EZB:Italien macht wieder Sorgen

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Urlauber am Strand von Lido di Camaiore: Nach 2012 beruhigte sich die Lage bei italienischen Staatsanleihen, doch jetzt steigen die Zinsen wieder deutlich. (Foto: IMAGO)

Droht aufgrund der steigenden Leitzinsen eine neue Euro-Schuldenkrise? Die EZB verspricht, gewappnet zu sein.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Ein Hauch von "Whatever it takes" ist seit Tagen an den globalen Finanzmärkten zu spüren. Hintergrund ist die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, im Juli erstmals seit elf Jahren den Leitzins anzuheben. Die Spekulanten machten sich gleich ans Werk, denn höhere Zinsen bedeuten höhere Refinanzierungskosten. Können sich das finanzschwächere Euro-Staaten wie Italien überhaupt leisten?

Die Kredite sind teurer geworden. Inzwischen muss der italienische Finanzminister mehr als vier Prozent bezahlen, um Abnehmer für eine zehnjährige Staatsanleihe zu finden - so viel war es zuletzt im Jahr 2014. Zum Vergleich: Im Mai betrug der Wert noch 2,8 Prozent. Auch in Griechenland und Portugal sind diese Renditen rapide angestiegen.

Deutschland muss zwar auch mehr für die Schuldenaufnahme bezahlen, doch fällt der Anstieg geringer aus. In solchen Momenten wächst sofort die Angst vor einer Wiederholung der Euro-Schuldenkrise 2011/2012. Mit dem "Whatever it takes"-Versprechen 2012 hat der frühere EZB-Präsident Mario Draghi der Euro-Zone einen Rettungsanker zugeworfen. Das Versprechen: Im Notfall würde die Notenbank Staatsanleihen der Mitgliedsstaaten kaufen, um deren Refinanzierung zu sichern. Ist es bald so weit?

EZB-Präsidentin Christine Lagarde wollte sich nach der Leitzinsentscheidung vergangene Woche nicht festlegen. Sie versprach, die EZB werde reagieren, wenn die "Fragmentierung" zunehme. Mit diesem Begriff bezeichnen die Notenbanker eine Situation, in der die Zinskosten für einzelne Euro-Staaten deutlich stärker steigen als die von Deutschland. Die Fachleute sprechen hier vom "Spread", also der Zinsdifferenz. "Wir werden sicherstellen, dass es keine Fragmentierung in der Euro-Zone geben wird", sagte Lagarde und verwies auf einen vorhandenen Geldtopf in Höhe von 1,7 Billionen Euro, der im Notfall für Anleihekäufe zur Verfügung stehe - durch den Ankauf von Schuldscheinen senkt die EZB den Zins. Der Betrag entspricht dem während der Corona-Pandemie angekauften Anleihevolumen. Wenn einer dieser Schuldscheine fällig wird, reinvestiert die EZB diesen Betrag. Sie dürfte das Geld schwerpunktmäßig in italienische Bonds stecken. Lagarde betonte, es gebe keine vordefinierte Zinsdifferenz, bei der die Notenbank eingreifen werde. Man möchte die Märkte im Ungewissen lassen.

Doch die Börsianer mögen nichts weniger als Unsicherheit. Dort fragt man sich: Wo bleibt die große Bazooka? Draghis "Whatever it takes"-Versprechen wurde nie gezogen, allein die Worte des früheren EZB-Chefs wirkten von 2012 an marktberuhigend. Inzwischen gilt dieses Rettungsprogramm mit dem Fachbegriff OMT ( Outright Monetary Transactions, auf Deutsch etwa: geldpolitische Geschäfte ohne Auflagen) allerdings als nicht mehr umsetzbar. Hintergrund ist eine Klausel: Euro-Staaten, die von der Notenbank via OMT gestützt würden, müssten zunächst mit dem Euro-Rettungsschirm ein Kreditprogramm vereinbaren, an das wirtschaftspolitische Bedingungen geknüpft sind. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Euro-Staat sich auf diese Knebelung einlassen würde. Italien wohl schon gar nicht.

Wie soll die Notenbank die Spekulanten einfangen, wenn sie wieder gegen Italien wetten?

Wie soll die Notenbank also die Finanzmärkte einfangen, wenn die Spekulanten plötzlich wieder gegen die Währungsunion wetten? Würden die zur Verfügung stehenden 1,7 Billionen Euro dafür reichen? Was wäre eine Alternative? EZB-Chefin Lagarde hatte nach der Zinsentscheidung gesagt, man werde im Notfall bestehende oder neue Instrumente einsetzen, um eine "Fragmentierung" zu verhindern. Doch konkreter möchte der EZB-Rat nicht werden. Der Grund: Diese Offenheit könne die Investoren geradezu einladen, die Notenbank und ihr Rettungsprogramm zu testen. Also werden die Währungshüter mit Details wohl abwarten, bis der Ernstfall eintritt.

Die Notenbank steckt in der Zwickmühle. Die Inflationsrate in der Euro-Zone liegt mit 8,1 Prozent so hoch wie nie zuvor in ihrer über 20-jährigen Geschichte. Auch in Deutschland haben teures Tanken und höhere Preise für Grundnahrungsmittel wie Brot und Öl die Inflation mit 7,9 Prozent auf den höchsten Stand seit annähernd 50 Jahren getrieben. Die EZB selbst hat prognostiziert, dass auch im nächsten und übernächsten Jahr die Preise stärker steigen werden als zwei Prozent - das ist die Zielmarke der EZB. Der Druck, die Zinsen weiter zu erhöhen, nimmt daher nicht ab. Gleichzeitig sind hohe Leitzinsen gefährlich für die Wirtschaftsentwicklung. Manche Experten rechnen mit einer Rezession - dazu kommt noch die latente Furcht vor einer erneuten Euro-Schuldenkrise.

In dieser Lage könnte eine Kommunikation helfen, in der man sich völlig entspannt gibt. "Es ist eine Tatsache, dass die italienischen Renditen mehr als die der anderen gestiegen sind, mehr als die deutschen", sagte EZB-Ratsmitglied Gediminas Šimkus. "Macht es mir Sorgen? Nach dem, was ich gesehen habe, macht es das nicht", fügte Litauens Notenbankchef hinzu.

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