Industrie:Ab nach Hause mit den Arbeitsplätzen

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Wolsfburg, Home Of Volkswgen

Die Silhouette der VW-Stadt Wolfsburg ist von Fabriken geprägt - doch Industrie ist jahrzehntelang aus Deutschland abgewandert.

(Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Dank der Digitalisierung wird wieder mehr in Hochlohnländern wie Deutschland produziert. Das hilft auch den Arbeitnehmern - aber nur mit der richtigen Politik.

Essay von Alexander Hagelüken

In den Köpfen vieler Deutscher hat sich das Gefühl festgesetzt, dass es für die Arbeitsplätze in der Fabrik nur eine Richtung gibt: Ab ins Ausland. Weil Rumänen oder Chinesen billiger sind. Egal ob bei der Produktion von Textilien, Waschmaschinen oder Mobiltelefonen. Die Beschäftigung in Dienstleistungen, im aktuellen deutschen Boom reichlich entstanden, bietet nicht jedem einen gleichwertiger Ersatz für die Fabrik. Denn neben hochdotierten Spezialistenstellen entstanden massenweise Mäßiglohnjobs. So wird der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft für manchen zum Abstieg.

Die Sehnsucht nach den goldenen Industriejahren des Wirtschaftswunders verklärt zwar den Druck und Dreck mancher, ja: Maloche. Doch sie entspringt einem realen Verlust. Noch in den 60er Jahren arbeiteten die meisten Beschäftigten in der Industrie. Heute ist es nur knapp jeder vierte. Und auch diese Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, befürchten viele.

Wandern nach und nach alle Stellen ab, auch die in Auto- und Maschinenfabriken? Bekommt Deutschland dadurch Millionen Niedriglöhner in McJobs? Eine düstere Aussicht, die angesichts des jetzt schon hohen Arbeiteranteils unter AfD-Wählern politisch brisant ist.

Seit ein paar Monaten häufen sich allerdings Ereignisse, die diese düstere Vision konterkarieren. Da verlegt Bosch die neue Halbleiterfabrik nicht nach Singapur, sondern tätigt die größte Investition der 130-jährigen Firmengeschichte in Sachsen. Da baut der Wilo-Konzern das nächste Pumpenwerk für 100 Millionen Euro nicht in Rumänien, sondern wieder in Dortmund. Und Adidas errichtet eine Sportschuh-Fabrik in Deutschland - das erste Mal seit Jahrzehnten überhaupt.

Drei Thesen:

Die Diagnose:

In den Industriestaaten gibt es immer weniger Industrie

Der Plan:

Die Digitalisierung könnte Produktion zurückbringen

Die Voraussetzungen:

Dafür müssen Unternehmen, Politik und Beschäftigte zusammenarbeiten

Es ist die Digitalisierung, die häufig Entscheidungen für Standorte verändert. Ob die Vernetzung von Fabriken, Roboter oder 3D-Druck, alles kann das Pendel Richtung Inland ausschlagen lassen. Genauso wie der Wunsch, durch die neue Technik Kunden schneller und individueller zu bedienen als bisher. Mancher entwirft schon eine Gegenvision zur Ausbreitung billiger Servicejobs in den Ländern, die doch traditionell Industriestaaten heißen. "Wir haben die Möglichkeit, Europa wieder zu industrialisieren", schwärmt Michael Süss, Verwaltungsratschef des Oerlikon-Konzerns.

Die Unternehmen schätzen wieder die Vorteile der heimischen Produktion

Holt Technik die einst verlagerte Produktion nach Deutschland zurück? Und entstehen dadurch massenhaft gut bezahlte Stellen? Oder lassen sich zumindest die bestehenden Arbeitsplätze in der Industrie auf Dauer hier halten?

Zu solchen Hoffnungen passt, dass der Abwanderungsdrang ohnehin nachgelassen hat. Es wird nicht mehr so stark nach Osteuropa und China verlagert wie in den Neunziger- und Nullerjahren. Rumänen und Chinesen wollen einfach mehr verdienen als einst. Eine Studie der Beratungsfirma Boston Consulting Group ermittelte, dass sich im Reich der Mitte nur noch wenig günstiger fertigen lässt als in den USA - und Brasilien inzwischen teurer kommt als viele Länder Westeuropas. Die große Drohkulisse "Alles geht weg aus Deutschland", sie hat an Dramatik eingebüßt.

Industrie: Illustration: Sead Mujic

Illustration: Sead Mujic

Hersteller wie Märklin erleben, dass die Fertigung in Fernost mitunter die Qualität schuldig bleibt, die Kunden von hochpreisigen Modellzügen erwarten. Die Produktion zumindest teils an den Stammsitz zurückzuholen, verbessert die Qualität. Und es lässt flexibler reagieren, als das bei wochenlangen Schiffstransporten aus Asien möglich ist. Vor zehn Jahren erzeugte das Eisbärenbaby Knut aus dem Berliner Zoo hysterische Nachfragen nach weißen Stoffbären. Die Firma Steiff kam mit Knut made in China nicht hinterher - und besann sich auf die Vorteile heimischer Fertigung.

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