Drama ohne Ende: Der Aktienkurs der Videospiel-Kette Gamestop sprang auch am Montag wild hin und her. Am Nachmittag stand die Aktie mit zwölf Prozent im Minus bei 241 Euro. Vorher war der Kurs binnen weniger Tage von 14 bis auf 285 Euro gestiegen, hatte sich also verzwanzigfacht.
Was zunächst aussieht wie ein Tippfehler, ist durch Finanzwetten entstanden, die aus dem Ruder liefen. 20 Milliarden Dollar (16,6 Milliarden Euro) haben Hedgefonds nach Berechnung der Analyseplattform S3 Partners durch die Attacke der Privatanleger bereits verloren, allein acht Milliarden Dollar sollen es am vergangenen Freitag gewesen sein.
Sprache:Heute schon "gepitcht"?
In der deutschen Wirtschaft wird Kauderwelsch gesprochen - ein Mix aus Anglizismen und pseudophilosophischen Plattitüden. Unternehmensberater prägen die Moden. Doch ein Manager hält dagegen.
Am stärksten litt der Hedgefonds Melvin Capital unter den Kurssprüngen. Er verlor im Januar mehr als die Hälfte seines investierten Vermögens, berichteten Insider: Anfang des Monats waren noch 12,5 Milliarden Dollar ausgewiesen worden, Ende des Monats nur noch gut acht Milliarden Dollar. Darin enthalten ist aber eine Finanzspritze von 2,75 Milliarden Dollar, die Melvin Capital von zwei anderen Hedgefonds, Point 72 und Citadel, bekommen hatte, um die Verluste zu decken. Citron Research, ein auf die Analyse von Leerverkäufen spezialisiertes Unternehmen, schwor seinem Kerngeschäft nun sogar ganz ab, nachdem sich der Hedgefonds seines Gründers Andrew Left mit Wetten gegen Gamestop verspekuliert hatte.
"Hält dich irgendjemand gerade als Geisel?"
Die Hedgefonds hatten mit sogenannten Leerverkäufen darauf gewettet, dass die Kurse von Gamestop und anderen Aktien wie AMC Entertainment oder Nokia fallen. Auf der Online-Plattform Reddit verabredeten sich vor allem junge Privatanleger, mit Aktienkäufen dagegenzuhalten. Sie schafften es, dass die Kurse anfingen zu steigen. Daraufhin mussten sich die Hedgefonds mit Aktien der betroffenen Unternehmen eindecken, um weitere Verluste zu vermeiden, was die Kurse immer weiter trieb - ein klassischer Short Squeeze, wie es im Börsenjargon heißt.
Der Kurs von Gamestop ist nun so unrealistisch hoch, dass die Gefahr eines Absturzes besteht. Oben gehalten werden kann er nur, solange es Käufer gibt, solange also Hedgefonds weiter ihre Verpflichtungen aus den Leerverkaufsgeschäften einlösen müssen. Das Analysehaus S3 Partners geht davon aus, dass die leerverkauften Aktien unter die Grenze von 30 Millionen fallen könnten, deutlich weniger also als noch vor einigen Wochen. Dem Finanzportal Marketbeat zufolge waren es zum 15. Januar 61 Millionen leerverkaufte Gamestop-Aktien.
Am Donnerstag hatte der US-Broker Robinhood wegen der Verwerfungen den Kauf von Gamestop-Aktien und Papieren der anderen betroffenen Unternehmen wie Nokia oder der US-Kinokette AMC gestoppt - sehr zum Ärger der Reddit-Rebellen, weil der Kurs damit eingefroren wurde. Das wiederum verschaffte den Hedgefonds eine Atempause. "Hält dich irgendjemand gerade als Geisel?", fragte Elon Musk seinen Gesprächspartner Vlad Tenev, den Gründer und Chef von Robinhood. Die beiden sprachen am Sonntagabend über die App Clubhouse miteinander, und Musk scherzte nur so halb. Der Tesla-Chef ist so etwas wie die Ikone der selbsternannten "Armee" der Online-Privatanleger.
"Na, wenn das eine Knarre-am-Kopf-Situation gewesen ist ..."
Haben Hedgefonds also Druck auf die vergleichsweise kleinen Broker-Apps gemacht, damit sie die Käufe der Aktien einschränken, gegen die die großen Profi-Fonds gewettet haben? Diese Theorie beschäftigt viele der Privatanleger, die am Donnerstag plötzlich nicht mehr nachkaufen konnten. Tenev bestritt das und antwortete, niemand halte ihn als Geisel: "Danke der Nachfrage."
