanischen Inflation Reduction Act auf uns zukommen sehen". Das neue US-Gesetz zur Bekämpfung der Inflation sieht massive Subventionen für die US-Industrie vor und ist deshalb in der Europäischen Union auf scharfe Kritik gestoßen. Scholz treibt die Sorge vor einem Handelskrieg mit den USA um in einer Zeit, in der Amerikaner und Europäer alle Kräfte benötigen, um dem russischen Krieg gegen die Ukraine das Notwendige entgegenzusetzen.

"Dieser Fehler passiert uns kein zweites Mal"

Als Lehre aus dem russischen Angriffskrieg und dem Missbrauch von Energie als Waffe durch Kremlchef Wladimir Putin bekräftigt Scholz auch sein Bekenntnis zur Diversifizierung. Schließlich habe man erlebt, "was es heißt, sich bei einer strategisch entscheidenden Ressource wie Gas zu sehr in Abhängigkeiten zu begeben". Seine Wahrnehmung aus Gesprächen mit deutschen Wirtschaftsvertretern sei: "Dieser Fehler passiert uns kein zweites Mal." Konkret heißt das, dass vor allem die Abhängigkeit von China reduziert werden soll durch die Suche nach neuen Bezugsquellen und Absatzmärkten.

Es sei doch eine eigenwillige Perspektive, wenn man übersehe, "dass in Asien nicht nur das eine große Land China ist", sagt Scholz, als er später von SZ-Chefredakteurin Judith Wittwer nach der deutschen Abhängigkeit gefragt wird. Es gebe "viele starke Nationen, die hier gar nicht wahrgenommen werden". Nach dem Aufstieg Japans und Südkoreas sehe man nun den von Vietnam, Indonesien und weiteren Ländern. Der Blick nur auf den "einen" sei falsch. Deutschland müsse die Stärke der globalen Vernetzung nutzen und sich so unabhängiger machen.

Was das für die Wirtschaft bedeutet, verpackt Scholz in eine Art Motivationsrede. Deutsche Unternehmen seien doch "gesuchte Partner", die zum Beispiel die Technologien entwickelten, die weltweit für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft gebraucht würden. Die deutsche Wirtschaft müsse daher "die mit einer multipolaren Welt einhergehenden Veränderungen nicht fürchten - im Gegenteil". Insbesondere preist der Kanzler den Mittelstand. Aufgrund ihrer Größe, ihrer Struktur und ihrer Innovationskraft seien deutsche Unternehmen oft "schneller darin, auf Umbrüche in der Weltwirtschaft zu reagieren und die Chancen der Diversifizierung und der Transformation zu nutzen".

Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch mit Marc Beise und Judith Wittwer (Foto: Johannes Simon/Johannes Simon)

Auch Scholz weiß natürlich, dass die aktuelle Stimmung eher eine andere ist und eher zum nasskalten Wetter in Berlin passt. "Wir werden dafür sorgen, dass Deutschlands Wirtschaft, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland die schwierige Zeit übersteht", verspricht er. In dem Zusammenhang preist er wenig überraschend die Gaspreisbremse, verspricht aber auch das Anpacken struktureller Probleme wie des Fachkräftemangels. Die veränderte Welt setze Veränderungsbereitschaft in Deutschland voraus, beendet der Kanzler sein Plädoyer. Seiner Beobachtung in den vergangenen Monaten nach gebe es die aber. Und das, versichert Scholz zum Schluss, mache ihm Hoffnung.

Auf Nachfrage weigert sich der Kanzler dann auch, darüber zu sprechen, dass die Deutschen durch die Krise ärmer würden. "Als Kassandra habe ich mich noch nie besonders wohl gefühlt", sagt er. Man solle doch bitte die "große Leistung, die wir in Deutschland gerade zustande gebracht haben und weiter zustande kriegen werden, nicht klein reden". Alle hätten erwartet, dass Deutschland ohne russisches Gas in größte Schwierigkeiten geraten werde. Das aber sei nicht eingetreten. Von seinen Reisen wisse er: "Alle sind schwer beeindruckt, was wir gemacht haben, wie schnell wir es gemacht haben und dass wir es tatsächlich geschafft haben."

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