Arbeitskämpfe:Herr Habeck, man darf auch für weniger Arbeit streiken

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Es werde "zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben", findet Wirtschaftsminister Robert Habeck. (Foto: RALF HIRSCHBERGER/AFP)

Wirtschaftsminister Habeck mischt sich in die Streik-Debatte ein. Er sagt, es werde zu viel für immer weniger Arbeitzeit gestreikt. Seine Aussage zeigt, dass gerade etwas kippt.

Kommentar von Benedikt Peters

Wenn er sich ärgert, dann zitiert Claus Weselsky gerne Giovanni Trapattoni. "Was erlaube Strunz?!", fragt er dann, so wie der frühere Bayern-Trainer 1998 nach dem 0:1 gegen Schalke. Neulich erst watschte der Lokführergewerkschafter so seine Parteifreunde aus der CDU ab. Die hatten angesichts des schier endlosen Arbeitskampfs bei der Bahn gefordert, das Streikrecht einzuschränken. Und, wer weiß, vielleicht hat Weselsky die Frage nun wieder gestellt, leicht abgewandelt: "Was erlaube Habeck?!"

Es werde "zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben", sagt der Wirtschaftsminister, "und das können wir uns in der Tat nicht leisten." Die Äußerung schlägt hohe Wellen - wohl auch, weil da ein Grüner plötzlich klingt wie die FDP und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber, die gegen Arbeitszeitverkürzungen kämpfen. "Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit, nicht weniger" lautet einer ihrer Kernsätze.

Aber hat Habeck recht? Es stimmt, dass Forderungen nach kürzeren Arbeitszeiten in Mode gekommen sind. Und zwar nicht nur bei Claus Weselsky, der mit aller Macht die 35-Stunden-Woche bei der Bahn durchdrücken will. Da sind zum Beispiel die Stahlarbeiter, die mithilfe der IG Metall seit Jahren versuchen, die Viertagewoche durchzusetzen. Ähnliches planen die Gewerkschaften in vielen weiteren Branchen, denn sie haben verstanden: Nach den Jahren der hohen Inflation, in denen bessere Löhne im Vordergrund standen, wünschen sich jetzt viele Beschäftigte, etwas weniger arbeiten zu können, ohne auf Geld verzichten zu müssen.

Es sollen ja nicht 40 Millionen Menschen einfach einen Tag weniger arbeiten

Alles andere als sicher aber ist, dass diese Wünsche auch wirklich zu Wohlstandsverlusten führen werden, wie Habeck es suggeriert. Ja, schon jetzt können bis zu zwei Millionen Stellen nicht besetzt werden; der horrende Arbeitskräftemangel ist ein großes Problem. Die Bundesregierung hat erkannt, dass sie es nicht allein mit Arbeitszeitpolitik wird lösen können. Es braucht zum Beispiel auch mehr Zuwanderung und mehr Weiterbildung. Natürlich wäre es trotzdem falsch, wenn nun plötzlich alle 40 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland einfach einen Tag weniger Brötchen backten, Kinder betreuten, am Fließband stünden. Aber das ist ja gar nicht die Idee.

Die Gewerkschaften ringen mit den Arbeitgebern um Lösungen für einzelne Branchen, und sie tun das nicht fernab jeder Vernunft. Im Stahl etwa, wo die Aufträge weniger werden, könnte die Verkürzung ein Mittel sein, um Menschen in Arbeit zu halten. Im Bahn- und Busverkehr könnte sie helfen, wieder mehr Menschen für diese Jobs zu gewinnen. Und in manchen Berufen könnten die Produktivitätsgewinne durch künstliche Intelligenz in Zukunft so hoch sein, dass kürzere Arbeitszeiten auch dort kein Problem sind.

Die große Frage ist, ob kürzere Arbeitszeiten tatsächlich zu weniger Arbeit führen - oder womöglich das Gegenteil bewirken. Es gibt Studien, die zeigen, dass Beschäftigte gesünder und produktiver sein können, wenn sie etwas weniger arbeiten. Zwölf Millionen Menschen in Deutschland machen ohnehin Teilzeit, oft nur eine halbe Stelle. Viele von ihnen könnten es attraktiv finden, auf eine Vier-Tage-Vollzeit aufzustocken - wenn die mit entsprechenden Anreizen versehen ist. Zeit für Familie oder Hobbys bliebe dann immer noch. Solche Argumente greifen sicher nicht in jeder Branche, in manchen aber eben schon, siehe oben. Es ist daher legitim, wenn die Gewerkschaften in Tarifrunden darüber mit den Arbeitgebern streiten - und im äußersten Fall auch mal streiken.

Im äußersten Fall: Das ist das Stichwort, bei dem noch einmal Claus Weselsky ins Spiel kommt. Er hat es, wieder einmal, mit der Streikerei übertrieben. Und er bringt, auch das zeigt die Einlassung von Wirtschaftsminister Habeck, die Politik zusehends gegen sich auf. Nicht nur Konservative und Liberale sympathisieren inzwischen mit einer Verschärfung des Streikrechts. Einige, noch eher leise Fürsprecher finden sich mittlerweile auch in den Parteien links der Mitte. Eine solche Verschärfung aber hätte für die Macht der Gewerkschaften gravierende Folgen - weshalb es nur nachvollziehbar wäre, wenn deren führende Köpfe nun fragten: "Was erlaube Weselsky?!"

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