In der Nacht zu Donnerstag habe sich die National Securities Clearing Corporation (NSCC) bei ihm gemeldet. Dieses sogenannte Clearinghouse, das von der Börsenaufsicht lizenziert ist, sichert die technische Abwicklung von Börsengeschäften und verlangt dafür Sicherheiten. Tenev erzählte, die NSCC habe wegen der vielen Deals durch den Privatanleger-Boom plötzlich drei Milliarden Dollar verlangt. Dabei habe Robinhood bislang überhaupt nur zwei Milliarden Dollar Risikokapital eingesammelt. Um die Forderung der NSCC herunterzuhandeln, bis Robinhood eine zusätzliche Milliarde aufgetrieben hatte, habe man zugesagt, die Verkäufe der betroffenen Aktien einzuschränken. Das Clearinghouse habe sich so besänftigen lassen. Musk, informell im Auftrag der Online-Investoren unterwegs, schien das erst einmal zu genügen: "Na, wenn das eine Knarre-am-Kopf-Situation gewesen ist ..."
Auch eine andere Theorie der wütenden Privatanleger, die gerne die angesagten Aktien nachkaufen wollten, stritt Tenev ab: Das Gerücht, die riesige Finanz- und Hedgefonds-Firma Citadel könnte im Hintergrund Druck auf die NSCC gemacht haben, um den Short Squeeze zu stoppen und die Interessen der Hedgefonds zu schützen. Als sogenannter Market Maker spielt Citadel eine zentrale Rolle bei vielen Börsengeschäften. Ein solcher Marktmacher führt Kauf- und Verkaufsaufträge zusammen und lebt von der Spanne zwischen den An- und Verkaufskursen. Je höher das Handelsvolumen, umso größer sein Gewinn. Über Citadel läuft nicht nur der Großteil von Robinhoods Geschäften, das Unternehmen sprang auch mit der Milliarden-Hilfe für den trudelnden Hedgefonds Melvin Capital ein.
"Wir haben das getan, um unser eigenes System zu stabilisieren"
Auch der Berliner Broker Trade Republic hatte am Donnerstag um 17.30 Uhr den Handel mit Gamestop, AMC Entertainment und Co. gestoppt. "Wir haben das getan, um unser eigenes System zu stabilisieren", sagte eine Sprecherin der SZ. Die Zahl der Orders für diese Aktien sei zu diesem Zeitpunkt so hoch gewesen - mehrere Tausend Aktien pro Minute -, dass die Aufträge das Handelssystem überlastet hätten. "Durch den Stopp haben wir unseren Kunden in der Breite den weiteren Handel an diesem Abend ermöglicht." Der Stopp dauerte knapp fünf Stunden. "Über Nacht haben wir unsere Kapazitäten erheblich erweitert, sodass der Handel in allen Aktien am nächsten Morgen wieder voll möglich war", sagt die Sprecherin.
An der Börse gab es am Montag neue Ausschläge. Diesmal ging es um Silber. Der Preis für das Edelmetall stieg um mehr als zehn Prozent auf ein Acht-Jahreshoch von 30,03 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). "Die Reddit-Gemeinde hat einen größeren Wal ins Visier genommen, indem sie einen ,Short Squeeze' am Silber-Markt auslösen will", sagte Analyst Kyle Rodda vom Brokerhaus IG. Marktanalyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus Axi warnte: "Das Problem ist, dass dieser Markt deutlich größer ist und die Teilnehmer hier mit sehr tiefen Taschen unterwegs sind." Allerdings wehrten sich Mitglieder des Reddit-Forums gegen die Theorie, sie wollten einen "silver squeeze" erzwingen, die Community rufe nicht zum Kauf des Edelmetalls auf.
Und was sagen professionelle Leerverkäufer? Fahmi Quadir ist Hedgefonds-Managerin und wurde berühmt, weil sie früh gegen Wirecard wettete, und dann kassierte, als der Betrugsskandal um das deutsche Unternehmen aufflog. Über den Fall Gamestop sagt die 30-Jährige der SZ, dass Profis sich wohl kaum von den Kursausschlägen einschüchtern lassen: "Andere Investoren außer Melvin haben den extremen Preisanstieg vermutlich als Chance gesehen, neue Short-Positionen aufzubauen." Den Profit machten sicherlich nicht nur Privatanleger und Börsenneulinge, sondern auch andere Hedgefonds: "Das ist die alte Geschichte: Wenn ein Milliardär an der Börse falsch liegt, wird ein anderer Milliardär reicher, der auf der anderen Seite des Deals steht."
Quadir, die ihre Leerverkäufe stets als Korrektiv für den Markt verteidigt, lobt jene Privatanleger, die ihre Hedgefonds-Kollegen vorerst in die Knie gezwungen haben: "Ihre große Leistung ist, dass sie gezeigt haben, dass der Markt sich zu einem Casino entwickelt hat. Sie haben Funktionsstörungen bei der Preisbildung im Markt enthüllt."