Geldpolitik:Der Kampf gegen Inflation ist schwerer als gedacht

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Der Palácio Nacional da Pena ist ein Schloss in der portugiesischen Stadt Sintra. Es inspirierte Ludwig II. von Bayern zum Bau von Schloss Neuschwanstein. (Foto: imago classic/IMAGO/robertharding)

Notenbanker diskutieren auf dem EZB-Forum in Portugal die Frage, wann und wie der Preisanstieg zu bremsen ist. Die Unsicherheit ist groß. Und einige räumen sogar Fehler ein.

Von Markus Zydra, Sintra

Lange Zeit galten Notenbanker als letzte Retter, die stets mit einer guten Lösung aufwarten, wenn die Welt in eine ökonomische Katastrophe rutscht. Diese Gewissheit scheint vorbei zu sein, und das bei einem Problem, dessen Behandlung die Kernaufgabe der Währungshüter darstellt: der Kampf gegen die hohe Inflation. "Es ist unwahrscheinlich, dass eine Zentralbank in naher Zukunft mit absoluter Überzeugung erklären kann, dass die Leitzinsen ihren Höchststand erreicht haben", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde zur Eröffnung des EZB-Notenbankforums in Sintra. Die portugiesische Stadt ist zum zehnten Mal Gastgeber dieses Treffens.

Lagardes verklausulierte Worte offenbaren die Unsicherheit der Währungshüter, wie stark sich die hohen Preise in den nächsten Monaten und Jahren in alle Wirtschaftsbereiche einnisten werden - und wie stark die Zinsen noch steigen müssen. Im Juli soll der Leitzins von derzeit vier Prozent noch einmal steigen. Was danach kommt? Man weiß es nicht. Die richtige "Höhe" und "Dauer" der hohen Zinsen zu finden, sei "entscheidend", sagte Lagarde - aber das könne man nur ad hoc auf Basis aktueller Daten entscheiden.

Der belgische Notenbankchef Pierre Wunsch ist Mitglied im EZB-Rat. Auch er hat sich aufgemacht in die windige Hügellandschaft Sintras, um Anspruch und Wirklichkeit der Geldpolitik in Einklang zu bringen. Die Inflation in der Eurozone liegt bei 6,1 Prozent, das Notenbankziel liegt bei zwei Prozent. Ist das realistisch? "Wir müssen akzeptieren, dass unsere Fähigkeit, die Inflation bei exakt zwei Prozent zu fixieren, begrenzt ist", sagt Wunsch der Süddeutschen Zeitung. In den vergangenen zehn Jahren sei die Inflation im Euroraum erst zu niedrig gewesen, jetzt sei sie zu hoch. "Wir haben das Ziel von exakt zwei Prozent nicht erreicht. Ich bin für das Inflationsziel von zwei Prozent, aber wir brauchen mehr Spielraum", sagte Wunsch. "Wenn die Inflation bei 2,3 Prozent liegt und die Wirtschaft schwach ist, würde ich die Geldpolitik nicht weiter straffen."

"Die Ölkrise der 1970er Jahre war das letzte Mal, dass die Welt einen solchen Inflationsanstieg erlebt hat. Das ist 50 Jahre her, und es war ebenfalls aufgrund eines Angebotsschocks", sagt Wunsch. Es seien häufiger Finanzkrisen passiert als solch hartnäckige Inflationsschübe. "Solche Dinge passieren also, und so etwas mit unseren Modellen vorherzusehen, ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber wenn es geschieht, muss die Notenbank früh genug auf den Preisschock reagieren. Da hat die EZB rückblickend zu lange gezögert."

In den akademischen Debatten des ersten Veranstaltungstages in Sintra fällt immer wieder das Wort "Demut". Notenbanker diskutieren über die Grenzen ihrer Macht. Sie erleben Dinge, die nicht passieren sollten: Die Arbeitslosigkeit ist trotz der hohen Zinsen immer noch sehr niedrig. Konsumenten, die während der Corona-Pandemie Geld gespart haben, kaufen kräftig ein, obwohl die Preise stark gestiegen sind. Firmen machen hohe Gewinne, weil sie mehr auf ihre Preise draufschlagen, als es die Inflation eigentlich gebieten würde.

"Die realen Löhne steigen nun zurück auf das Niveau des Jahres 2019"

"Die Inflation arbeitet sich durch die Wirtschaft, weil ökonomische Akteure versuchen, die Zusatzkosten auf andere abzuwälzen", sagte Lagarde. Dazu kämen die steigenden Löhne. "Unsere Prognosen sagen, dass die realen Löhne bis Ende 2025 um 14 Prozent steigen werden". Der Wille der Arbeitnehmer höhere Löhne zu bekommen ist verständlich, denn die letzten Jahre sind die Reallöhne gesunken. "Die realen Löhne steigen nun zurück auf das Niveau des Jahres 2019, Arbeiter haben vier Jahre lang kein reales Lohnwachstum erhalten", sagt der belgische Notenbankchef Wunsch, der diesen Prozess für "fair" hält. Seine Sorge sei, die Löhne könnten darüber hinaus noch stärker steigen. Dahinter steckt die Furcht vor eine Lohn-Preis-Spirale. Darin schlagen Unternehmen die höheren Lohnkosten auf die Preise, was wiederum höhere Lohnforderungen nach sich zieht, sprich, die Inflation würde sich selbst nähren.

Die wachsende "Demut" bei der EZB ist auch Folge der späten Reaktion auf die steigenden Inflationsraten. Zu lange dachte die Führungsriege, der Angebotsschock infolge der Produktionsausfälle durch den Corona-Lockdown und die Energieknappheit durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, sei "transitorisch", sprich, er würde vergehen. Man hatte sich an die niedrige Inflation der letzten zehn Jahre gewöhnt, es fehlte daher auch die Vorstellungskraft, dass die Preise plötzlich stark steigen könnten.

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